(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Hasspropaganda: Jahrzehntelang haben die Behörden rechtsradikale Umtriebe unterschätzt. Das darf nie wieder geschehen. Von Reinhold Willfurth

Geschrieben am 09-08-2013

Regensburg (ots) - Neun Übergriffe, 13 Sachbeschädigungen, 77
Aufmärsche und Kundgebungen, 35 interne Veranstaltungen, sieben
Konzerte, insgesamt 166 registrierte Aktionen von Neonazis im ersten
Halbjahr dieses Jahres - für das "Nationale Bündnis Oberpfalz" eine
schöne Zwischenbilanz. Um "satte 16 Prozent" sei der "Nationale
Widerstand" gewachsen, frohlockt der anonyme Autor auf der Website
der parteifreien Neonazis in der Region, die sich im "Freien Netz
Süd" (FNS) sammeln. Allerdings bejubelt der Aktivist die Lage in
Thüringen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er seine Meldung
mit einem Screenshot aus einem der zynischen "Paulchen-Panter"-Videos
der NSU-Mörder garniert, die im Nachbar-Bundesland Unterschlupf und
Helfer gefunden hatten. In Bayern sieht es für den "Nationalen
Widerstand" bei weitem nicht so gut aus, glaubt man den Zahlen aus
der Halbjahresbilanz des Verfassungsschutzes, die Innenminister
Joachim Herrmann am Freitag vorgestellt hat. Eine minimale Steigerung
der rechten Straftaten listet der Inlandsgeheimdienst auf - also
nicht der Rede wert? So hat man lange gedacht im Freistaat.
Jahrzehntelang kam die Gefahr zuerst und vor allem von links. Ein
erster Warnschuss für die Politik mit entsetzlichen Folgen für die
Opfer war 1980 das Oktoberfest-Attentat. Dann kam lange nichts, bis
die Münchener Polizei 2003 einen gewissen Martin Wiese festnahm.
Wiese wurde später zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er geplant
hatte, am 9. November 2003, pünktlich zum 65. Jahrestag der
Reichspogromnacht, das neue jüdische Zentrum in München in die Luft
zu sprengen. Eine Partei wie die NPD war für Wiese übrigens nichts,
er trat lieber den extremeren Kreisen von der "Kameradschaft Süd"
bei. Und dann kam der Schock mit den NSU-Morden. Bayern ist das
Bundesland, in dem fünf der zehn Morde geschahen. Dass die Behörden
im Freistaat die Gefahren durch den Rechtsradikalismus jahrelang
falsch ein- und völlig unterschätzt hat, darüber waren sich alle
Parteien im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags einig. Der
einstige Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein nennt
die Mordserie eine "Niederlage des Rechtsstaats". Es war, das muss
man so sagen, auch eine Niederlage des Freistaats. So etwas wollen
sich Becksteins Amtsnachfolger Hermann und Seehofer nicht nachsagen
lassen. Die NSU-Morde haben die Menschen entsetzt. Keiner könnte
verstehen, wenn die Machenschaften der braunen Kameraden jetzt nicht
genauer unter die Lupe genommen würden. Also setzte der bayerische
Innenminister im Juli mit 700 Polizisten eine Razzia unter den
FNS-Führungskräften an, und das war gut so. Jetzt werden die
zahlreich sichergestellten Waffen, PCs, NS-Devotionalien und
Propagandamaterialien daraufhin untersucht, ob man diese freien
Radikalen verbieten könnte. Es wäre höchste Zeit, denn die
Kameradschaften mit Migliedern wie Martin Wiese abseits der immer
mehr an Boden verlierenden und zerstrittenen NPD wollen einen Staat,
der alle Werte infragestellen oder vernichten will, die uns das
Grundgesetz als Leitfaden für ein friedliches Zusammenleben in diesem
Land gegeben hat. Ob Hermanns Razzia die Szene "spürbar verunsichert"
hat, wie er behauptet, steht freilich dahin. Auf der FNS-Website wird
jedenfalls fleißig weiter gezündelt. Einer der neuen Beiträge darauf
befasst sich mit der "Haßpropaganda" von Charlotte Knobloch, der
Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Das FNS aber charakterisiert mit diesem Schmähbegriff nur einen: sich
selbst.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

479205

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zu verschlüsselter E-Mail Halle (ots) - Zugegeben, es erstaunt den unbedarften E-Mail-Nutzer schon, wenn er erfährt, dass es von heute auf morgen technisch und offenbar ohne größere Kosten möglich ist, den gesamten E-Mails-Verkehr zu verschlüsseln. Dass erst der NSA-Abhörskandal die Unternehmen zu diesem Schritt veranlasst hat, ist blamabel. Schließlich hätte ihnen der Schutz der Kundendaten auch vorher schon am Herzen liegen können. Insofern kommt das Ganze zu spät, was tatsächlich kritikwürdig ist. Aber besser spät als nie. Wenn sich jetzt die Großen der mehr...

  • WAZ: Arbeiterkinder holen auf - Kommentar von Wilfried Goebels Essen (ots) - Der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen in NRW ist ungebrochen. Noch leben im Ruhrgebiet mehr Menschen ohne Schulabschluss als in anderen Regionen der Republik - die Aufholjagd der Arbeiterkinder bei den Diplomen aber läuft auf Hochtouren. Eine gute Schulbildung ist die Eintrittskarte in eine immer komplexere Arbeitswelt. Wenn aber immer noch jeder Fünfte keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen kann, wirft dies ein Schlaglicht auf die Herausforderungen an die Bildungspolitik. Hohe Abiturquoten sind unverzichtbar, mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zur Debatte um Länderfusionen Halle (ots) - Geistiger Reichtum ist ein hoher Wert. Deshalb ist geistige Verarmung verheerend. Doch kann die Landespolitik, selbst wenn sie es noch so geschickt anstellte, diese verhindern? Man muss zweifeln. Und so ist es nicht verkehrt, tabulos nachzudenken. Über neue Länderstrukturen, zum Beispiel. Über Kleinstaaterei. Doch die vermeintliche Zauberformel "Großes gut, Kleines schlecht" funktioniert nicht. Dafür gibt es in Deutschland etliche Beispiele. Also ist nicht nur über Länderfusionen zu reden, sondern auch über Aufteilung. mehr...

  • DER STANDARD-Kommentar: "Straches Irrweg" von Elisabeth Steiner "Turbulenzen in der Kärntner FPÖ"; Ausgabe vom 10./11. 8. 2013 Wien (ots) - Heinz-Christian Strache dürfte den Tag schon verflucht haben, an dem er die doppelt gewendeten Kärntner Freiheitlichen von ihrem "Irrweg" zurück in den Schoß der Mutterpartei geholt hat. Erst bescherten die Kärntner ihm und sich selbst ein historisches Wahldebakel bei der Landtagswahl. Jetzt droht in Kärnten eine weitere ungebremste Talfahrt bei der Nationalratswahl. Zudem sind die Kärntner Blauen in unzählige Korruptionsaffären verwickelt, die auch schon bedrohlich mehr...

  • WAZ: Sichere E-Mails sind ein Anfang - Kommentar von Sven Frohwein Essen (ots) - Das Vertrauen der Deutschen in die Sicherheit ihrer Daten ist nach Bekanntwerden der NSA-Spähaffäre im Eimer. Zwei Drittel der Befragten einer aktuellen Umfrage gab an, dass ihre E-Mails, Fotos und Dokumente im Netz eher unsicher oder völlig unsicher seien. Ein Offenbarungseid für die Internetdienstleister, die stets betont haben, auf ihren Servern gehe alles nach (deutschem) Recht und Gesetz zu. Trotzdem ist der Vorstoß von Telekom und United Internet richtig. Den Firmen bleibt auch gar nichts anderes übrig, um das mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht