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BERLINER MORGENPOST: Unreif und befangen - Michael Mielke über den geplatzten Prozess zum Tod von Johnny K. und den Schöffen

Geschrieben am 03-06-2013

Berlin (ots) - Sie saßen wie erstarrt im Saal 700 des Moabiter
Kriminalgerichts: Tina K., deren Bruder Jonny am 14. Oktober 2012 auf
dem Alexanderplatz mit Schlägen und Tritten so heftig angegriffen
wurde, dass er stürzte und später an Gehirnblutungen starb. Und
Gerhardt C., der dem Freund helfen wollte und dabei selber schwere
Verletzungen davon trug. Es wird für die beiden schwer zu verstehen
sein, was sich in diesem Prozess abspielte, der für sie mit so viel
Erwartungen begann. Am Montag wurde er wegen eines vermutlich
voreingenommenen Schöffen vorzeitig beendet. Und drei der fünf
Angeklagten sind jetzt auf freiem Fuß. Schöffen werden zwar gewählt
oder, wenn es an Kandidaten fehlt, auch verpflichtet, aber sie werden
nicht auf Eignung geprüft. Sie haben das gleiche Stimmrecht wie die
Berufsrichter. Sie sollen ehrenamtliche Vermittler sein zwischen
Juristen und Bevölkerung. Und sie sollen dabei natürlich auch
soziales Verständnis mitbringen, Reife und Unparteilichkeit. Gegen
diese Vorgaben hat der Schöffe im Prozess zum Tod von Jonny K.
exemplarisch verstoßen. Der Schöffe ist ein 58-jährige Mann, der in
einer Jugendeinrichtung tätig ist und sich unter Kontrolle haben
sollte. Das Gegenteil war der Fall. Es begann mit seiner Entgleisung
am vergangenen Donnerstag, als er einen Zeugen anherrschte, ob dieser
"einfach nur feige" sei "oder hier das Gericht verarschen" wolle. Da
kann es dann auch keine Entschuldigung sein, dass der Zeuge unter
schwer nachvollziehbarem Gedächtnisschwund zu leiden schien und die
Nerven der Prozessbeteiligten strapazierte. Und das setzte sich fort,
mit dem Auftritt dieses Schöffen in der Zeitung "BZ". Der Schöffe hat
diese Begegnung mit dem "BZ"-Reporter bestritten. Allerdings stehen
im dem Artikel auch Interna, die nur der Schöffe und die Kammer
wissen können: dass er sich für seine Wortwahl beim Gericht
entschuldigt und auf einen Zettel geschrieben habe: "Ich bin nicht
befangen." Das Gericht jedenfalls hatte nach Lesen des Artikels sehr
wohl die Besorgnis, dieser Schöffe könne befangen sein. Eine
Einschätzung, die auch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage
teilt, die Verteidigung sowieso. Folge ist nun, dass der Prozess neu
aufgerollt werden muss. Das wird sich vermutlich vorteilhaft für die
Angeklagten auswirken, weil Verzögerungen, die sie nicht verursacht
haben, meist auch eine Rolle bei der Strafzumessung spielen. Und es
ist jetzt schon günstig für drei der Angeklagten, weil ihre
Verteidiger den Abbruch des Prozesses nutzten und erfolgreich Anträge
auf Haftaussetzung stellten. Für Gerhardt C. bedeutet dieser neue
Prozess, dass er seine schlimmen Erlebnisse als Zeuge nochmals
schildern muss. Wer bei seiner ersten Aussage dabei war, weiß, wie
quälend es für ihn war. Und Tina K. wird nun noch weitere Tage im
Gerichtssaal sitzen, um als Nebenklägerin dabei zu sein, wenn über
den Tod ihres kleinen Bruders gesprochen wird. Manchmal weinend. Und
immer noch in der Hoffnung auf ein gerechtes Urteil.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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