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Landeszeitung Lüneburg: "Schuld kann nicht relativiert werden" - Interview mit der Historikerin Dr. Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf und Unmbenennungen von Straßen

Geschrieben am 19-06-2014

Lüneburg (ots) - Die Diskussion über Straßennamen weitet sich aus.
Immer mehr Städte überprüfen damalige Entscheidungen. Prominentestes
Beispiel ist der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem niedersächsichen
Landtag, der aufgrund der nun in den Fokus gerückten Rolle, die der
erste Ministerpräsident Niedersachsens im der Zeit der
Nazi-Herrschaft gespielt hat, umbenannt werden soll.
Moralisch-etische Gesichtspunkte prägen die Debatten. Einigkeit
besteht darüber, dass Schuld nicht relativiert werden kann, Streit
über die Umbenennung von Straßen. "Damit sollte man sehr vorsichtig
sein", sagt Dr. Teresa Nentwig im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn
"wir müssen uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen". Sie rät
daher zu Zusatzschildern.

Dr. Nentwig, verspüren Sie Zufriedenheit über die Debatte über
Standards für die Benennung von Straßen, Plätzen und Gebäuden, die
Sie mit ihren Nachforschungen über Hinrich Wilhelm Kopf ausgelöst
haben? Dr. Teresa Nentwig: Zufriedenheit ist das falsche Wort. Ich
bin aber froh darüber, dass endlich die Debatte über Hinrich Wilhelm
Kopf geführt wird. Denn ein Teil der Vorwürfe gegen ihn ist schon
lange vor meiner Arbeit bekannt gewesen, nur hat dies nie zu größeren
Diskussion geführt.

Die vom Landtag eingesetzte Historiker-Kommission hatte sich für
die Beibehaltung der Benennung des Platzes vor dem Landtag nach
Hinrich Wilhelm Kopf ausgesprochen und argumentiert, Kopf habe
Niedersachsen auf einen demokratischen Weg geführt, dies sei "tätige
Reue". Was halten Sie von dieser Einschätzung? Nentwig: Unbestritten
ist, dass Kopf den demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau
in Niedersachen vorangetrieben hat...

...und bei der Verfassung...

Nentwig: Richtig, die Verfassung geht sogar auf seinen Entwurf
zurück. Andererseits kann man auch sagen, dass er sich zuvor in den
Dienst des Nazi-Regimes gestellt hat. Und nach dem Zweiten Weltkrieg
wurde er gebraucht und umworben. Er ist bei den Menschen als
Landesvater gut angekommen. Aber ob das als tätige Reue bezeichnet
werden kann, ist zweifelhaft, Denn Kopf hat über seine Tätigkeit für
die Nazis immer wieder gelogen. Er war opportunistisch, hat sich
angepasst, konnte quasi unter jedem Regime arbeiten.

Warum ist er denn 1943 aus dem Dienst in der Verwaltung im
eingegliederten Polen, wo er bei der Arisierung, bei der Enteignung
von Juden mitgeholfen hat, ausgeschieden? Nentwig: Er ist sogar schon
1942 ausgeschieden. Kopf hatte zwei leitende Tätigkeiten in
Oberschlesien. Die eine beendete er Mitte 1942, die andere Ende 1942.
Im ersten Fall wurde damals seine Dienststelle verlegt in einen rund
80 Kilometer entfernten Ort. Genaue Gründe für sein Ausscheiden
konnte ich nicht finden, dafür aber viele Hinweise auf Streitereien.
Kopf kämpfte um jeden Pfennig, war nicht einverstanden mit dem, was
er verdient hat. Dabei ging es auch um Kosten für Autorreparaturen
und sogar um Kilometergeld. Einige Streitereien gingen sogar vor
Gericht. Andererseits konnte Kopf in der Verwaltung die besten Zahlen
vorweisen. Kopf war offenbar ein eher unbequemer Zeitgenosse. Ich
kann mir vorstellen, dass einige Kollegen froh über sein Ausscheiden
waren.

Kann es überhaupt eine Relativierung von Schuld im Sinne einer
Wiedergutmachung geben? Nentwig: Nein, eine Relativierung kann es im
Prinzip nicht geben. Aber wichtig ist, wie man mit seiner eigenen
Geschichte umgeht. Viele Biografien haben Brüche, haben Widersprüche.
Gerade in der Nachkriegszeit haben viele Menschen ihre Biografien
konstruiert, haben über das, was sie während der Nazi-Herrschaft
getan haben, geschwiegen und gelogen. Es fand eine Art
Identitätskonstruktion statt. Auch Kopf war ein fehlbarer Mensch, hat
Schuld auf sich geladen, für die er nicht zur Verantwortung gezogen
wurde. Dies lässt sich auch durch seine Verdienste nach dem Krieg
nicht einfach relativieren.

Wer einmal Schuld auf sich geladen hat, dem vergibt man nicht.
Vergeben Sie Günther Grass? Nentwig: Grass hat spät zugegeben,
Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Aber über das, was Grass
damals während der Nazi-Herrschaft getan hat, weiß ich zu wenig, um
mir ein abschließendes Urteil bilden zu können.

Werden all diese Diskussionen auch geführt, weil es einen
gesellschaftlichen Mentalitätswandel gibt - weg von der Heroisierung,
hin zu einer Gesamtsicht, die sich auch an Opfern orientiert?
Nentwig: Man kann auf jeden Fall feststellen, dass solche
Diskussionen stark zugenommen haben. In vielen Städten wird über
Straßenumbenennungen diskutiert, weil Forschungen ergeben haben, dass
einige Namenspatrone doch nicht so unfehlbar waren. Mehrere Faktoren
tragen dazu bei: Die Menschen die den Krieg erlebt haben, sterben
weg. Die Nachfolgegeneration spricht dadurch offener über die
Vergangenheit, es gibt eine kritischere Auseinandersetzung. Hinzu
kommt, dass der Zugang zu den Archiven heute wesentlich einfacher und
umfassender ist als früher, weil bei immer mehr Akten die Sperrfrist
- in der Regel 30 Jahre - abgelaufen ist. Und auch der Zugang zu
Akten in Osteuropa ist natürlich viel einfacher geworden als noch vor
der Zeit der Wende. Ich hatte keine Probleme, auch in Polen Akten in
Archiven einsehen zu können.

Der Geschichtswissenschaftler Martin Sabrow spricht von
"historischem Exorzismus" und hält Umbenennungen von Straßen für
überzogen. Überzieht Sabrow Ihrer Meinung nach? Nentwig: Martin
Sabrow hat das sehr überspitzt, mit drastischen Worten dargestellt.
Ich habe mich ausführlich mit dem Thema Straßenumbenennungen befasst
und komme zu dem Schluss, dass man wirklich vorsichtig damit sein
sollte. Sabrow wählt zwar starke Begriffe, ich kann ihm aber am Ende
zustimmen.

Gilt das auch für die Umbenennung des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platzes
vor dem Landtag? Nentwig: Ja, auch hier hatte ich gesagt, dass man
vorsichtig sein sollte. Hinrich Wilhelm Kopf ist schon jetzt kaum
noch jemandem ein Begriff. Obwohl ich Niedersächsin bin, fiel in
meiner Schulzeit der Name Kopf nie, erst im Studium erfuhr ich etwas
über seine Rolle in der Nachkriegszeit. Fest steht: wir haben eine
sehr wechselvolle Geschichte. Eine Geschichte, die man nicht einfach
entsorgen kann. Wir müssen uns mit unserer Geschichte
auseinandersetzen. Dazu gehört es, auch die schweren Zeiten im
Bewusstsein wach zu halten. Es gibt Berichte darüber, dass Kopf
vielen Menschen geholfen haben soll. Sowohl in den Jahren 1933 bis
1939 als auch in seiner Zeit in Schlesien von 1939 bis 1942. Sowohl
Juden als auch Geistliche sagen, dass er sich schützend vor sie
gestellt habe. Das relativiert zwar nicht seine Schuld, man sollte es
aber nicht ausblenden.

Sollte es nicht ganz einfach sein: Die Benennung einer Straße oder
eines Gebäudes nach einer Person ist eindeutig positiv. Ist aber die
Vita der Person, nach der die Straße benannt wurde, nicht eindeutig
positiv, sollte man darauf verzichten. Nentwig: Ich bin dafür,
Zusatzschilder anzubringen. So behält man ohne Schönfärberei die
Person und dessen Geschichte in Erinnerung. Man kann aus diesem Ort
einen Ort der Mahnung, der Erinnerung machen.

Das Interview führte

Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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