(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: "Putin testet die Einheit des Westens" - Interview mit dem Ukraine-Experten Prof. Dr. Otto Luchterhandt

Geschrieben am 06-03-2014

Lüneburg (ots) - Der Nervenkrieg um die Krim hält die Welt in
Atem. Der renommierte Lüneburger Völkerrechtler Prof. Dr. Otto
Luchterhandt hat über zwei Jahrzehnte als Rechtsberater in der
Ukraine gewirkt. Er sorgt sich, dass sich Wladimir Putin bei dem
Konflikt um die Krim, "einen Verklärungsort der russischen
Geschichte", noch weiter von westlichen Werten entfernt, als er dies
in den letzten Jahren ohnehin schon getan hat. Für die deutsche
Diplomatie eröffne sich die große Chance, "die Gesprächskanäle in den
Kreml offenzuhalten."

Lebt Putin in einer eigenen Realität, wie die Kanzlerin vermutet,
oder bastelt er vielmehr in einer nur im Westen anachronistisch
anmutenden Weise an einem Comeback Russlands als Großmacht?

Prof. Dr. Otto Luchterhandt: Frau Merkels Einschätzung ist in
bemerkenswerter Weise zutreffend. Putin lebt in einer eigenen
politischen Welt, die bestimmt ist von dem Ziel, eine "Sowjetunion
light" wiederherzustellen. Genauer strebt er eine russische Hegemonie
im territorialen Maßstab der Sowjetunion abzüglich der baltischen
Staaten an.

Hätte Russland dem Umsturz in seinem Vorfeld einfach zugucken
können?

Prof. Luchterhandt: Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Weil
die Ukraine eine Schlüsselstellung in dem Konzept einnimmt, das Putin
und die Moskowiter Eliten verfolgen. Der Untergang der Sowjetunion
war besiegelt, als die Ukrainer am 1. Dezember 1991 mit
90-prozentiger Mehrheit für die Unabhängigkeit ihres Landes votiert
hatten. Daher würde in Moskau niemand bestreiten, dass ohne die
Ukraine die Wiederherstellung russischer Hegemonie nicht zu
verwirklichen ist.

Mangelt es dem Westen an Verständnis für Putin? Der Wortbruch bei
der NATO-Osterweiterung, Raketenschutzpläne, US-Präsenz in
Mittelasien und EU-Avancen an die Ukraine können durchaus reale
Ängste ausgelöst haben.

Prof. Luchterhandt: Sicherlich hat der Westen aus Sicht des Kreml
in mehreren Fragen rote Linien überschritten. Aber umgekehrt wollte
Russland in der Ära Gorbatschow unbedingt einer der Bewohner des
europäischen Hauses werden. Es drängte in den Europarat, integrierte
sich in vielfältiger Weise. Und das nicht zufällig. Denn Russland hat
sich in seiner Verfassung von 1993 sowohl innen- als auch
geopolitisch von den sowjetischen Prinzipien losgesagt. Man
definierte sich als demokratischer Rechtsstaat, der das Völker- und
die Menschenrechte achtet. Damit wendete man sich westlichen Werten
zu. Unter Putins Herrschaft entfernt sich Russland allerdings
zielstrebig von den Grundsätzen seiner eigenen Verfassung. Insofern
hat eher der Westen Anlass, enttäuscht zu sein. In der Tat hat
Russland die Intervention des Westens 1999 im Kosovo als schweren
Affront angesehen. So wurde der Fünf-Tage-Krieg gegen Georgien 2008
als Revanche gegenüber der NATO gesehen. Die Besetzung der Krim und
die Strategie, diese über ein Referendum abzuspalten, gehört aber nur
bedingt in diesen Rahmen. Dies ist eher ein Teil des geopolitischen
Plans der Renaissance als Großmacht.

Hat die Abspaltung der Krim, die der Ukraine erst 1954 von
Chruschtschow geschenkt worden war, nicht sogar einen legitimen Kern?

Prof. Luchterhandt: Legitimität hin oder her. Hier ist die
Beachtung des universellen Völkerrechtes wichtiger. Russland hat auf
der Krim auf der Basis der beiden Verträge vom 28. Mai 1997 - das
Abkommen über den Status und die Aufenthaltsbedingungen der
Schwarzmeerflotte Russlands und das über die Aufteilung der Objekte
der Flotte zwischen der Ukraine und Russland - ohnehin alle
Möglichkeiten. Übrigens wurde damals im Verhältnis von 15:85
"geteilt". Die Stellung seiner Schwarzmeerflotte ist völlig
gesichert. Insofern gibt es keinen legitimen Anspruch auf eine
Erweiterung seiner Machtsphäre. Die ethnischen Russen sind dort in
keiner Weise benachteiligt. Die Krim ist ein Arkadien, ein
Verklärungsort russischer Geschichte, vergleichbar in seiner
Bedeutung wie das Kosovo für Serbien. Hier häufen sich Zarenpaläste,
hier fand 1945 die Konferenz von Jalta statt.

Welche Argumente hat der Westen, wenn die russische
Bevölkerungsmehrheit der Krim für die Hinwendung zu Russland stimmt?
Was wiegt schwerer: das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder die
Unverletzlichkeit der Grenzen?

Prof. Luchterhandt: Die Krim und Russland können sich nicht auf
das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen, weil die Krim im
Staatsverband der Ukraine eine einmalige, herausgehobene Stellung
einnimmt. Die Halbinsel ist die einzige Region, die über einen
autonomen Status verfügt. Der Krim wurden sehr viel mehr Rechte
eingeräumt als den anderen 24 Provinzen. Völkerrechtlich gilt:
Verfügt eine Region über derartig viele Sonderrechte wie die Krim,
ist das Recht auf Selbstbestimmung sozusagen verbraucht. Ein Recht
auf Sezession kann daher nicht in Betracht kommen.

Muss Washington zu Putins Krim-Intervention schweigen? Im Irak,
Afghanistan und Grenada war die territoriale Integrität den USA nicht
sakrosankt?

Prof. Luchterhandt: Sie haben Recht und sprechen einen wunden
Punkt an. Europäische Staaten wie Deutschland und die USA
unterscheiden sich in dem Punkt der Bedeutung des universellen
Völkerrechtes sehr deutlich. Die USA vertreten in ununterbrochener
Kontinuität die Position, dass sie sich durch das Völkerrecht nicht
einengen lassen, wenn ihre nationalen Interessen berührt sind. Seit
der Monroe-Doktrin von 1821 schlagen sie dementsprechend gerade in
ihrem Vorfeld, in Latein- und Mittelamerika, auch militärisch zu.
Zudem haben sie das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof
zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Russland misst sich
leider ausschließlich an dem ehemaligen Rivalen, stellt sich
dementsprechend auch außerhalb des Völkerrechtes.

Schweigt Berlin weiter für russisches Gas?

Prof. Luchterhandt: Berlin schweigt nicht. Es ist eine
bemerkenswerte Änderung, wie etwa Gernot Erler Töne anschlägt, die so
vorher von ihm noch nie zu hören waren. Außenminister Steinmeier
äußert sich in ähnlicher Weise. Gleichwohl hat die deutsche
Diplomatie hier eine große Chance, nämlich dafür zu sorgen, dass die
Gesprächskanäle offen bleiben und für eine kritische
Auseinandersetzung mit Moskau genutzt werden. Putin testet die
Einheit des Westens. Dabei hält er die Trümpfe in der Hand und hat
die Karten noch nicht offen gelegt. Er kann jederzeit zurückrudern.
Es hängt davon ab, ob es in den nächsten Tagen gelingt, einen
Kompromiss zu finden. Dabei muss die Gefahr erstickt werden, dass es
in der Ost-Ukraine und im Süden, etwa in Odessa, auch durch spontane
Prozesse zu blutigen Ausschreitungen kommt. In der Folge könnte sich
Moskau wegen seiner propagandistischen Selbstbindung gezwungen sehen,
sich stärker militärisch zu engagieren. Wir haben nur ein kleines
Zeitfenster für einen Dialog mit Moskau.

Würden Sanktionen des Westens die Tür für die Diplomatie endgültig
zuschlagen?

Prof. Luchterhandt: Es ist richtig, dass man die Entscheidung über
Sanktionen so lange wie möglich offenhält, schon allein um die
Drohkulisse für die andere Seite aufrechtzuerhalten. Die
entscheidende Frage ist aber, wie sich das Tableau der Sanktionen
zusammensetzt. Es ist angesichts der engen wirtschaftlichen
Verflechtung von Deutschland und Russland schwierig, überzeugende
Sanktionen zusammenzustellen.

Die Interessengegensätze innerhalb der Ukraine und zwischen
Russland und dem Westen scheinen unauflöslich. Droht der Ukraine die
Spaltung?

Prof. Luchterhandt: Vorläufig kann diese Frage nicht beantwortet
werden, weil alles davon abhängt, wie klug und weise die -
hoffentlich noch in diesem Jahr durch vorgezogene Wahlen an die Macht
kommende - neue Regierung agieren wird. Ich denke, die Ukraine muss
nun in eine Richtung gehen, die bei der letzten Debatte über die
Verfassung 1995/96 vehement abgelehnt wurde: der vorsichtige Einstieg
in eine Föderalisierung der Ukraine. Die Vernunft spricht dafür, das
Gesamtziel der Unveränderlichkeit der Grenzen weiterzuverfolgen. Der
Einstieg in die Bundesstaatlichkeit ist im Falle dieses so tief
gespaltenen Staates dabei eine noch nicht ausgeschöpfte Ressource.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

515632

weitere Artikel:
  • Sahra Wagenknecht: EZB mit dem Latein am Ende Berlin (ots) - "Die EZB ist mit ihrem Latein am Ende", kommentiert Sahra Wagenknecht die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), den Leitzins unverändert bei 0,25 Prozent zu belassen. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter: "Eine sinnvolle Geldpolitik geht nur ohne Finanzcasino. Deflation auf den Gütermärkten, aber Inflation bei Energie und Lebensmitteln - das lässt sich nicht zinspolitisch bekämpfen. Eine weitere Zinssenkung würde die Kreditklemme bzw. den investitionsstreik in Europa ohnehin mehr...

  • Pflegekammer Rheinland-Pfalz bedeutet: Zwangsmitgliedschaft, Zwangsbeiträge und Zwangsbürokratie +++Arbeitgeberverband Pflege lädt zum Hintergrundgespräch am 12. März 2014, 11:00 Uhr, ein+++ Berlin (ots) - Sehr geehrte Damen und Herren, Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP) sowie Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des AGVP und Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensgruppe Pro Seniore, laden Sie sehr herzlich zu einem Hintergrundgespräch zum Thema "Gründung einer Pflegekammer in Rheinland-Pfalz" ein. "Die Gründung einer Pflegekammer bedeutet durchweg Zwang; dies für Mitgliedschaft, Beiträge und weiter ausufernder Bürokratie. Minister Schweitzer will gegen den offensichtlichen Willen mehr...

  • Frankfurter Rundschau: Kommentar zur steigenden Zahl von Asylbewerbern in Deutschland, die aus EU-Randstaaten kommen / Titel: Jenseits der Wirklichkeit Frankfurt (ots) - Nach europäischem Recht müssen Flüchtlinge grundsätzlich in dem EU-Land ihr Asylverfahren durchlaufen, in das sie als erstes eingereist sind. Reisen sie trotzdem weiter, droht ihnen die Abschiebung... So weit die Theorie - doch die Dublin-II-Verordnung funktioniert nur auf dem Papier. 2013 war bereits ein Drittel aller Asylgesuche hier ein Dublin-Verfahren: Jeder dritte Flüchtling kam über ein anderes EU-Land nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen. Deutschland hat sich bislang immer gegen eine gerechtere mehr...

  • Steinbach: Todesurteile in Nordkorea zeigen unerträgliches Ausmaß der Christenverfolgung Berlin (ots) - Nordkorea will laut einem Medienbericht einer südkoreanischen Tageszeitung 33 Personen wegen Kontakts zu einem christlichen Missionar hinrichten. Dazu erklärt die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Erika Steinbach: "Diese jüngsten Urteile zeigen einmal mehr das unerträgliche Ausmaß der Christenverfolgung unter Kim Jong-un. Wir sind verpflichtet zur Solidarität mit diesen Menschen in Not und werden unseren Einsatz für das Menschenrecht mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zur Kriminalstatistik Sachsen-Anhalts Halle (ots) - Der Personalabbau bei der Polizei hat gerade möglicherweise ernste Folgen. Seit 2008 ist die Zahl der Beamten um etwa ein Viertel gesunken. Und jetzt ist das zweite Mal in Folge die Zahl der Straftaten gestiegen. Zugegeben, der Anstieg ist mit 2,5 Prozent nicht dramatisch. Man muss aber befürchten, dass ein Trend dahinter steht: Weniger Polizisten führen zu weniger Abschreckung und mehr Kriminalität. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) nutzt die Zahlen, um die Notwendigkeit seiner umstrittenen Reform zu untermauern. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht