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Mittelbayerische Zeitung: Endspurt der Gehetzten / Dieser Tage entscheidet sich viel: wie Deutschland regiert wird, von wem und wofür Geld ausgegeben wird. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 25-11-2013

Regensburg (ots) - Es ist wie bei Marathonläufern, die über 40
Kilometer auf der Strecke getrödelt haben und nun, dennoch völlig
außer Puste und geschafft, auf die Zielgerade einbiegen. Das Ziel ist
zum Greifen nahe, doch bis zum Zielstrich müssen noch einmal die
letzten Kräfte mobilisiert werden. Und noch ist gar nicht sicher, ob
die schwarzen und roten Läufer überhaupt gemeinsam durchs Ziel gehen
werden. Die letzten Koalitionsrunden werden zum Endspurt von
Gehetzten. Es geht um viel: wie Deutschland regiert wird, von wem und
wofür Geld ausgegeben wird. Gehetzt wird etwa der schwergewichtige
SPD-Chef Sigmar Gabriel, der das Schicksal der großen Koalition - und
das eigene politische gleich mit - an das Votum seiner Genossen
geknüpft hat. Was sich anfangs als taktische Meisterleistung zur
Niederhaltung der Wahlsieger von der Union ausnahm, setzt Gabriel nun
dermaßen unter Zugzwang, dass ein völliges Scheitern nicht
ausgeschlossen ist. Sagt die Partei-Basis Nein zum Koalitionsvertrag,
dann könnte nicht nur der Niedersachse seinen Hut nehmen, sondern es
bräche auch eine tiefe Krise der Sozialdemokratie aus. Und die Union
müsste doch noch einen Anlauf für Schwarz-Grün wagen. Nach hessischem
Vorbild. Oder es käme zu Neuwahlen. Doch vor einem erneuten Urnengang
steht nicht nur das Wahlergebnis vom 22. September, das durchaus
Regierungskoalitionen ermöglicht, sondern auch Bundespräsident
Joachim Gauck. Der einstige Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler hat
bereits deutlich gemacht, dass er gar nicht daran denkt, den Weg zu
Neuwahlen zu eröffnen. Anders als einst Horst Köhler, bei Gerhard
Schröders kopfloser Flucht in Neuwahlen 2005. Sie müssen sich nun
also zusammenraufen, die "großen Drei", Angela Merkel, Sigmar Gabriel
und Horst Seehofer. Sie werden gehetzt vom Wähler, der mehrheitlich
eigentlich eine große Koalition wollte - aber inzwischen gar nicht
amüsiert zusieht, wie zäh und mühsam Union und Sozialdemokraten ein
Regierungsprogramm des Klein-Klein zusammenstümpern. Alles, was die
Unterhändler vier Wochen lang in zähen Runden auf Papier gebracht
haben, muss auf den Tisch der Parteichefs. Erst hier fallen in diesen
Stunden die Würfel in den wirklichen Knackpunkten der Koalition.
Bisher wurde viel zu viel in eckigen Klammern versteckt. Naturgemäß
geht es in den letzten entscheidenden Verhandlungsrunden auch schon
mal zu wie auf einem Basar: Der eine möchte seinen Preis möglichst
hochhalten, der andere möglichst drücken. Es geht dabei immer auch um
Macht, Einfluss, den Vorteil fürs eigene politische Lager, den
eigenen Regierungsposten. Und nicht zuletzt um die Ausgangsposition
für die nächste Wahl, denn es gibt auch eine Zeit nach der
ungeliebten großen Koalition. Das alles ist normal und nicht zu
beanstanden. Allerdings dürfen die jetzigen Schlussrunden nicht in
ein Geschacher zu Lasten der Steuerzahler ausarten. Kühle Vernunft,
solide Berechenbarkeit und gegenseitiges Vertrauen sind die
Grundpfeiler einer erfolgreichen Koalition. Merkel, Gabriel und
Seehofer wissen das. Den Erfolg von Schwarz-Rot wollen alle drei.
Also müssen sie der jeweils anderen Seite auch Erfolge gönnen. Und
zwar solche, die das Land voranbringen, nicht nur die eigene Klientel
oder die eigene Eitelkeit bedienen. Morgen dürfte fest stehen, ob der
Endspurt in die groß-Koalition erfolgreich war - oder ob man doch
noch gestrauchelt ist. Spannend.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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