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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christian Kucznierz zu Koalitionsvertrag

Geschrieben am 27-11-2013

Regensburg (ots) - Nicht alles, was zusammengefunden hat, gehört
auch zusammen. Das gilt auch für die große Koalition, die nun vorerst
unter Vorbehalt beschlossene Sache ist. Ihr Vertrag trägt die
Handschrift nicht der einen oder anderen Partei. Sondern die der
Notwendigkeit. Am Ende, nach Wochen der Qual, ist er geschlossen
worden, weil nichts anderes übrig blieb. Weder für Rot-Rot-Grün, noch
für Schwarz-Grün war die Zeit reif. Das ist bedauerlich. Weil nun bis
auf weiteres gilt: Alles ist gut. Nichts wird besser. Wie schlimm es
jetzt schon steht um diese Koalition, zeigt die Eilmeldung, die nach
der Unterschrift kam: "Koalitionsvertrag vorläufig unterzeichnet". Es
ist ein halbherziger Pakt, weil diejenigen, die ihn beschlossen
haben, ihn nicht final besiegeln können. Weil eine Abstimmung
ansteht. Und vieles nicht geklärt ist. Bestes Beispiel hierfür ist
die Pkw-Maut. Sie steht zwar wie von CSU-Chef Horst Seehofer
versprochen im Koalitionsvertrag. Allerdings nur als Vorsatz. Sie
soll im kommenden Jahr eingeführt werden, vorausgesetzt, sie ist mit
dem Europarecht vereinbar, und sie belastet den deutschen Autofahrer
nicht zusätzlich. Es ist bereits wochenlang klar, dass beide
Bedingungen erfüllt werden müssen. Bislang hat keiner eine Lösung
präsentieren können, weil es sie höchstwahrscheinlich nicht geben
kann. Die eine Frage, die sich daraus ergibt, ist, wie jetzt, trotz
wochenlanger offenbar ergebnisloser Verhandlung und monatelanger
Vorplanung, auf einmal irgendwer eine praktikable Lösung präsentieren
soll. Die andere lautet, warum man sich fünf Wochen Zeit gelassen
hat, um am Ende das in den Vertrag zu schreiben, was man schon
wusste. Die Maut ist aber auch aus einem anderen Grund bemerkenswert.
Die Tinte war noch nicht einmal trocken, da haben SPD und CDU sie
schon wieder infrage gestellt. Das macht nicht unbedingt Lust auf
eine Koalition, die so unsäglich lange auf sich warten ließ, dass
selbst die Bürger, die sie gewählt und gewollt haben, das Interesse
an ihr verloren, noch bevor sie überhaupt in trockenen Tüchern war.
Wobei diese Tücher nicht einmal bügeltrocken sind. Eigentlich sind
sie immer noch ziemlich klamm. Denn wie die SPD-Basis entscheiden
wird, ist unsicherer, als die Parteiführung das gerne darstellt. Vor
allem deswegen, weil die Zahl derer, die ihren Daumen heben oder
senken werden, winzig ist im Vergleich zu denjenigen, die gewählt
haben. Von gut 62 Millionen Wahlberechtigten haben 44 Millionen
gewählt. Elf Millionen haben für die SPD gestimmt, 18 für die Union.
Von den 29 Millionen, die eine große Koalition somit auf den Weg
gebracht haben, sind nun 475 000 gefragt, das Projekt gutzuheißen:
die SPD-Mitglieder. Wobei es reicht, wenn 20 Prozent von ihnen sich
an einem Mitgliederentscheid beteiligen. Das wären 95 000. Wenn also
am Ende 48 000 Menschen nein sagen, dann ist alles perdu. Dann drohen
Neuwahlen, eine handfeste Krise der SPD und ungewisse Konsequenzen
für den Ruf des Landes international. Manche an der SPD-Basis wären
frustriert genug, diesen Selbstmord aus Angst vor dem Tod in der
großen Koalition einzugehen. Wie groß die Furcht der Parteispitze vor
diesem Szenario ist, beweist, dass die Postenvergabe erst nach dem
Votum erfolgen soll. Weil sonst die Basis eine Entscheidung über
Personen, nicht Positionen fällen könnte. Ja, es stimmt: Diese große
Koalition ist schon schlechtgeredet worden, bevor sie überhaupt ins
Amt kam. Nicht alles ist schlecht oder wird es werden. Aber das heißt
nicht, dass alles gut wird. Es war von vornherein klar, dass die
große Koalition vor allem eine der großen Kompromisse sein wird. Weil
beide Partner doch zu unterschiedlich sind, weil die SPD auf der
Suche nach sich selbst ist und die Zwangsehe mit der Union dieser
Selbstfindung im Weg stehen könnte. Die Union hatte abwarten können.
Das Prinzip Merkel hat sich einmal mehr als selbsterfüllende
Prophezeiung erwiesen. Es geht weiter so. Mit kleinen Änderungen. Für
viele, vor allem für diejenigen, die Merkel gewählt haben - für "die
Union" haben die wenigsten gestimmt - ist das eine gute Nachricht.
Für das Land nur dann, wenn sich unter dem ganzen "weiter so" auch
Dinge finden, die nicht den Status quo zementieren, sondern dazu
beitragen, dass Deutschland weiter vorankommt. Die Gretchenfrage
dieser Koalition lautet: Wie hältst Du's mit Reformen?



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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