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DER STANDARD-Kommentar: "Die Rache der kleinen Leonarda" von Stefan Brändle

Geschrieben am 20-10-2013

Ein ausgewiesenes Roma-Mädchen destabilisiert die französische
Staatsgewalt (Ausgabe vom 21. 10. 2013

Wien (ots) - Die Ausweisung der Roma-Familie Dibrani ist in
Frankreich ein Fall unter vielen. Dass die Tochter Leonarda zu einem
politischen Symbol wurde und eine Regierungskrise auslöste, hat
seinen Grund nur darin, dass die 15-Jährige von der Polizei auf einem
Schulausflug wie eine Kriminelle "gepflückt" wurde.

Schon von daher ist es völlig unverständlich, warum Frankreichs
Präsident Fran?ois Hollande nur dem Mädchen die Rückkehr nach
Frankreich anbietet. Dass er damit eine Familie spalten könnte,
scheint ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein: Für Leonarda Dibrani
ist es kein Trost, dass sie über Nacht wurde, was Arigona für
Österreich war - ein Symbol.

In der Folge gingen in Paris tausende Mittelschüler und andere
Betroffene auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die unzimperliche
Ausweisung, aber auch dagegen, dass Präsident Fran?ois Hollande in
etwa den gleichen Roma-Kurs fährt wie sein konservativer Vorgänger
Nicolas Sarkozy.

Der sozialistische Staatschef wies die Polizeichefs im Land vor
einem Jahr zwar an, Roma-Lager nur noch zu schleifen, wenn
Ersatzlösungen für die Beherbergung, Einschulung oder Arbeitssuche
bestünden. Laut dem nationalen Ombudsmann wird diese Vorgabe aber
nicht befolgt. Wenn die Bulldozer die wilden Lager planiert haben,
werden die Roma so zahlreich wie zuvor ausgewiesen: Pro Jahr werden
so etwa 10.000 Roma von Frankreich nach Rumänien, Bulgarien oder
anderswo zurückgeflogen.

Der "Fall Leonarda" geht aber noch darüber hinaus und zeugt
generell von einem zunehmenden Frust linker Wähler in Frankreich.
Seit Monaten müssen sie zusehen, dass "ihr" Präsident einen
wirtschaftlichen Sparkurs fährt, der von Brüssel und Berlin
abgesegnet ist, im eigenen Lager aber auf harte Ablehnung stößt.
Jetzt zieht sich der Präsident auch noch den Ruf zu, er betreibe eine
ähnliche Sicherheitspolitik wie Sarkozy - und bemäntle dies mit einem
Angebot an Leonarda Dibrani, das in Wahrheit keines ist. Hollande
gerät damit nicht nur in die Kritik der EU-Kommission, sondern immer
mehr auch zwischen die politischen Fronten. Und zwar buchstäblich:
"Le front de gauche" links der Sozialisten verschafft sich immer mehr
Gehör, wie dies rechts außen auch der Front National (FN) von Marine
Le Pen tut. Bei den Kommunalwahlen Anfang nächsten Jahres deutet
alles auf einen FN-Erfolg und ein Debakel der Sozialisten hin.
Hollande laviert zwischen den Extremen und scheut, wie die
Leonarda-Affäre zeigt, auch faule Kompromisse nicht: Jeder andere
Entscheid wäre besser gewesen als sein Nichtentscheid. Deshalb war es
dem Präsidenten nur recht, dass sein Innenminister Manuel Valls eine
harte Tour gegen die Roma fährt. Laut Umfragen sind zwei Drittel der
Franzosen gegen die Rückkehr der jungen Kosovarin. Diese schweigende
Mehrheit wird im Frühling an die Urnen gehen.

Mit seiner Unentschlossenheit zieht Hollande aber kaum neue Wähler
an. Am wütendsten über seinen faulen Kompromissvorschlag war die
15-Jährige selbst, die unter Tränen erklärte, sie sei doch kein
"Hund", den man an der Leine herumführen könne. Auch die bis in die
eigene Partei negativen Reaktionen zeigen, dass Hollande diese Affäre
nicht ausgestanden hat. Das pummelige Roma-Mädchen mit dem schlechten
Französisch dürfte dem großen Präsidenten im Élysée noch manche
schlaflose Stunde bereiten.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
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