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Westfalenpost: Stefan Hans Kläsener zu Mauerfall und Pogromnacht

Geschrieben am 07-11-2014

Hagen (ots) - Günter Schabowski ist ein Mann, der einem heute noch
Respekt einflößt, auch wenn er alt und krank ist. Der Mann, der durch
eine Kommunikationspanne der SED-Kader binnen Minuten die Mauer
zerbröselte, hat Weltgeschichte geschrieben und zugleich bitter büßen
müssen. Er ist ein Wendeverlierer, er wurde verurteilt und saß in
Haft, er schlug sich im tiefen Osthessen als Hilfsarbeiter bei einem
Anzeigenblatt durch. Und er ist eine der wenigen SED-Größen, die sich
im Nachhinein reuig zeigten und bekannten, dass sie sehr viel falsch
gemacht haben. Die Beichte hat er vielfältig abgelegt, auch im
Gespräch mit dem Stasi-Unterlagen-Beauftragten Joachim Gauck, der
heute unser Bundespräsident ist. Gauck, der Pfarrer, nahm Schabowski,
dem Sünder, die Beichte ab. Das ist irgendwie rührend, es ist aber
ein wichtiger Bestandteil unserer Geschichte und Bestandteil des
Glücks, das wir im November 1989 erleben durften. Ein jeder wird noch
wissen, was er in den dramatischen Stunden gedacht hat, bis es denn
Gewissheit war: Die Mauer ist weg Schuld und Sühne Dem Bürgerrechtler
Gauck wird die Vergebung leichtgefallen sein, weil Schabowski erstens
seine Fehler nach und nach bekannt hatte und zweitens dafür bezahlt
hat. Das ist nicht bei allen Tätern der DDR, die in jenem Staat
Unrecht begangen haben, der Fall. Es gab Hochmütige, die
Menschenleben auf dem Gewissen hatten, beispielsweise bei der Stasi
und in den Geheimdiensten. Und es gab die Realitätsverweigerer, die
immer wieder krasse Menschenrechtsverletzungen relativieren wollten
mit dem Hinweis: "Es war ja nicht alles schlecht." Noch ein Datum der
Schuld Das Thema Schuld in der deutschen Geschichte benötigt an
diesem Wochenende zwingend aber noch ein anderes Datum: November
1938. Da zogen Braunhemden durch die Straßen, schlugen Scheiben ein,
plünderten, prügelten, mordeten. Sie warfen Klaviere aus dem Fenster
und bereicherten sich an dem, was die jüdischen Nachbarn in ihren
Kommoden bewahrten. Nachher, als Deutschland in Schutt und Asche lag,
war der Jammer groß. Und wiederum gab es die Realitätsverweigerer,
die den Holocaust relativieren wollten mit dem Hinweis: "Es war ja
nicht alles schlecht Beide Phasen der Schuld trennt ein großer
Unterschied, der aus ideologischen Gründen gern von der einen oder
anderen Seite verwischt wird: Die DDR schuf Unrecht aus einer völlig
verfehlten Antwort auf die Nazi-Zeit und die kommunistischen
Allmachtsphantasien. Die Nationalsozialisten hatten von Anfang an das
Böse, Rassistische, Antisemitische im Sinn und gewannen dennoch
erschreckend viele Unterstützer in der Bevölkerung. Man soll die
beiden Systeme nicht gleichsetzen, auch nicht gegeneinander
ausspielen. Die Frage ist nur, woher das Unrecht im einen und das
Unrecht im anderen Falle herrührte. Doppeldeutiges Mit dieser Frage
werden sich die Deutschen, so lange es sie als Volk gibt,
beschäftigen müssen. Denn so wenig vergleichbar das Glück im November
1989 und das Leid im November 1938 sind - wir tun gut daran, beider
Jahrestage im Zusammenhang zu gedenken. Die deutsche Geschichte kann
man im Nachhinein nicht von ihrer Doppeldeutigkeit heilen.



Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion

Telefon: 02331/9174160


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