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"DER STANDARD"-Kommentar: "Ihnen bleibt nur die Straße" von Adelheid Wölfl

Geschrieben am 09-02-2014

Die Änderung der bosnischen Verfassung löst noch keine
wirtschaftlichen Probleme - Ausgabe vom 10.2.2014

Wien (ots) - Die Destruktion des Absurden ist konstruktiv" steht
auf einem der Plakate der Demonstranten auf der Tito-Straße in
Sarajevo. Mit dem "Absurden" ist die Verfassung von Dayton gemeint,
die Bosnien-Herzegowina 1995 von der Internationalen Gemeinschaft
aufgedrückt wurde. Das Erfrischende an den jetzigen Protesten ist,
dass das bosnische System erstmals nicht mit ethno-nationalistischen
Argumenten von Parteien angegriffen wird, sondern dass Bosnier (jeder
Nationalität - auch in der Republika Srpska wurde demonstriert) ganz
einfach nicht mehr so viel Geld für etwas ausgeben wollen, das ihnen
nichts bringt. Die Bürger melden sich. Bereits im Vorjahr waren sie
mit der "Babyrevolution" erfolgreich: Ein gefordertes Gesetz kam
unbosnisch schnell. Der Druck der Straße ist in dem
südosteuropäischen Land das einzige Mittel, das ihnen bleibt. Denn
bei Wahlen haben die Bosnier in Wahrheit keine Wahl: Die Verfassung
ist so sehr am Ethno-Proporz orientiert - in jedem Amt und Amterl
muss ein Vertreter der Serben, Bosniaken und Kroaten sitzen -, dass
für tatsächliche Politik kein Platz bleibt. "Organisierte
Unverantwortlichkeit" könnte man die Struktur nennen, in der auch
wegen der Vetomöglichkeiten niemand in die Pflicht genommen werden
kann. Gleichzeitig verstärkt Dayton die Ethnisierung der Menschen,
weil die ethnische Zugehörigkeit für alles entscheidend ist und der
Machtkampf zwischen den drei Gruppen institutionalisiert wurde. Ein
normaler politischer Wechsel ist nicht möglich. In diesem "kalten
Frieden" haben die bosnischen Politiker nichts dazu beigetragen, das
Land wirtschaftspolitisch weiterzubringen, die Gesetze wurden nicht
an die EU-Legislatur angeglichen, es wurden nicht einmal
Institutionen geschaffen, um die Ausfuhr von Produkten in das
Neo-EU-Land Kroatien zu ermöglichen. Es gibt keine
Wettbewerbsbehörden, und die Privatisierungen gingen so intransparent
wie brutal vonstatten. Übrig geblieben sind ohnmächtige Bürger.
Allerdings richten sich deren Proteste in erster Linie nicht gegen
Dayton, sondern gegen die Demütigungen des Alltags, dagegen, dass man
sich nicht leisten kann, zum Zahnarzt zu gehen oder Gemüse zu kaufen,
gegen die Schmiergeldforderungen in Spitälern und dagegen, dass es
keine Jobs gibt - außer beim Staat, außer über die Parteien. Eine
Verfassungsänderung sollte zudem gerade in Bosnien-Herzegowina mit
Bedacht gemacht werden, weil sie große Ängste auslösen kann, was man
in den vergangenen Jahren sehen konnte. Sie würde außerdem nicht die
wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen, deretwegen die Bosnier
nun auf die Straße gehen. In der gesamten Region gibt es in den
vergangenen Jahren keine nennenswerten Investitionen. Die
wirtschaftliche und soziale Katastrophe sind Folgen des unbewältigten
Strukturwandels. Nach dem Zerfall Jugoslawiens, das über einen
eigenen Markt verfügte, setzte die Internationale Gemeinschaft in
Bosnien-Herzegowina ausschließlich auf Sicherheit, die
wirtschaftliche Entwicklung wurde überhaupt nie in Angriff genommen.
In dem Land, in das Milliarden an Hilfsgeldern geflossen sind, blieb
der Aufbau von Infrastruktur aus. Die Autobahn ist heute ein paar
Kilometer lang, der Zug nach Zagreb braucht neun Stunden. Der
bosnische Frühling kann also nur zu einem bosnischen Sommer werden,
wenn ernsthaft an einer wirtschaftlichen Strategie in der gesamten
Region gearbeitet wird.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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