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Landeszeitung Lüneburg: Es wird eng für den Aal / Stella Nemecky (WWF): Wende der EU zu schonender Fischbewirtschaftung könnte für manche Arten zu spät kommen

Geschrieben am 16-01-2014

Lüneburg (ots) - Lob von Fischern wie von Umweltschützern
kassierte die EU jüngst für die Fischfangquoten 2014. Laut EU würden
bereits mehr als 60 Prozent der Fischbestände in der Nordsee
nachhaltig bewirtschaftet. "Ein guter Trend nach den rabenschwarzen
Jahren der Vergangenheit", sagt Stella Nemecky vom WWF. Doch es sei
zu früh, um Entwarnung zu geben, betont sie im Interview.

Die Fischbewirtschaftung galt lange als Paradebeispiel für
Misswirtschaft. Nun wurde die EU sogar von Umweltschützern gelobt.
Ist die EU auf dem Weg zu einer schonenden Bewirtschaftung der
Fischbestände?

Stella Nemecky: Das ist sie durchaus. Allerdings muss man für eine
endgültige Bewertung noch abwarten. Grundsätzlich kann man aber
sagen, dass die Reform der Fischereipolitik eine deutliche
Verbesserung darstellt. Diese erste Quotenvergabe nach der Reform im
Dezember hat gezeigt, dass es Bestrebungen im Fischereiministerrat
gibt, die Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften. Zuvor war es
über Jahrzehnte so, dass teuer bezahlter wissenschaftlicher Rat
kurzerhand über Bord geworfen wurde, indem willkürlich hohe
Fangquoten beschlossen wurden. Als Richtgröße für gesunde, produktive
Fischbestände gilt der sogenannte höchstmögliche Dauerertrag. Also
die Menge Fisch, die ein Fischbestand unbegrenzt liefern kann, ohne
dass der Bestand gefährdet wird. Der wurde nun als Management-Prinzip
verankert. Leider wurde keine Frist benannt, bis wann die
europäischen Bestände die sichere Bestandsgröße erreicht haben
sollen. Andere Vorhaben wie die Verabschiedung von Mehrjahresplänen
und eines Rückwurfverbotes sind zwar begrüßenswert, aber beurteilen
muss man letztlich, wie gut sie umgesetzt werden.

Hören die Politiker heute eher auf die Empfehlungen der
Wissenschaftler?

Nemecky: Ja. Die jüngste Fangquotenvergabe hat es gezeigt.
Überwiegend folgt sie dem Rat der Forscher, leider nicht überall. Ein
besonders schlechtes Beispiel für anhaltende Ignoranz der Politiker
sind die Fangmengen, die für Seezunge in der Irischen See beschlossen
wurden. Dieser Bestand ist bereits stark überfischt und droht zu
kollabieren. Die Wissenschaftler empfahlen eine Schließung der
Fischerei. Dennoch darf er auch weiterhin befischt werden.

Fast ein Drittel der weltweiten Fischbestände ist überfischt,
weitere 57% sind bis an ihre Grenzen genutzt. Seit 1950 hat sich die
Menge des angelandeten Fischs verfünffacht. Kommt die Einsicht zu
spät?

Nemecky: Das wollen wir nicht hoffen. Die Einsicht kommt in der
Tat sehr spät, so dass es für manche Fischbestände wie die des
Europäischen Aals sehr eng werden wird. Auch beim
Blauflossen-Thunfisch und dem Nordsee-Kabeljau gibt es zwar erste
Erholungstendenzen, doch die Bestände sind nach wie vor gefährdet.

Der Rückwurf des Beifangs soll erst später verboten werden - zu
spät?

Nemecky: Das Rückwurfverbot ist insgesamt sehr schwierig zu
bewerten. Das liegt unter anderem daran, dass es erst im Rahmen
sogenannter Mehrjahrespläne umgesetzt werden soll. Sie legen für
mehrere Jahre fest, wie die Fischerei gemanagt wird. Doch diese
stecken derzeit im europäischen Räderwerk fest, Kommission und Rat
können sich noch nicht einigen. Wie das Rückwurfverbot jeweils
regional und bezogen auf die Art der Fischerei umgesetzt wird, bleibt
abzuwarten. Manche Fischereien können das Rückwurfverbot relativ
schmerzfrei umsetzen, etwa die pelagischen Fischereien, die über dem
Meeresboden im Freiwasser z.B. Hering fischen. Diese werden das
Rückwurfverbot schon 2015 umsetzen. Bei der gemischten Fischerei in
der Nordsee wird die Umsetzung des Rückwurfverbotes dagegen deutlich
schwieriger werden. Zudem besteht die Gefahr, dass allzuviele
Ausnahmen das Ziel verwässern.

Wäre es sinnvoll, Beifang auch zu verkaufen oder auf die Quote des
eigentlichen Zielfischs anzurechnen?

Nemecky: Die Möglichkeit, den Beifang anders als bisher verkaufen
zu können, ist sehr zwiespältig. Es darf kein Anreiz geschaffen
werden für den Fang anderer Arten, denn das würde einen
entsprechenden Markt erst schaffen. Es muss das Ziel bleiben, den
Beifang bereits auf See zu vermeiden. Dennoch soll bereits gefangener
und toter Fisch genutzt und nicht verschwendet werden. Der Fischer
sollte eine finanzielle Entschädigung erhalten, sonst hat er keinen
Anreiz, Fisch auch anzulanden, der nur Lagerraum belegt. Mit der
neuen Regelung darf man neun Prozent der Zielfisch-Quote auf Fänge
anrechnen, die der Fischer über oder ohne Quote gefangen hat. Hier
sind die Wissenschaftler, die die EU beraten, der Auffassung, dass
dies zur Überfischung seltener Arten beitragen kann. Zudem wird die
Übertragung von Quoten den Wissenschaftlern die Bestandsschätzung
erheblich erschweren. Der Beifang von seltenen Arten, für die es
keine Quote gibt, kann mit dieser Regelung quasi "legalisiert"
werden. Der Fischer kann gezielt auf Arten gehen, für die er keine
Quote besitzt. Er tauscht einfach die Quote für "billigen" Kabeljau
gegen das Recht, kostbaren Beifang wie Glatt- oder Steinbutt zu
vermarkten.

Wie soll kontrolliert werden, dass kein Beifang zurückgekippt
wird? Kameras oder Kontrolleure - was ist effektiv?

Nemecky: Beides, mehr Kontrolleure und der Einsatz von Kameras an
Bord wären begrüßenswert. Angesichts der Weite des Meeres kann man
aber nicht sicher kontrollieren, das ist das Hauptproblem des
Rückwurfverbotes. Deshalb reicht die Verhängung eines solchen
Verbotes alleine nicht aus. Es bedarf eines Bündels weiterer
Maßnahmen, etwa zeitweilige, gebietsbezogene oder saisonale
Schließungen und Netze, die die Fische besser selektieren. Es braucht
innerhalb des Subventionssystems jedoch entsprechende Anreize, damit
Fischer diese auch einsetzen, etwa. Problematisch ist auch, dass das
Anlandegebot nicht für alle Arten gilt. Der Fischer darf auch
weiterhin Fisch über Bord werfen. Etwa in Form von
fischereispezifischen Rückwurfpauschalen, die bis zu 5% betragen
können. Ebenso dürfen Arten, die keine Fangmengenbegrenzung haben;
deren Fang verboten ist sowie lebende Exemplare von Arten mit
wissenschaftlich erwiesener hoher Überlebensrate weiter über Bord
geworfen werden. Zieht ein Schiff einen Schwarm Vögel hinter sich
her, ist das für den Kontrolleur das sichere Zeichen, hier wird Fisch
zurückgeworfen. Ziehen aber alle Schiffe diese Schwärme von Vögeln
hinter sich her, weil es diese Ausnahmen gibt, kann kein Kontrolleur
aus der Distanz effektiv arbeiten. Er muss an Bord gehen, um zu
ermitteln, was über Bord geworfen wird. Auch hier gilt also: ob und
wie gut dieses Anlandegebot ist, wird erst die Zukunft zeigen.

Legt die EU die Axt beherzt genug an die übergroßen Fangflotten
etwa von Spanien und den Niederlanden?

Nemecky: Grundsätzlich nein, aber das ist ein vorläufiges Urteil.
Denn die Verhandlungen zum finanziellen Förderrahmen sind noch nicht
abgeschlossen. Gerade über den richtigen Einsatz von Subventionen
kann aber sehr viel gesteuert werden. Derzeit ist die europäische
Fangflotte noch doppelt so groß wie sie sein dürfte, um nachhaltigen
Fischfang zu ermöglichen. Gleichwohl sollen Subventionen eingesetzt
werden, um sie auszubauen. Hier hätte die Axt also eigentlich genug
Schiffsraum zu versenken.

Australien und Neuseeland haben Meeresschutzgebiete eingerichtet -
ein Vorbild für Europa?

Nemecky: Es sollte eines sein. Doch leider gibt es in dieser
Hinsicht in Europa noch erheblichen Nachholbedarf.
Meeresschutzgebiete in europäischen Gewässern existieren im Grunde
nur auf dem Papier. Es gibt kaum Einschränkungen bei der Nutzung.
Sand- und Kiesabbau oder die Fischerei sind in den meisten Fällen
erlaubt. Von dieser traurigen Regel gibt es nur sehr wenige
Ausnahmen, z.B. in der Küstenzone der Niederlande und Schwedens sowie
im Seegebiet von Irland und Spanien. Dabei zeigt die Erholung der
Fischbestände in streng regulierten Schutzgebieten, wie Neuseeland
und Australien sie eingerichtet haben, dass es sinnvoll wäre, sich an
diesen Ländern ein Beispiel zu nehmen.

Haben Fangmoratorien für extrem gefährdete Bestände Erfolge
gebracht?

Nemecky: Fangmoratorien gab es in den Fischgründen Europas sehr
sehr selten. In aller Regel behielten hier soziale und
wirtschaftliche Interessen die Oberhand. Bei manchen Beständen wäre
es sehr sinnvoll, etwa für den Europäischen Aal. Seit den 80er-Jahren
ist ein gravierender Rückgang der Population zu beobachten - ein
Fangmoratorium gab es aufgrund mangelnden politischen Willens
trotzdem nicht. Mittlerweile ist der Aal vom Aussterben bedroht.
Befischt werden darf er nach wie vor.

Schont die EU die eigenen, überfischten Bestände auf Kosten
derjenigen vor Afrika?

Nemecky: Nein, weil weder die heimischen Bestände ernsthaft
geschont wurden noch die vor den Küsten Westafrikas. Wir werden
abwarten müssen, ob der Druck auf die afrikanischen Bestände wächst,
wenn Europa tatsächlich eine ernsthaft schonende Bewirtschaftung
seiner Fischbestände gelingt. Grundsätzlich lässt sich aber sagen,
daß die Fischerei der europäischen Flotte in afrikanischen Gewässern
nun nach den gleichen Prinzipien der Nachhaltigkeit ausgeführt werden
soll wie in heimischen Gewässern.

Realisiert die Politik die Gefährdung durch die Erwärmung und
Versauerung der Meere?

Nemecky: Es gibt schon sehr viel Forschung zu diesen Auswirkungen,
gerade in Deutschland wurde auch sehr viel Geld in entsprechende
Wissenschaft gepumpt. Aber ernsthaften Niederschlag in der Politik
haben diese Erkenntnisse noch nicht gefunden.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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