(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Respektlos und rasant - Matteo Renzi ist für die Italiener ein echter Hoffnungsträger. Er hat eine Chance verdient. Von Julius Müller-Meiningen

Geschrieben am 16-02-2014

Regensburg (ots) - Regierungen wechseln in Italien beinahe so
häufig wie die Jahreszeiten. Mario Monti war 17 Monate
Ministerpräsident, sein Nachfolger Enrico Letta zehn Monate. Jetzt
ist Matteo Renzi, der respektlose Bürgermeister von Florenz, an der
Reihe, der seinen Vorgänger Letta in einem parteiinternen Putsch aus
dem Amt gejagt hat. In den kommenden Tagen wird ihm Staatspräsident
Giorgio Napolitano das Mandat zur Bildung einer Regierung erteilen.
Monti und Letta gewannen als seriöse Politikertypen schnell das
Vertrauen der wichtigsten EU-Partner. Die Italiener begeisterten sie
nicht. Beim unverschämten Renzi ist es andersherum. Bei seinen
Landsleuten kommt er an. International ist er ein unbeschriebenes
Blatt. Der Verdacht liegt nahe, hier profiliere sich mal wieder einer
auf Kosten der Italiener. Doch Renzi verdient eine Chance. Seit sich
der erst 39 Jahre alte Bürgermeister in den Ring der nationalen
Politik begeben hat, setzt er zwar vor allem eine Duftmarke:
Respektlosigkeit. Diese Chuzpe war auch in der Auseinandersetzung mit
seinem Parteifreund Letta zu beobachten. Erst versicherte der neu
gewählte Sekretär der Demokratischen Partei (PD) dem Premier, er habe
es nicht auf seinen Job abgesehen. Kurz darauf zwang er ihn mit einem
Votum des höchsten Parteigremiums aus dem Amt. Das war stillos. Für
Renzi ist Stil allerdings eine zu vernachlässigende Kategorie. Das
kann man ihm übelnehmen. Der positive Aspekt dieser Respektlosigkeit
ist aber, dass Renzi sie auch den verkrusteten Strukturen in Italien
entgegenbringt. Nun muss er zeigen, dass sein Mantra von der
"Verschrottung" der bisherigen Politikerklasse auch für die
italienischen Unzulänglichkeiten gilt und er es ernst meint mit dem
Abbau der Bürokratie, mit der Reform des Arbeitsmarkts und der Reform
der Institutionen. Seine große Chance ist die Geschwindigkeit, mit
der er sich durch die italienischen Institutionen bewegt. Erst im
Dezember wurde der Kommunalpolitiker von knapp drei Millionen
Italienern mit Dreiviertelmehrheit zum Vorsitzenden der größten
Mitte-Links-Partei Italiens gewählt. Jetzt wird er Ministerpräsident.
Ein so rascher Aufstieg ist beispiellos in der italienischen
Geschichte. Natürlich birgt der kometenhafte Aufstieg auch Risiken.
Doch die Geschwindigkeit, mit der sich Renzi bewegt, ist sein Trumpf.
Er verfügt wegen seines unkonventionellen, jugendlichen Auftretens
und wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen über
großen Rückhalt in der Bevölkerung. Auch die Italiener haben schon
lange den Respekt vor den Institutionen und ihren Vertretern
verloren. Sie lassen sich rasch von Kräften einnehmen, die sich als
Fremdlinge im politischen Betrieb verkaufen. Die Beispiele des
Ex-Komikers Beppe Grillo und seiner 5-Sterne-Bewegung, aber auch von
Silvio Berlusconi belegen dies. Seriös auftretende Verwalter wie
Monti oder Letta haben in Italien keine Chance. Zu hoffen ist, dass
Renzi seinen Schwung auch für die notwendigen Reformen nutzen kann.
Auch konservative Parteien reagieren mit Neugier auf den Neuen aus
der Toskana. Niemandem in Italien wird so viel zugetraut wie dem
Bürgermeister von Florenz. Diesen Bonus an Vertrauen kann Renzi gut
gebrauchen. Er ist im Moment der einzige italienische Politiker, der
noch Opfer von der resignierten Menge verlangen kann. Für Renzi
spricht aber vor allem, dass er fertiggebracht hat, was seinen
Vorgängern seit knapp zehn Jahren nicht gelungen ist. Er hat in
wenigen Wochen einen Reformkompromiss für eine Änderung des
Wahlrechts und der Umwandlung der zweiten Parlamentskammer zustande
gebracht. Dass dieser Kompromiss, der sobald wie möglich vom
Parlament verabschiedet werden muss, mit Silvio Berlusconi zustande
kam, hat viele auf Seiten der Linken verärgert. Auch für solche
Empfindlichkeiten hat Renzi keinen Respekt.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

512229

weitere Artikel:
  • Weser-Kurier: Kommentar zum Linken-Parteitag Bremen (ots) - Doch was bedeuten diese Grabenkämpfe für die Partei? Die Linke ist noch jung. Bei ihrer Gründung wurde eine Regelung beschlossen, die mitgliederschwächeren West-Verbände im Delegiertenschlüssel zu begünstigen. Das ist jetzt vorbei. Seit Ende 2013 herrscht Gleichberechtigung. Die Lager müssen nun eine Kultur finden, wie sie künftig miteinander umgehen wollen. Vielleicht gehört derlei Tauziehen auch zum politischen Erwachsenwerden. Es bleibt abzuwarten, ob durch diese Öffnung der Linken auch auf anderen politischen Ebenen mehr...

  • Ostthüringer Zeitung: Rassistischer Groll - Dirk Hautkapp kommentiert das Urteil gegen einen Weißen, der in den USA einen Schwarzen erschoss Gera (ots) - Bevor ein falscher Eindruck entsteht: Der Mann, der in Florida wegen einer Nichtigkeit den Tod eines 17-Jährigen zu verantworten hat, kommt nicht heil aus der Sache raus. 60 Jahre Haft sind kein Freispruch. Solange wird Michael Dunn aller Voraussicht nach Zeit haben, um über sein Ego und seinen im Prozessverlauf offenkundig gewordenen rassistischen Groll gegen Schwarze nachzudenken. Dass seine Tat von den Geschworenen nicht als vorsätzlicher Mord gewertet wurde, sendet dennoch ein betrübliches Signal: Amerika, in mehr...

  • Weser-Kurier: Kommentar zum Fall Edathy Bremen (ots) - Der Fall Edathy, wenn man ihn denn so nennen darf, offenbart vielmehr eine Maßlosigkeit im Umgang mit Recht und Gesetz, die fassungslos macht, nicht nur aufseiten der Koalition. In der Ermittlungsakte, die der "Süddeutschen" vorliegt, steht neben der Tatsache, dass Edathy nichts Illegales besessen habe, dass "aufgrund kriminalistischer Erfahrung" davon auszugehen sei, dass er auch strafbares Material besitze. Damit wird die Unschuldsvermutung mit Füßen getreten. Sie ist ein eherner Grundsatz unseres Rechts. Eine weitere mehr...

  • Rheinische Post: Innenausschuss-Vorsitzender Bosbach fordert Überprüfung von Kinderporno-Gesetzen Düsseldorf (ots) - Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, hat eine Überprüfung der Gesetze zur Kinderpornografie gefordert. "Der Fall Edathy muss zum Anlass genommen werden, um zu überprüfen, ob es eine Schutzlücke im Gesetz gibt", sagte Bosbach der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montagausgabe). "Es muss sichergestellt sein, dass nicht die Grenze von Natürlichkeit zu Missbrauch überschritten wird, die Kinder entwürdigt", betonte Bosbach. Man brauche einen Straftatbestand, der sicherstelle, mehr...

  • Rheinische Post: Linken-Chef Riexinger: "Oppermann kann sein Amt nicht mehr richtig ausfüllen" Düsseldorf (ots) - Der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, sieht Oppermann in seinem Amt als SPD-Fraktionschef nicht mehr haltbar. "Oppermann tut so, als ob der Verrat von Dienstgeheimnissen erlaubt wäre, solange es der SPD nutzt. Das ist ein eklatanter Mangel an Rechtsverständnis", sagte Riexinger der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montagausgabe). Der Linken-Chef betonte "Er kann sein Amt nicht mehr richtig ausfüllen. Jede Einlassung bringt neue Widersprüche. Er wird zur Belastung für die Regierung." Pressekontakt: mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht