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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christian Kucznierz zu Union/SPD

Geschrieben am 21-10-2013

Regensburg (ots) - Angela Merkel sollte insgeheim froh sein, dass
ihre Partei die absolute Mehrheit knapp verfehlt hat. Dann müsste sie
sich zwar nicht auf ein wochen- oder monatelanges Gehakel mit dem
potenziellen Partner einlassen. Sie würde aber feststellen, dass die
Bürger irgendetwas von ihr erwarten. Die Politik des "Weiter so" ist
kein tragfähiges Konzept für die Zukunft. Somit sind die jetzt
beginnenden Koalitionsverhandlungen eine gute Sache. Wer genau
hinsieht, kann aber auch zu dem Schluss kommen, dass eine große
Koalition paradoxerweise dazu führt, dass doch alles irgendwie weiter
so geht. Und das ist nicht unbedingt gut. Union und SPD können
prinzipiell miteinander. Das haben sie bereits zweimal unter Beweis
gestellt. In den Jahren 2005 bis 2009 stellte die große Koalition
viele Weichen richtig. Deutschland blieb in den Stürmen der
Finanzkrise stabil. Aber das ist lange her. Weder sind CDU und CSU
dieselben, noch ist die SPD heute die Partei, die sie damals war. Die
Jahre an der Seite der Kanzlerin haben die Genossen nachhaltig
geprägt. Wie tief die Narben sind, die die Rosenkriege der Zwangsehe
mit der Kanzlerin hinterlassen haben, zeigt die Ablehnung, die das
Projekt "große Koalition, Teil 3" an der Basis erfährt. Darüber
täuscht der Beschluss des kleinen Parteitags vom Wochenende nur kurz
hinweg. Die SPD muss ihr Gesicht wahren. Das ist völlig verständlich,
aber auch eine schwere Hypothek für die kommenden vier Jahre - sofern
alles läuft, wie von der Parteispitze geplant, und die Basis am Ende
ihren Segen für Schwarz-Rot erteilt. Denn unter dem Druck, irgendwie
eine Koalition hinzubekommen, drohen viele Projekte auf der Strecke
zu bleiben. Eine Zeit der Mimimallösungen und Prüfaufträge aber haben
wir erst hinter uns gelassen. Weitere vier Jahre wie die letzten
wären schwer zu ertragen. Angela Merkel hat es da besser als SPD-Chef
Sigmar Gabriel. Sie hat im Wahlkampf weniger versprochen und muss
deswegen auch weniger halten. Es muss nur irgendwie weitergehen. Denn
dafür ist sie gewählt worden. Die CDU verfällt in die Rolle, die sie
unter Merkel perfekt zu spielen gelernt hat: Sie wartet ab. Die CSU
bekommt derweil den mephistophelischen Part zugeschrieben, den ihr
Chef Horst Seehofer perfekt vorlebt: der Geist, der stets verneint.
Beispiel Mindestlohn: Bis zum Wochenende war klar, dass die
flächendeckende gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro in der
Stunde als erster Eckpfeiler der großen Koalition gesetzt ist.
Gestern hat die Verhandlungsführerin in der zuständigen
Arbeitsgruppe, Bayerns neue Wirtschaftsministerin Ilse Aginer (CSU),
das wieder infrage gestellt. Das Betreuungsgeld, das die SPD
abschaffen wollte, dürfen CDU/CSU wohl behalten, und Steuererhöhungen
zur Finanzierung der Sozialsysteme, wie von der SPD gefordert, sind
auch erst einmal vom Tisch. Die Genossen sind angesichts einer fast
allmächtigen Merkel in der schlechteren Position. Noch dazu, weil im
schlimmsten Fall der einstige Partner, die Grünen, bereitsteht, wenn
Schwarz-Rot nicht klappt. Große Koalitionen sind immer Ausnahmen, und
das hat gute Gründe. Diese große Koalition, sollte sie denn wirklich
zustande kommen, wird mehr als alle anderen sich selbst Opposition
sein. Dabei kann zwar Gutes entstehen. Weil die beiden großen
gesellschaftlichen Strömungen um die beste Lösung ringen müssen.
Vielleicht aber ist das zu anstrengend. Oder zu gefährlich. Weil man,
im Fall der SPD, die eigene Basis gegen sich hat. Oder weil man, im
Fall der Union, der SPD zu viel Erfolg nicht gönnen will. Vielleicht
wird das, was am Ende bei den Verhandlungen herauskommt, so
weichgespült sein, dass es für alle leicht verdaulich ist - was
nichts anderes ist, als das Geheimnis für Merkels Erfolg in
Koalitionen jeder Couleur. Das mag taugen, um das Land ein paar Jahre
weiter stabil zu halten. Das ist ein Wert an sich. Für tiefgreifende
und notwendige Reformen aber ist das zu wenig.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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