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Landeszeitung Lüneburg: Alle wollen in die Stadt / Wirtschaftswissenschaftler Matthias Günther über Wohnungsnot, steigende Mieten und die Rolle der Politik

Geschrieben am 06-06-2013

Lüneburg (ots) - Der Deutsche Mieterbund schlägt Alarm:
Deutschland hat mit einer neuen Wohnungsnot zu kämpfen. Die Nachfrage
übersteigt das Angebot und viele Menschen können die steigenden
Mieten nicht mehr bezahlen. Darüber sprach unsere Zeitung mit
Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts in Hannover.

Wie schlimm ist die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt wirklich?

Matthias Günther: Die Lage ist vor allem in den Städten sehr
schlimm, gerade in den Universitätsstädten. Durch die Einführung des
verkürzten Abiturs sind ja viel mehr Studenten an die Universitäten
geschickt worden. Die Studentenzahl hat innerhalb von fünf Jahren um
gut 550.000 zugenommen. Im Vergleich zu 2007/2008 werden hierfür
60.000 Wohnheimplätze und 200.000 Wohnungen zusätzlich benötigt. Dazu
kommt, dass Familien in den Städten bleiben. Früher sind die jungen
Familien aufs Land gezogen und haben sich ein Einfamilienhaus
gekauft. Das passiert noch, aber immer weniger. Dazu kommt, dass die
Einstiegsgehälter in vielen Bereichen gesunken sind und häufig nur
mit Zeitverträgen eingestellt wird. Ein Haus im Grünen ist durch
diese Unsicherheiten praktisch nicht mehr finanzierbar - auch durch
die gestiegenen Energiekosten. Ein weiterer Aspekt, warum es in den
Städten immer enger wird, ist auch die wieder auflebende Zuwanderung.

Künftig sollen Eigentümer bei Neuvermietungen höchstens zehn
Prozent mehr als die Vergleichsmiete verlangen dürfen. Ist das ein
Mittel, um die Explosion der Mietpreise zu stoppen?

Günther: Kurzfristig kann man damit eingreifen, aber ich weiß
nicht, wie man das kontrollieren will. Man will aber langfristig auch
Investitionen in dem Bereich haben. Doch je mehr ich eingreife und
reguliere, desto unattraktiver werden Investitionen. Die Politik hat
in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert, dass der Bereich
Wohnen stärker dem Markt unterworfen wird. Das Ergebnis haben wir
jetzt. Der Markt liefert immer ein Ergebnis, das ist aber nicht
unbedingt sozialverträglich.

Milliardenförderung aus staatlichen Mitteln, Neubau-Förderungen,
Steuererleichterungen für Bauherren, höheres Wohngeld - welche dieser
Maßnahmen könnte am ehesten greifen?

Günther: Das Thema Abschreibung ist ein ganz Wesentliches. Im
Moment ist es so, dass man eine neue Wohnimmobilie erst in 50 Jahren
abschreiben darf - linear zwei Prozent pro Jahr. Das entspricht nicht
mehr der Realität. Wenn man auf vier Prozent verdoppelt, hätte man
das Ganze nach 25 Jahren abgeschrieben. Aber Sie können davon
ausgehen, dass nach 25 Jahren bei einer Wohnimmobilie auch wieder
Investitionen notwendig sind. Wir haben genügend Gewerbeimmobilien,
die nach 25 Jahren wieder abgerissen werden, weil sie nicht mehr dem
entsprechen, was jetzt gefragt ist. Diese lange Abschreibungsfrist
ist für den privaten Investor kein überschaubarer Zeitraum.

Neben den Engpässen in den Ballungsräumen gibt es in ländlichen
Regionen zunehmend Leerstände. Wird die Infrastruktur in
schrumpfenden Regionen vernachlässigt?

Günther: Die ländlichen Räume leiden inzwischen viel stärker unter
der Alterung, als es in den Städten der Fall ist, weil die jungen
Leute vom Land in die Städte ziehen. Es kommt keiner mehr zurück. Die
fatale Situation im ländlichen Raum ist, dass es immer schwieriger
wird, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Ich sehe im Moment
nichts, was den ländlichen Raum beleben könnte, dazu brauche ich
Arbeitsplätze. Die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte haben immer
versucht, möglichst viele Menschen in Wohneigentum zu bringen. Und
jetzt haben wir viele Leute im ländlichen Raum, die sich ihr
Wohneigentum nicht mehr leisten können. Die sitzen auf viel zu großen
Wohnflächen und sind nicht in der Lage die Häuser zu modernisieren,
weil sie das Geld nicht haben und auch keine Kredite bekommen.

Mieten steigen häufig auch durch Sanierungsmaßnahmen. Sollten die
Kosten für energetische Sanierungen nicht von Mieter, Vermieter und
Staat zu gleichen Teilen gestemmt werden?

Günther: Die Frage ist, wie wichtig uns allen die energetische
Sanierung ist. Der Bund möchte ja bis zum Jahr 2050 einen sogenannten
Nahe-Null-Energie-Wohnungsbestand haben. Das ist jedoch derart
aufwendig, dass es bei den heutigen Energiepreisen nicht mehr
wirtschaftlich ist. Wenn ein Haus energetisch modernisiert wird, dann
wird es meist auch in anderen Bereichen modernisiert. Es gibt
Beispiele, wo die Miete um zwei Euro pro Quadratmeter steigt und die
Einsparung nur 30 Cent beträgt. Es ist dann letztendlich eine
deutliche Mieterhöhung. Wer am Ende zahlen soll, ist schlichtweg eine
politische Frage.

Während bei luxuriösen Wohnbauprojekten die teuren Objekte oft
schnell vergeben sind, fehlt es an sozialem Wohnungsbau. Sollten hier
nicht steuerliche Anreize für Investoren erhöht werden?

Günther: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sind gar nicht in
dem Maße vorhanden, wie sie benötigt werden. Der soziale Wohnungsbau
ist in den Verantwortungsbereich der Länder übergegangen. Der Bund
hat sich dann verpflichtet, pro Jahr 518 Millionen Euro an die Länder
zu zahlen. Das war früher der Anteil des Bundes. Die Länder müssen
dann noch eigenes Geld drauflegen, was sie jedoch in weiten Teilen
nicht getan haben. Sozialer Wohnungsbau fand in den vergangenen
Jahren praktisch nur in Hamburg, Schleswig-Holstein, Bayern und
Nordrhein-Westfalen statt. Wir werden die Jahre des versäumten
sozialen Wohnungsbaus nicht aufholen können. Langfristig wird man
vermutlich nicht darum herumkommen, die Wohnflächen zu reduzieren und
enger zusammenzurücken.

Der schrittweise Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung
hat zur Wohnungsnot beigetragen. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Günther: Auf jeden Fall. Es gibt überhaupt keine Koordination
mehr. Das Schlimmste ist, dass der Bund so tut, als hätte er mit
Wohnungsbau-Förderung nichts mehr zu tun. Was aber nicht stimmt. Der
Bund ist immer noch für die Abschreibungsregeln zuständig sowie für
die gesamte KfW-Förderung. Es gab vor Jahren ein Programm der
Kreditanstalt für Wiederaufbau, vom Bund abgesegnet und mit
finanziert, zum altengerechten Umbauen. Das hat der Bund wieder
eingestellt, obwohl der Bundesbauminister in einer eigenen Broschüre
feststellte, dass es in diesem Bereich einen Investitionsbedarf von
39 Milliarden Euro gibt.

Laut Mieterbund gibt es schon Tendenzen, dass Mieter aus Städten
vertrieben werden. Kann die Wohnungsnot in Großstädten den sozialen
Frieden gefährden?

Günther: Das tut sie schon. Wenn ein solches Thema zum
Wahlkampfthema wird, dann heißt das, dass es Versäumnisse gibt. Der
soziale Frieden wird massiv gestört, wenn Alteingesessene aus den
Innenstädten vertrieben werden, wie zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg
oder -Friedrichshain. Die Zuzüge kommen vor allem aus Westdeutschland
und dem Ausland. Da kommen einfach zahlungskräftige Kunden, die die
zahlungsschwächeren verdrängen.

2011 entfielen 34,4 Prozent der Konsumausgaben der Haushalte auf
Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung. Arbeiten wir künftig nur
noch, um Wohnen zu können?

Günther: Die Privathaushalte haben ja ihre Ausgabenblöcke für
Mobilität, fürs Wohnen, für Energie, Bekleidung oder Nahrungsmittel.
Sie werden schon selber entscheiden, wie viel sie wofür ausgeben. Was
sicher kommen wird, ist die Reduzierung der Wohnfläche, um Kosten zu
sparen. Es ist egal, ob ich nun energetisch saniere und mehr bezahle
oder ob ich langfristig deutlich höhere Energiekosten zahle. Was ich
erwarte, ist eine Zunahme von Modellen des gemeinschaftlichen
Wohnens, weil es ansonsten für viele nicht mehr bezahlbar ist. In den
Großstädten werden bereits vermehrt Wohngemeinschaften gegründet -
außerhalb des studentischen Milieus von ganz normalen Erwerbstätigen.

Die Union fordert mehr Wohnungsbau, die SPD will bei
Neuvermietungen eine maximale Erhöhung der Miete um 10 Prozent, die
Grünen fordern, dass derjenige den Makler bezahlt, der ihn beauftragt
hat. Welche Partei hat die besten Konzepte, um das Wohnungsproblem zu
lösen?

Günther: Eigentlich haben sie alle kein Konzept. Sie kurieren an
Symptomen herum. Eine Forderung nach mehr Wohnraum kann ich auch
stellen, ich muss sie nur mit Maßnahmen hinterlegen. Man könnte zum
Beispiel sagen, wir verdoppeln die Abschreibung. Egal was die machen
wollen - es kostet alles Geld. Die Forderungen von SPD und Grünen
dürften in der aktuellen Mangelsituation kaum kontrollierbar sein.

Das Interview führte Burkhard Trapp



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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