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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Katia Meyer-Tien zu 70 Jahre Hiroshima

Geschrieben am 05-08-2015

Regensburg (ots) - Wenn heute, 70 Jahre danach, die Friedensglocke
in Hiroshima läutet, bleibt nur Staunen. Darüber, dass die Atombombe
"Little Boy", die am 6. August 1945 um 8 Uhr, 15 Minuten und 17
Sekunden in 580 Metern Höhe über der japanischen Stadt explodierte,
nicht den Anfang vom Ende der Welt bedeutete. Zehntausende Menschen
starben an jenem 6. August. Zehntausende Menschen starben drei Tage
später, bei der Explosion der zweiten Atombombe über Nagasaki.
Niemand konnte die Toten je zählen, viele Körper waren restlos
verdampft. Zehntausende starben in den Jahren darauf an den Folgen
der Strahlung, Tausende leiden noch heute. Und doch war die erste
Konsequenz der Weltpolitiker angesichts des Zerstörungspotenzials der
Bombe kein "Nie wieder". Sondern ein nie gekanntes Wettrüsten. Trotz
der Gründung der Vereinten Nationen, die Konflikte durch
Verhandlungen lösen sollten, reagierten die USA auf den erfolgreichen
Test einer Atombombe durch die Sowjetunion 1949 weiter in der Logik
der Konfrontation. Und entwickelten mit der Wasserstoffbombe, die
1954 im Bikini-Atoll getestet wurde, eine Waffe mit einer
Sprengkraft, die tausendfach größer war als die von "Little Boy". Die
UdSSR zog nach, das Ergebnis: Ende der 1950er Jahre waren die USA und
die Sowjetunion in der Lage, sich wechselseitig und auch den Rest der
Welt gleich mehrfach zu vernichten. Japan hingegen schrieben die
Kriegsgewinner USA einen Satz in die Verfassung, der dem Inselstaat
den Unterhalt von Streitkräften verbietet. Das japanische Volk, heißt
es in Artikel neun, verzichtet für alle Zeit auf den Krieg als ein
souveränes Recht der Nation. Es ist ein einzigartiger Artikel, in
Auslegung und Bedeutung umstritten, gerade angesichts der engen
sicherheitspolitischen Kooperation Japans mit den USA. Aber er
verhinderte im fragilen Balanceakt der Großmächte in Asien, dessen
Brennpunkt immer wieder das geteilte Korea ist, lange Zeit das
militärische Erstarken einer weiteren Regionalmacht. Und erlaubt
einem Teil der japanischen Bevölkerung, nicht nur über das durch die
Atombomben erlittene Leid zu trauern, sondern auch auf die
einzigartige pazifistische Verfassung stolz zu sein. International
kam der Rüstungswettlauf 1962 mit der Kubakrise an einen Wendepunkt.
Die Beinahe-Eskalation vor der Küste der USA führte zur Einrichtung
des heißen Drahtes zwischen den Supermächten, zum Verbot von
überirdischen Atomtests, zum Atomwaffensperrvertrag. Eingesetzt
worden sind die Nuklearwaffen seit Nagasaki nie wieder. Und trotzdem
kann die Bilanz 70 Jahre nach dem ersten Einsatz einer Atombombe
nicht positiv ausfallen. Die pazifistische Verfassung Japans, längst
Symbol all jener, die um die verheerendsten Folgen des Krieges
wissen, wird zur Makulatur. Schon lange zählt das Land - wie
Deutschland - zu den Nationen mit den höchsten Rüstungsausgaben
weltweit. Gerade hat die Regierung den Weg für Kampfeinsätze der
Selbstverteidigungsstreitkräfte im Ausland freigemacht. Und: So
erstaunlich es ist, dass die Menschheit angesichts des enormen
selbstgeschaffenen Vernichtungspotenzials noch immer existiert, so
bedrohlich ist doch die Tatsache, dass die Zahl der Staaten, die über
Atomwaffen verfügen, mittlerweile auf mindestens neun angewachsen
ist. Weltweit gibt es heute immer noch 16 350 Nuklearsprengköpfe,
4000 sind jederzeit einsatzbereit, fast die Hälfte davon werden rund
um die Uhr in höchster Alarmbereitschaft gehalten, schätzen Experten.
Ein Bruchteil davon würde genügen, die Welt doch noch zu zerstören.
Es scheint, als läute die Friedensglocke von Hiroshima noch immer
nicht laut genug.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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