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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: "Ein ziemlich wackeliger Vorwurf" Interview mit dem Rechtsexperten Prof. Dr. Tobias O. Keber zur Debatte über die Frage, ob der Straftatbestand Landesve

Geschrieben am 13-08-2015

Lüneburg (ots) - Die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen die
Journalisten von Netzpolitik.org sind längst zu einem handfesten
Polit-Skandal geworden. Der Generalbundesanwalt Harald Range wurde
nach seiner denkwürdigen Pressekonferenz entlassen, der
Bundesjustizminister und der Chef des Bundesnachrichtendienstes
stehen auch nach Einstellung der Ermittlungen in der Kritik. Ob es
weitere Konsequenzen gibt, ist noch nicht abzusehen. Aber der
Medienrechtler Prof. Tobias O. Keber fordert im Gespräch mit unserer
Zeitung "eine Debatte zur Frage, ob der Straftatbestand des
Landesverrats in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß ist".

Sechs Tage nach dem Wechsel des Generalbundesanwaltpostens von
Harald Range zu Interimsleiter Gerhard Altvater sind die Ermittlungen
wegen Landesverrats gegen den Blog netzpolitik.org eingestellt
worden. Haben Sie mit einem so schnellen Schritt gerechnet?

Prof. Dr. Tobias O. Keber: Das ging in der Tat sehr schnell. Nach
personeller Veränderung geht man nun, wie es in der Pressemitteilung
des Generalbundesanwalts vom 10.8. heißt, "mit dem Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz davon aus, dass es sich bei den
veröffentlichten Inhalten nicht um ein Staatsgeheimnis im Sinne des §
93 StGB handelt."

Ist damit der Affäre die Spitze genommen oder rechnen Sie weiter
mit einer intensiven Aufarbeitung der Fragen, wer wann was gewusst
hat?

Keber: Vordergründig hat die Debatte natürlich an Brisanz
verloren. Abgeschlossen ist der Fall aber weder rechtlich noch
politisch. Ermittelt wird weiter gegen die bis dato unbekannten
Berufsgeheimnisträger, die netzpolitik.org die Informationen
zugespielt und damit Dienstgeheimnisse verletzt haben. Ob die
politische Aufarbeitung noch weitere, vor allem personelle
Konsequenzen nach sich ziehen wird, kann man zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch nicht sagen. Auf jeden Fall wird man die im Fall
netzpolitik.org zutage getretenen grundsätzlichen Fragen nachhaltig
diskutieren müssen. Das betrifft erstens die Stellung der
Staatsanwälte und Generalbundesanwälte im
staatsorganisationsrechtlichen Gefüge. Range sprach in seiner
Presseerklärung ja von einem "unerträglichen Eingriff in die
Unabhängigkeit der Justiz". Gemeint war die Weisung des
Bundesjustizministeriums, ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten
zum Tatbestandsmerkmal des Geheimnisverrats sofort zu stoppen.
Tatsächlich sind Staatsanwälte und die Generalbundesanwälte nach
geltendem Recht aber im Gegensatz zu Richtern eben nicht unabhängig,
sondern sie sind weisungsgebunden. Hält man diesen Umstand für nicht
sachgerecht, muss man eben das Gerichtsverfassungsgesetz ändern. Mit
der gegenwärtigen Konzeption sind wir in Deutschland bisher aber
eigentlich ganz gut gefahren. Zweitens brauchen wir eine Debatte zur
Frage, ob der Straftatbestand des Landesverrats in seiner jetzigen
Form noch zeitgemäß ist. Wie weit der publizistische Landesverrat
rechtlich anders zu bewerten ist als der "gewöhnliche", hat man
bereits in den 60er-Jahren im Rahmen der Spiegel-Affäre heftig
diskutiert. Interessante Parallelen zum Spiegel-Fall gibt es beim
Verfahren gegen Netzpolitik.org übrigens viele, aber es gibt auch
wichtige Unterschiede. So ist die weltpolitische Gesamtlage heute
eine völlig andere. Damals war es der Kalte Krieg, heute bestimmt im
Wesentlichen der internationale Terrorismus das außenpolitische
Feindbild. Heute hat jeder Internetnutzer die Möglichkeit, sensible
Informationen schnell und in ungeahnt großer Reichweite zu
verbreiten. Das konnten früher nur Journalisten. Dieser Umstand führt
dann auch zu einem dritten Aspekt, den ich für ganz entscheidend
halte. Wie weit Blogger und Journalisten hinsichtlich ihrer Rechte
und Pflichten gleichzustellen sind, muss endlich klarer geregelt
werden. Auch diese Diskussion gab es schon lange vor dem Fall
netzpolitik.org, abschließend geklärt sind die Fragen aber noch lange
nicht.

Wie wackelig war die Basis für den Vorwurf des Landesverrats?

Keber: Nach meinem Eindruck ziemlich wackelig. Noch einmal zur
Erinnerung: Ausgangspunkt waren zwei Artikel auf netzpolitik.org, bei
denen das Blog als VS-Vertraulich (Verschlusssache Vertraulich)
eingestufte, folglich interne Dokumente des Bundesverfassungsschutzes
veröffentlichte. Konkret ging es um Haushalts- und Personalpläne,
mittels derer die geplante Ausweitung der Internetüberwachung durch
den Verfassungsschutz dokumentiert werden sollte. Der Straftatbestand
des Landesverrats sieht im hier zu entscheidenden Fall drei
Voraussetzungen vor, die allesamt vorliegen müssen, um eine
strafrechtliche Verantwortung der Blogger von Netzpolitik.org zu
begründen. Erstens muss ein Staatsgeheimnis öffentlich bekannt
gegeben worden sein. Ein Staatsgeheimnis definiert das Gesetz als
Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten
Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht
geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils
für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
Vor diesem Hintergrund ist es angesichts der veröffentlichten
Dokumente schon sehr fraglich, ob diese "nur" als VS-Vertraulich
eingestuften Dokumente ein Staatsgeheimnis darstellen können. Wären
sie als VS-Geheim oder gar strenggeheim eingestuft gewesen, wäre das
etwas anderes. Unabhängig davon müssten die Blogger dann noch die
weiteren Voraussetzungen des Landesverrats erfüllt haben. Sie müssten
in der Absicht gehandelt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu
benachteiligen und die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere
Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt haben. Das ist nun
wirklich nicht ersichtlich.

Sollten Informanten, die wichtiges Wissen an Medien weitergeben,
gesetzlich geschützt werden, wie es die Netzpolitik-Blogger fordern?

Keber: Der gesetzliche Schutz so genannter Whistleblower ist in
Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten unterentwickelt. Beim
Schutz von Hinweisgebern geht es um schwierige Abwägungsfragen, aber
der Gesetzgeber kann sich angesichts der Komplexität der Materie
nicht aus der Verantwortung ziehen. Es gibt internationale Vorgaben,
die umzusetzen sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
etwa hat festgestellt, dass die Bundesrepublik mit dem durch deutsche
Arbeitsgerichte nicht beanstandeten Rauswurf einer Altenpflegerin die
europäische Menschenrechtskonvention verletzt hat. Die Pflegerin
hatte die skandalösen hygienischen Zustände in dem Heim ihres
Arbeitgebers zur Anzeige gebracht und war hierauf gekündigt worden.
Wie gesagt, Deutschland hat hier Nachholbedarf und
Gesetzesinitiativen sind immer wieder erfolglos versandet.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger betont, dass der Politik die
Geheimdienste entgleiten würden. Wäre der Schutz von Whistleblowern
vom Schlag eines Edward Snowden ein geeignetes Instrument, um den
Spähaktivitäten der Geheimdienste etwas entgegensetzen zu können?

Keber: Sicher wäre das ein Ansatz. Wir brauchen taugliche
Instrumente und ein sachadäquates Maß an Transparenz. Es gibt
Staatsgeheimnisse, und den Geheimdiensten ihre Daseinsberechtigung
per se abzusprechen, geht sicher zu weit. In einem demokratischen
Rechtsstaat darf es aber auch keine kontrollfreien Zonen, keine
unbegrenzte "Macht im Schatten" geben.

Big Data bedeutet auch die Fähigkeit, scheinbar unwichtige
Einzelinformationen zur Vorhersage menschlichen Verhaltens zu
verwenden. Verschläft der Gesetzgeber auch diese Entwicklung im
IT-Bereich?

Keber: Auf europäischer Ebene werden diese Fragen gerade bei den
Verhandlungen um eine Datenschutzgrundverordnung adressiert. Leider
bilden die zu Grunde liegenden Entwürfe den Problemkomplex "Big Data"
nur unzureichend ab. Die technische Entwicklung ist rasend schnell,
die Prozesse der (europäischen) Gesetzgebung halten kaum Schritt. Ob
der bis dato im Datenschutzrecht geltende strenge
Zweckbindungsgrundsatz und der Grundsatz der Datenvermeidung im
Lichte allgegenwärtiger Datenverarbeitung wirklich haltbar sind, wird
die Zukunft zeigen. Besorgniserregend ist jedenfalls, wie sorglos die
Nutzer mit ihren Daten zum Teil umgehen und wie wenig sie technische
Funktionen ihrer immer smarteren Endgeräte kritisch hinterfragen.

Das Prism-Programm der Geheimdienste nutzt Big Data bereits, um
Vorhersagen über das Verhalten von Bürgern zu treffen. Ist mit Prism
die essentielle Freiheit des Menschen in Gefahr, auch in der Zukunft
über sein Handeln selbst zu bestimmen?

Keber: Die Frage nach der Zukunft der informationellen
Selbstbestimmung und der Autonomie des Menschen in der digitalen
Gesellschaft muss man stellen. Das ist ein Bereich, den wir an
unserem Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in
Stuttgart eingehend erforschen.

Die Einstellung der Ermittlungen wird auch als Sieg für den
Journalismus gefeiert. Wird dieser Triumph tatsächlich die
Pressefreiheit stützen?

Keber: Wichtig ist, dass über den Fall netzpolitik.org (übrigens
auch international) berichtet wird und dass wir eine entsprechende
Debatte führen. Das hilft der Pressefreiheit auf jeden Fall.

Das Interview führte

Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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