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DER STANDARD-Kommentar "Wenn Profis die Geschäfte führen" von Josef Kirchengast

Geschrieben am 17-06-2013

Die Korruption in Tschechien ist Folge eines Systems von
Polittechnokraten

Wien (ots) - Václav Klaus, Präsident der Tschechischen Republik,
ließ während eines Staatsbesuchs in Chile vor zwei Jahren nach einer
Vertragsunterzeichnung die offizielle Füllfeder elegant im Sakko
verschwinden. Allerdings nicht elegant genug, um unentdeckt zu
bleiben. Als ein Video mit der Szene im Internet kursierte,
behauptete Klaus wahrheitswidrig, das Schreibgerät sei ein Geschenk
der Gastgeber. Und eh nicht aus Gold, fügte sein Büro hinzu. Erst
viele Monate später meinte Klaus, es tue ihm leid, was er da gemacht
habe. Die Episode wäre auch ohne den jüngsten Korruptions- und
Amtsmissbrauchsskandal in der tschechischen Regierung von hohem
Symbolgehalt. Mit dem Rücktritt von Premier Petr Ne_das erhält sie in
mehrfacher Hinsicht tiefere Aussagekraft. Wie der beim Stibitzen
ertappte Klaus versuchte es Ne_das nach Auffliegen der Affäre zuerst
mit Mauern und Verharmlosen. Erst als es nicht mehr ging, zog er die
Konsequenzen. Ne_das verdankt seinen Aufstieg in der Demokratischen
Bürgerpartei (ODS) großteils der Förderung durch deren Gründer und
langjährigen Vorsitzenden Klaus. Klaus wiederum, ein Polittechnokrat
reinstens Wassers, ist die personifizierte Antithese zu Václav Havel.
Während der Samtenen Revolution 1989 war er an dessen Seite
gestanden, entzweite sich dann aber politisch mit ihm und gründete
die wirtschaftsliberal-konservative ODS. Im Jahr 1992 wurde Klaus
Premier, 1997 musste er zurücktreten - wegen einer
Parteispendenaffäre. Havel sprach damals vom Hochmut, der "unsere
größte Sünde" sei. Während für Havel Politik immer auch mit Moral und
persönlichem Engagement mündiger Bürger zu tun hatte, schloss Klaus
mit den Bürgern einen stillschweigenden Vertrag: So wie früher unter
dem Kommunismus braucht ihr euch auch in der Demokratie nicht um die
Politik zu kümmern - dazu sind wir Profis da. Ihr wählt uns, den Rest
erledigen wir. Vielen Tschechen schien das durchaus verlockend. Zumal
ja, zur Beruhigung des Gewissens, in der Person von Václav Havel
ohnedies eine moralische Über-Autorität im Hradschin saß. Dass Havel
2003 als Staatspräsident ausgerechnet von Klaus abgelöst wurde, war
mit Blick auf die Ideale der Samtrevolution eine herbe Ironie. Umso
bitterer war sie, als Klaus seine Wahl der Unterstützung von
Abgeordneten der kommunistischen Partei verdankte, mit der er
offiziell jegliche Zusammenarbeit striktest ablehnte. Die implizite
Botschaft: Prinzipien sind in der Politik nicht nur lästig, sondern
sogar schädlich, weil sie die Handlungsfreiheit einschränken. Sein
politisches Meisterstück gemäß dieser Philosophie hatte Klaus ja
schon 1998 abgeliefert: mit dem "Oppositionsvertrag", mit dem die ODS
der sozialdemokratischen Minderheitsregierung das Überleben
garantierte. Der damalige Premier: Milo_1 Zeman, der nach der Logik
des Systems dann der natürliche Nachfolger Klaus? auf der Prager Burg
wurde. Immer mehr Tschechen haben von diesem System genug. Das
zeigten die Parlamentswahlen 2010, als Karl Schwarzenbergs Partei
Top09 mit ihrem Ruf nach Sauberkeit in der Politik auf Anhieb
drittstärkste Kraft und Regierungspartei wurde. Aber gegen die
Beharrungskräfte eines Systems, das in vielen Jahren von den
vereinigten Polittechnokraten aller Parteien geschaffen wurde, haben
die neuen Kräfte keine Chance. Noch. Denn die Entschlossenheit der
Antikorruptions-Ermittler lässt immerhin hoffen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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