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Westfalenpost: Weihnachten hat nichts verloren von seiner Kraft / Kommentar von Torsten Berninghaus

Geschrieben am 23-12-2014

Hagen (ots) - Wenn heute Abend die Kerzen entzündet sind am
Christbaum, dann ist es geschafft. Dann zählen Vernunft und
Pragmatismus nicht mehr. Denn Weihnachten bedeutet eine Auszeit aus
einer rationalen Welt. Einer Welt, die selbst dieses christliche
Hochamt mit buntem Lichterglanz und übervollen Einkaufspassagen
kommerzialisiert. Haben wir etwa verlernt, Weihnachten zu feiern? Ich
glaube nicht. Die dreitägige Auszeit, in der (fast) alles ruht, lässt
uns mit all ihrer Wärme, dem Trost und der Hoffnung auftanken.
Weihnachten hat nichts verloren von seiner großen, seiner
menschlichen Kraft. Das lässt sich nur mäßig messen an den Gaben und
Spenden für Bedürftige in aller Welt. Viel entscheidender sind die
kleinen Momente, die ganz persönlichen Erlebnisse der
Mitmenschlichkeit. In Burbach zum Beispiel, wo in diesem Jahr
Hunderte gestrandet sind im Flüchtlingsheim, feiern sie bereits den
gesamten Advent über Weihnachten. Glaubensrichtungen spielen dabei
keine Rolle. Muslime singen mit Orthodoxen; gemeinsam lauschen sie
dem Posaunenchor, der "Tochter Zion" anstimmt. Und obwohl nur wenige
Flüchtlinge dieses Lied kennen dürften, entsteht ein Gefühl der
Gemeinsamkeit. Das Zeichen ist eindeutig: "Wir freuen uns, dass Sie
hier sind." In diesen Momenten wird ein Satz erlebbar, den
Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Jahr gesagt hat: "Machen
wir unsere Herzen nicht eng mit der Feststellung, dass wir nicht
jeden, der kommt, in unserem Land aufnehmen können." Recht hat er.
Und deshalb ist auch nicht jeder, der dem Zuzug junger Männer aus
islamischen Ländern skeptisch gegenüber steht, automatisch ein
Rassist. Auf der anderen Seite dürfen wir es trotz dieser Skepsis als
Kompliment sehen, wenn Menschen, die der Verfolgung oder der Armut
entfliehen, Deutschland als Zufluchtsort wählen. Ihnen mit dem
Hinweis zu begegnen, dass Flucht nichts dazu tut, die Verhältnisse in
ihrem Heimatland zu ändern, wäre billig - vielleicht sogar zynisch.
Wenn im Lukasevangelium die Engel verkünden: "Friede den Menschen auf
Erden", dann gilt das nicht nur in Syrien oder Afghanistan, sondern
auch hier, mitten in Europa. Dazu kann jeder seinen Teil beitragen.
Und deshalb erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an Tuğçe
Albayrak. Die junge Lehramtsstudentin war am 15. November zwei
Mädchen zur Hilfe gekommen, die in einem Schnellrestaurant von zwei
jungen Männern belästigt worden waren. Tuğçe bezahlte ihren Mut
mit ihrem Leben. Dieser Fall rührte Deutschland zu Tränen und er
löste eine Debatte aus, an deren Ende eine Erkenntnis steht:
Zivilcourage braucht Rückendeckung. Dazu gehört eine weltoffene und
tolerante Gesellschaft. Eine, die Grenzen überwindet. Das hat uns
auch der Astronaut Alexander Gerst nach seinem Aufenthalt im All noch
einmal vor Augen geführt. Sein Einsatz 400 Kilometer über der Erde
brachte allerlei wissenschaftliche Ergebnisse, vor allem aber die
persönliche Erkenntnis, dass man "von dort oben tatsächlich eines
nicht sieht: nämlich Grenzen." Gerst kam es grotesk vor, dass sich
Menschen auf der Erde bekriegen oder Wälder abbrennen, obwohl wir
diese zum Überleben brauchen. Weihnachten ist ein Moment des
Innehaltens. Ein Augenblick, in dem der Lärm des Alltags zur Stille
wird. Deshalb sollten wir gut zuhören, wenn es in der
Weihnachtsgeschichte um die Zuversicht geht. Eine Zuversicht, die die
Kraft zu Veränderung in sich trägt.



Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion

Telefon: 02331/9174160


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