(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Die Konstante / Von wegen angeschlagen: Die CDU-Chefin hat in kämpferischer Manier ihre Führungsrolle unterstrichen. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 06-12-2016

Regensburg (ots) - Spätestens seit im Zuge der Flüchtlingswelle
Hunderttausende Menschen nach Deutschland kamen, ist die seit Jahren
sieggewohnte Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr unangreifbar. Das
Vertrauen in die Kraft, in die Politik der CDU-Vorsitzenden schmolz
dahin wie Schnee in der warmen Sonne. Es gingen wichtige
Landtagswahlen verloren, die in "normalen Zeiten" einschneidende
Konsequenzen erfordert hätten. Rechts von der CDU etablierte sich
eine populistische Partei, die großspurig mit dem wahren Willen des
Volkes reüssiert. Und mit der christsozialen Schwesterpartei in
Bayern liegt die CDU-Vorsitzende in einem tiefgehenden Streit, der
das Zerwürfnis zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauß noch in
den Schatten stellt. Eigentlich könnte Merkel nun, noch halbwegs
würdevoll, abdanken. Der Platz für die erste weibliche
Regierungschefin der Bundesrepublik in den Geschichtsbüchern wäre ihr
sicher. Eine beispiellose Karriere - von der DDR-Physikerin zur
mächtigsten Frau Deutschlands, Europas, vielleicht sogar der Welt -
könnte enden. Doch Merkel will die politische Bühne nicht als
Verliererin verlassen. Sie will nicht dem schmählichen Vorbild eines
David Cameron oder eines Matteo Renzi und bald eines Francois
Hollande folgen. Merkel ist Merkel und somit tief von
protestantisch-christdemokratischem Pflichtbewusstsein durchdrungen.
Viel wurde über das "System Merkel" gerätselt. Dabei liegt eine
Wurzel ihres Erfolgs, aber auch ihres schwindenden Rückhalts in der
Bevölkerung, in ihrer trocken-nüchternen Prinzipienfestigkeit. Merkel
wurde gestern mit einem respektablen Ergebnis wiederum zur
CDU-Vorsitzenden gewählt, weil es erstens keine personelle
Alternative zu ihr gibt. Und zweitens weil sie sich noch einmal in
die Pflicht nehmen lassen will. Von wegen angeschlagen, wie viele
innerhalb und außerhalb der Union im Vorfeld des Essener Parteitages
wähnten. Die CDU-Vorsitzende hat gestern in kämpferischer Manier ihre
Führungsrolle unterstrichen. Der Widerstand gegen Merkels
hochumstrittene Flüchtlingspolitik blieb, bis auf wenige Ausnahmen,
aus. Die CDU ist, wieder oder immer noch, ganz klar auf Merkels
Linie. Das stärkt Merkel zugleich in der Auseinandersetzung mit
Seehofer. Dessen symbolträchtige Forderung nach einer
Zuzugs-Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr hat Merkel
gestern mit keiner Silbe erwähnt. Dieser Punkt wird demzufolge im
gemeinsamen Unions-Wahlprogramm für 2017 auch keine Rolle spielen.
Die CDU-Chefin lässt den grantelnden CSU-Vorsitzenden in dieser Frage
ins Leere laufen. Ob Merkel im kommenden Herbst freilich wiederum zur
Kanzlerin gewählt werden wird, steht indes auf einem anderen Blatt.
Für Merkel spricht, dass viele Menschen in schwierigen Zeiten dazu
neigen, auf Vertrautes zu setzen, die Konstante zu wählen, keine
Experimente anzugehen. Merkel ist die Konstante. Sigmar Gabriel, oder
wer sonst für die SPD den Kandidaten geben sollte, ist dagegen der
Unbekannte, das Experiment, vielleicht gar in Rot-Rot-Grün. Eine
solche Frontstellung - hier die konservative Erneuerin, da die
radikal soziale Wende - kommt der Union sogar entgegen. Sie kann
einerseits gegen die rot-rot-grünen Socken mobilisieren, andererseits
bietet die rechtspopulistische AfD genug Reibungsflächen, um die
Union als gutbürgerliche Kraft darzustellen, die nichts mit den
Flüchtlingshassern und Europaskeptikern am Hut hat. Der kommende
Wahlkampf dürfte mit harten Bandagen geführt werden. Er ist, trotz
Merkels gestrigem Triumph in der eigenen Partei, völlig offen.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

604285

weitere Artikel:
  • Mittelbayerische Zeitung: Schlaglicht / Kommentar zur neuen PISA-Studie Regensburg (ots) - Eineinhalb Jahrzehnte nach dem ersten PISA-Schock sind die Resultate des Schülertests in Deutschland kein Aufreger mehr. Und doch ist die Aufmerksamkeit groß, gerade weil sich die Stimmen der Kritiker mehren, die solche Studienreihen überhaupt skeptisch sehen: Zu kurz greife ein simples Ergebnisranking, zu komplex sei die Bildungspolitik für solche plumpen Vergleiche über Schulformen, Ländergrenzen und sozioökonomische Unterschiede hinweg. Sie haben recht damit. Den Wissensstand von 15-jährigen im Krisenland Libanon mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Altlasten / Kommentar zur Entschädigung für die Atomkraftwerksbetreiber Regensburg (ots) - Den Atomkraftwerksbetreibern steht also eine angemessene Entschädigung zu - was auch immer "angemessen" heißen mag. Die Verluste durch den 2011 beschlossenen Atomausstieg haben die Konzerne nie beziffert. Gemunkelt wird aber über 19 Milliarden Euro. Zwar hat Karlsruhe die politische Entscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung zum Aus der Atomkraft von 2011 nicht angezweifelt. Die Verfassungsrichter haben bemängelt, dass die Schnelle der Kehrtwende zulasten der Stromerzeuger geht. Dafür stehe ihnen eben eine mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Weiter so / Kommentar von Mario Thurnes zu Merkel Mainz (ots) - Von Angela Merkel heißt es, sie denke die Dinge von ihrem Ende her. Und von da sieht es gut für sie aus. Jetzt erscheinen die Überschriften, die zum Essener Parteitag passen, wenig attraktiv: "Das Gewohnte" oder "Das geringere Übel". Im September 2017 wird genau das aber die Deutschen überzeugen. Denn dann haben sie die Wahl zwischen den unberechenbaren Rechten von der AfD auf der einen Seite und SPD, Grünen und Linken auf der anderen Seite, die ein gemeinsames Bündnis zumindest nicht ausschließen. Dazu kommt als Herausforderer mehr...

  • Allg. Zeitung Mainz: Sibyllinisch / Kommentar von Friedrich Roeingh zum Atomausstieg Mainz (ots) - Zum Glück gibt es das Bundesverfassungsgericht. Mit dem Urteil zur Entschädigung der Energiekonzerne nach dem Hauruck-Ausstieg aus der Kernenergie haben die obersten Richter in Karlsruhe mal wieder bewiesen, wie segensreich ihr Wirken für unsere staatliche Ordnung ist. Sie haben mit ihrem Urteil das Primat der Politik gewahrt, sie haben die Herrschaft des Rechts vor willkürlichen politischen Eingriffen geschützt, und sie haben auf internationalem Parkett eine sibyllinische Entscheidung getroffen, die dem deutschen mehr...

  • neues deutschland: Bundeswehr bei Auslandseinsätzen auf russische Transporthilfe angewiesen Berlin (ots) - Die Bundeswehr ist - wie die Streitkräfte von neun anderen NATO- und EU-Bündnispartnern - bei Auslandseinsätzen auf lange Sicht weiter auf russische und ukrainische Transportflugzeuge angewiesen. Das geht aus einer Information aus dem Bundesfinanzministerium hervor, die der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland" (Donnerstagausgabe) vorliegt. Da der bisherige sogenannte SALIS-Vertrag zu Jahresende ausläuft, wurden zwei gesonderte, diesmal unbefristete Verträge mit den russischen Volga Dnepr Airlines mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht