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DER STANDARD - Kommentar: "Selbstdemontage einer Ministerin" von Michael Völker

Geschrieben am 27-06-2013

Missstände im Gefängnis: Beatrix Karl reagiert völlig
unangemessen. (Ausgabe vom 28.6.2013)

Wien (ots) - Es ist erstaunlich, wie sich eine Politikerin in neun
Minuten selbst beschädigen kann. Beatrix Karl hat Mittwochabend in
der ZiB 2 eine bedrückende Darstellung von Ignoranz,
Menschenverachtung und Inkompetenz geliefert. Wer das gesehen hat,
konnte kaum zu einer anderen Ansicht geraten, als dass Beatrix Karl
als Justizministerin ungeeignet ist. Es ging um die Vergewaltigung
und Misshandlung eines 14-Jährigen in der Untersuchungshaft durch
drei ältere Häftlinge. Das sei doch nicht ihre Schuld, reagierte Karl
trotzig auf die Frage, ob sie sich als Justizministerin schon
entschuldigt habe. Es ist nicht ihre Schuld. Aber es ist ihre
Verantwortung. Viele, die das gesehen haben, sind ehrlich entsetzt.
Zu Recht. Sie sei keine Sozialromantikerin, erklärte Karl, solche
Vorfälle passieren halt, das werde man nie verhindern können:
"Strafvollzug ist nicht das Paradies. "Was für ein Unsinn, auch
rechtlich gesehen. Der Jugendliche, der misshandelt wurde, war nicht
im Strafvollzug, er saß in Untersuchungshaft, wartete auf seinen
Prozess. Und selbst wenn er im Strafvollzug gesessen wäre: Das ist
kein Grund, keine Berechtigung, keine Entschuldigung, ihn mit einem
Besenstiel zu malträtieren. Dem Jugendlichen selbst die Schuld
zuzuschieben, immerhin saß er wegen schwerer Delikte in Haft, wie
Karl anführte, ist letztklassig. Was sie verschwieg, was aber ohnehin
nichts zur Sache tut: Es kam nicht einmal zu ei?nem Prozess, es gibt
wegen dieser angeblich schweren Delikte keine Verurteilung, das
Verfahren wurde eingestellt. Es ist aber auch egal. Nichts kann die
Misshandlung rechtfertigen. Diesen menschenverachtenden Zynismus
hätte man der Justizministerin gar nicht zugetraut. Kein ehrliches
Wort des Bedauerns, kein Ansatz, das Geschehene wiedergutmachen zu
wollen. Karl ging mit brutaler Kälte in dieses Interview, war
offenbar auch völlig falsch beraten, als sie die Eiserne Lady spielen
wollte. Dass sie das so schlecht kann, mag man ihr noch zugutehalten.
Was hätte Karl nicht alles sagen können: Sie hätte sich entschuldigen
können, sie hätte Verantwortung übernehmen können, sie hätte
Besserung versprechen können. Stattdessen bemüht sie sich, den Fall
als lästigen Einzelfall wegzuspielen. Sexuelle Gewalt gegen
Jugendliche im Gefängnis ist eben kein Einzelfall. Das wissen vor
allem auch jene, die beruflich mit dieser Thematik zu tun haben,
Sozialarbeiter, Geistliche, Richter, das Personal vor Ort. Es sind
genügend Fälle bekannt, es werden jährlich dutzende Fälle zur Anzeige
gebracht, und wenn man sich ausmalt, wie hoch die Dunkelziffer ist,
macht sich Entsetzen breit. Da kann man nicht Sätze sagen wie: "Es
hat noch nie bessere Bedingungen gegeben."Die Bedingungen sind nicht
gut genug, der Staat hat eine Verantwortung für diese Menschen
wahrzunehmen, die in seiner "Obhut"sind. Egal ob "schuldig" oder
nicht. Es kann nicht sein, dass am Freitag zu Mittag die Zelle
zugesperrt wird und vier Jugendliche dar?in sich selbst überlassen
werden, bis am Montag wieder geöffnet wird. Dass ein Minderjähriger
Stunden und Tage ungeschützt der Willkür älterer Häftlinge ausgesetzt
wird - das soll nicht sein, das darf nicht sein. Und das hat mit
Sozialromantik nichts zu tun. Da braucht es eben mehr Personal, um
erträgliche Zustände zu garantieren. Es geht nicht ums Paradies. Es
geht um Menschenwürde. Nicht um mehr. Aber auch nicht um weniger.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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