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Landeszeitung Lüneburg: Klare Absage an "Discountlösung" / Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner: Politikwechsel wäre unabdingbare Voraussetzung für eine Große Koalition

Geschrieben am 10-10-2013

Lüneburg (ots) - Die erste schwarz-grüne Sondierungsrunde ist
gelaufen, am Montag ist wieder die SPD dran, Ende kommender Woche
will die Union dann entscheiden, mit wem sie Koalitionsverhandlungen
aufnimmt. Zwar läuft vieles auf eine Große Koalition hinaus, aber die
"wird es nur geben, wenn es inhaltliche Veränderderungen, wenn es
einen Politikwechsel gibt", betont Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef
Ralf Stegner im Gespräch mit unserer Zeitung. Dabei sei klar, dass
die SPD nicht für "Discountlösungen" zu haben sei.

Die Kanzlerin hat SPD und Grüne auf eine selbstbewusste Union
eingestimmt und betont, Deutschland habe keinen Politikwechsel,
sondern Kontinuität gewählt. Wie selbstbewusst verhandelt die SPD?

Ralf Stegner: Wenn Deutschland Kontinuität gewählt hätte, hätte
Schwarz-Gelb eine Mehrheit bekommen. Die FDP ist aber krachend
abgewählt worden und die Union hat keine absolute Mehrheit. Frau
Merkel kann nur Kanzlerin bleiben, wenn sie eine Mehrheit im
Bundestag hat. Da die Kanzlerin nicht mit Herrn Gysi reden will,
bleiben nur die Grünen oder wir. Sicher, die SPD hat mit 25 Prozent
ein schlechtes Ergebnis und wäre eigentlich in der Opposition.
Trotzdem ist klar: An der Regierung beteiligen wir uns nur als
selbstbewusste SPD. Anders ausgedrückt: Ohne Politikwechsel gibt es
keine SPD-Regierungsbeteiligung, wir sind nicht die FDP.

Welche Lehren aus der Zeit der Großen Koalition von 2005 bis 2009
nimmt die SPD mit in die Sondierungen?

Stegner: Geschichte wiederholt sich nicht. Es gibt keinen
Automatismus, dass man für eine Regierungsbeteiligung bestraft wird.
Dennoch haben wir keine guten Erfahrungen mit Großen Koalitionen -
auch in Schleswig-Holstein nicht. Eine Lehre ist, dass man eigene
Erfolge herausstellt und natürlich, dass man sich nur an einer
Regierung beteiligen kann, wenn man nicht das Gegenteil von dem tut,
was man dem Wähler versprochen hat. Mehrheitsbeschaffer für Frau
Merkel ist also keine Rolle, die für die SPD in Frage kommt.

Es gibt einen gravierenden Unterschied zu 2005: Damals ein
Fliegengewicht, ist die SPD heute das Schwergewicht im Bundesrat, an
dem keine Regierung vorbeikommt. Wäre schon deshalb alles andere als
eine weitere Große Koalition eine Überraschung?

Stegner: Wir nehmen zur Kenntnis, dass viele in der Bevölkerung
eine Große Koalition wollen. Das ist bei vielen Parteimitgliedern
zwar anders. Aber die Menschen interessieren sich nicht für die
Befindlichkeiten der SPD, sondern dafür, was passiert bei den Themen
Arbeit, Rente, Bildung, Hilfe für die Kommunen oder soziales Europa.
Das sind auch unsere Kernfragen. Und wenn es hier keine Veränderungen
zur bisherigen schwarz-gelben Politik gibt, dürfen wir nicht in die
Regierung gehen. Können substanzielle Veränderungen erreicht werden,
dürften auch die SPD-Mitglieder zustimmen. Sigmar Gabriel hat mit dem
Mitgliederentscheid ein gutes Instrument geschaffen, dass einen
Politikwechsel quasi zur Voraussetzung macht.

Einer der Hauptknackpunkte scheint beigelegt. Die Steuerfrage sei
nicht mehr sakrosankt, Hauptsache es sei Geld da für Investitionen in
Bildung, Forschung und Infrastruktur, deutete SPD-Chef Sigmar Gabriel
an. Wie will ihre Partei dann dem Wahlkampfthema Gerechtigkeit
gerecht werden?

Stegner: Wer bessere Bildung schafft, den Kommunen hilft, mehr
Gerechtigkeit bei Rente und Pflege bewirkt und auch in eine bessere
Infrastruktur investiert, sorgt für eine gerechtere Politik. Die
dafür nötigen Mehreinnahmen können nicht von Arbeitnehmern oder
Rentnern kommen, sondern von denen mit den höchs"ten Einkommen oder
Vermögen. Steuererhöhung aus Selbstzweck war noch nie unsere
Position. Uns geht es darum, das finanzieren zu können, was dringend
notwendig ist in unserem Land. Wenn man zum Beispiel das unsinnige
Betreuungsgeld wieder abschafft, könnte man Milliarden sparen, die
woanders eingesetzt werden können. Wenn man dafür sorgt, dass es
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und ein höheres
Lohnniveau gibt, braucht man keine Steuermilliarden zur Aufstockung
von Dumpinglöhnen. Das sind Beispiele, wie man auch auf anderen Wegen
dazu kommt, mehr Geld etwa für Bildung zur Verfügung zu haben. Im
Übrigen gilt: Steuern sind kein Selbstzweck, aber man muss auch in
Koalitionsverhandlungen über höhere Steuern für die höchsten
Einkommen reden. Frau Merkel hat zum Beispiel zugesagt, dass es eine
Finanztransaktionssteuer in Europa gibt. Diese Steuer ist dringend
erforderlich zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in
Europa. Man muss auch über die Frage reden können, dass Arbeit nicht
stärker besteuert wird als Kapitalerträge. Aber noch steht ja nicht
fest, dass es überhaupt zu schwarz-roten Koalitionsverhandlungen
kommt.

Die Schere zwischen Reich und Arm klafft nicht wegen der Höhe des
Spitzensteuersatzes, sondern vor allem wegen der im internationalen
Vergleich geringen Besteuerung von Kapitalerträgen immer weiter
auseinander. Wäre eine höhere Besteuerung für Geld aus Vermögen nicht
wünschenswert?

Stegner: Die SPD hat beschlossen, dass die sogenannte
Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von 25 auf 32 Prozent erhöht
werden soll. Das muss auch unsere Position sein, wenn wir in
Gespräche mit der Union gehen. Generell gilt meiner Meinung nach,
dass es eine SPD-Regierungsbeteiligung nur gibt, wenn es eine
gerechtere Politik gibt. Schwarz-Gelb hat eine Politik gemacht, die
den Eigennutz in den Vordergrund gestellt hat. Das ist mit uns nicht
zu haben. Man sollte zwar nicht einzelne Punkte schon vor
Koalitionsverhandlungen in den Vordergrund rücken, denn das wäre
unprofessionell. Aber allen Parteien muss klar sein, dass es
gerechter zugehen muss in Deutschland. Das gilt auch für den Bereich
Bildung: Laut OECD-Studie fehlen uns 20 Milliarden Euro, nur um auf
das mittlere OECD-Niveau zu kommen. Wenn wir daran nichts ändern,
entscheiden wir negativ über die Lebenschancen junger Menschen. Das
kann man nicht wollen. Wenn wir jedem Kind die bestmögliche Bildung
bieten und kein Kind zurücklassen, werden wir später weniger für
Sozialtransfers aufwenden müssen.

Wäre eine Entlastung der Bürger - etwa durch eine Minderung der
kalten Progression, die laut Statistischem Bundesamt mit dafür
verantwortlich war, dass die Reallöhne im zweiten Quartal 2013 erneut
nicht gestiegen sind - nicht zwingender als Steuererhöhungen?

Stegner: Wenn man das Geld dafür hätte, ja. Aber wir reden hier
nicht von Durchschnittslöhnen. Wir müssen uns vorrangig um die Masse
der Menschen, die hart arbeiten, aber wenig verdienen, oder um
diejenigen, die als Rentner mit wenig Geld zurechtkommen müssen,
kümmern. Das müssen wir in Ordnung bringen. Wer darüber hi"naus auch
Besserverdienende entlasten will, muss sagen, woher das Geld dafür
kommen soll. Von den Grundrechenarten her ist 2 plus 2 gleich 4. Die
FDP hat immer versucht zu argumentieren, 2 plus 2 sei 3, bei der
Union kam 5 heraus - etwa durch Betreuungsgeld und Mütterrente. Die
Bürger wissen aber, dass das Ergebnis nur 4 sein kann. Für mich ist
wichtig, dass es der SPD nicht um Instrumente geht, sondern um
Inhalte von Politik. Wir brauchen eine Umsteuerung, die zu mehr
Gerechtigkeit führt.

Die SPD pocht auf einen flächendeckenden Mindestlohn. Könnte der
Streitpunkt durch eine Einigung auf das "Thüringer Modell", wonach
eine unabhängige Kommission unter Einbeziehung der Tarifparteien
jährlich einen verbindlichen Mindestlohn für alle Branchen festlegt,
elegant entschärft werden?

Stegner: Über solche Details will ich schon vor möglichen
Koalitionsverhandlungen nicht reden. Aber klar ist, dass die SPD
diese Position nicht aufgeben wird. Wir bestehen auf einem
flächendeckenden Mindestlohn und darauf, dass Männer und Frauen
gleiche Löhne für gleiche Arbeit erhalten. Jeder weiß, dass wir diese
Positionen nicht aufgeben. Wer das nicht will, muss sich andere
Koalitionspartner suchen. Es ist ja nicht so, dass die SPD Schlange
steht, um mit Frau Merkel regieren zu dürfen. Ich muss auch in aller
Demut sagen: 25 Prozent sind kein dolles Ergebnis, damit geht man
normalerweise in die Opposition. Das einzige, was wir nicht tun
dürfen, ist, dem Souverän zu sagen: Weißt du was, das Wahlergebnis
passt uns nicht. Lass uns doch neu wählen. Es darf auch nicht der
Eindruck entstehen, dass die SPD nur ein paar Ministersessel will und
dafür Inhalte aufgibt. Dann wäre unsere Glaubwürdigkeit extrem
beschädigt.

Hätte eine Minderheitsregierung der Union nicht mehr Charme, weil
sich dann alle Parteien besser profilieren könnten?

Stegner: Es gibt viele Denkmodelle oder theoretische Modelle. Aber
das größte Land in Europa muss in diesen Zeiten stabil regiert
werden. Wie das geht, muss man sehen. Fest steht aber: Die SPD ist
noch nie eine Desperado-Partei gewesen. Und: die SPD ist nicht die
FDP, Discountlösungen gibt es mit uns nicht.

Bleibt Ihr Platz auch im Fall einer Großen Koalition in Kiel?

Stegner: Ich bin hier Landesvorsitzender und gerade erst
wiedergewählt worden. Ich habe große Freude an diesem Amt, auch am
Amt des Fraktionsvorsitzenden, und werde ja auch, wie man gerade
sehen kann, gelegentlich gebraucht. Im Übrigen: Wenn wir sagen, uns
geht es um Inhalte und nicht um Pöstchen, gilt das für jeden. Alles
andere findet sich.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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