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DER STANDARD-Kommentar: "Fidele Gerontokratie" von Christoph Prantner

Geschrieben am 01-08-2013

"Österreichs Politik zwischen Zukunftsvergessenheit und der
Angst vor den Alten"; Ausgabe vom 2.8.2013

Wien (ots) - Wer hat eigentlich mehr Macht in dieser Republik?
Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger?
Oder das vergleichsweise dynamischere Duo Karl Blecha und Andreas
Khol? Vor ein paar Jahren noch hätte man diese Fragen theoretisch
zwar stellen, praktisch aber einigermaßen sicher zugunsten der
Bundesregierung beantworten können. Heute allerdings haben die so
kongenialen wie gutgelaunten Seniorenlobbyisten eine Art Nebenregime
in Österreich aufgebaut, das den gewählten Amtsträgern an Ballhaus-
und Minoritenplatz mitunter deutlich aufzeigt, wo ihre Grenzen
liegen: Wer brav apportiert, wird getätschelt. Wer das Falsche denkt,
getachtelt. Die von der ÖVP mit der Erhöhung des Frauenpensionsalters
vom Zaun gebrochene Pensionsdebatte ist, auch wenn es in der Qualität
der Diskussion nicht so erscheint, das erste wirklich substanzielle
Thema in dieser Wahlauseinandersetzung. Und zwar nicht nur weil die
ÖVP dabei wieder einmal hat lernen müssen, dass etwas
Professionalität im Wahlkampf nicht schaden könnte. Die Debatte
illustriert vielmehr auch, wie weit fortgeschritten Österreich
bereits auf dem Weg zur fidelen Gerontokratie ist. Derzeit leben in
Österreich gut zwei Millionen Menschen über 60 Jahre, sie stellen
rund ein Drittel der Wahlberechtigten. 2020 wird es mehr 60-Jährige
geben als 30-Jährige. 2050 wird die Zahl der Senioren auf 3,25
Millionen gestiegen sein. Die politischen Folgen dieser Vergreisung
sind evident. Die Faustregel für die Parteien lautet zunehmend: Alles
für und nichts gegen die Grauen Panter unternehmen. Sie gehen wählen,
sie sind eine Bank. "Wir kämpfen für sichere Pensionen", das lässt
die SPÖ derzeit großflächig plakatieren. Genauso gut könnte es auch
heißen: Wir kämpfen für sichere Pensionisten. Denn die
Sozialdemokraten sind inzwischen zu der Klientelpartei der Alten
geworden. 2008 hat ihnen ein überproportionaler Erfolg bei den über
60-Jährigen (37 Prozent) den Vorsprung vor dem heutigen
Koalitionspartner gesichert, der seinerseits bei den Alten
vergleichsweise schlecht abschnitt. Das Endergebnis lautete 29 zu 26
Prozent Zustimmung. Heuer wird dieser Faktor noch schwerer wiegen.
Die Jungen dagegen werden wahlarithmetisch bedeutungsloser - und
schauen zunehmend durch die Finger. Ob sie jemals selbst eine Pension
bekommen werden, muss gar nicht als (hypothetisches) Argument dafür
herangezogen werden. Es reichen schon die aktuellen Fakten: Neos-Chef
Matthias Strolz hat unlängst im Standard etwa ausgerechnet, dass
derzeit mehr als doppelt so viel Geld aus dem Budget als Zuschuss ins
Pensionssystem fließt, wie die Universitäten erhalten. Laut einer
Generationengerechtigkeitsstudie der OECD ist Österreich eines der
generationenungerechtesten der untersuchten Länder - Platz 20 von 29.
Senioren erhalten deutlich mehr sozialstaatliche Ausgaben als die
Jungen. Das faktische Pensionsantrittsalter liegt weiter deutlich
unter 60 Jahren (der OECD-Schnitt ist rund 64 Jahre). Der
Riesentanker Generationenvertrag, in Österreich hat er eine deutliche
Schlagseite. Werden ihn die Parteien wieder aufrichten? Angesichts
der aktuellen Debatte ist eher nicht davon auszugehen. Werden es Herr
Khol und Herr Blecha tun? Detto. Fröhliche Zukunftsvergessenheit ist
Programm - für Regierung und Nebenregierung.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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