(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Unabhängig, aber nicht blind: Noch bevor der NSU-Prozess beginnt, hat das Münchner Oberlandesgericht viel Porzellan zerschlagen. Von Reinhard zweigler

Geschrieben am 29-03-2013

Regensburg (ots) - Man muss das Münchner Oberlandesgericht, vor
dem in knapp zwei Wochen der Prozess gegen die Neonazi-Terrorzelle
NSU beginnt, verteidigen. Eine "schützende Haltung" gegenüber
Rassisten und Rechtsextremisten nimmt das Münchner Gericht nun
wahrlich nicht ein. Dieser Vorwurf aus einem regierungsnahen
türkischen Blatt ist absurd. Das OLG ist in jeder Hinsicht
unabhängig. Es kann und darf sich nicht um die derzeit aufgeregte
Debatte in Politik und Medien scheren. Die Richter der zuständigen
Strafkammer müssen die Vorwürfe gegen die fünf Angeklagten prüfen,
Angeklagte und Zeugen anhören, die Fakten bewerten und schließlich
ein Urteil fällen. Es muss schon im Vorfeld alles ausschließen, was
später ein Urteil angreifbar machen könnte. Allerdings darf die
Unabhängigkeit des Gerichts nicht mit Blindheit verwechselt werden.
Die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" mit zehn
Toten, neun der Opfer haben ausländische Wurzeln, ist kein
x-beliebiger Fall. Das Münchner OLG agiert nicht im luftleeren Raum
abseits der Gesellschaft. Dass die deutsche und die internationale
Öffentlichkeit sehr genau verfolgen, wie gegen mutmaßliche Täter
beziehungsweise Helfer verhandelt wird, ist gut und richtig. Zu einer
funktionierenden, lebendigen Demokratie gehören nicht nur
Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Gerichte, sondern auch eine
breite Öffentlichkeit und eine kritische Berichterstattung durch
unabhängige Medien. Leider jedoch hat das Oberlandesgericht München
bereits viel Porzellan zerschlagen, ehe der NSU-Prozess überhaupt
begonnen hat. Die Vergabe der Plätze im Zuschauerraum des Gerichts
mag formal in Ordnung sein, klug und der Brisanz des Falles
angemessen ist sie allerdings nicht. Dass Journalisten,
Nachrichtenagenturen und Botschafter aus den Herkunftsländern der
Mordopfer keinen Platz auf den Zuschauerbänken finden sollen, ist
eine krasse Fehlentscheidung, die auch nicht mit der Unabhängigkeit
der Justiz bemäntelt werden darf. Man fragt sich, waren hier wirklich
ahnungslose Justizbeamte am Werk oder die Richter selbst? Auch der
"Lösungsvorschlag" des Münchner OLG-Präsidenten Karl Huber ist nicht
hilfreich. Demnach sollen bereits zugelassene deutsche
Prozessbeobachter ihre Plätze doch bitteschön an die ausländischen
Kollegen überlassen, die vor dem Gerichtssaal warten. Damit schiebt
Huber den Schwarzen Peter an die Journalisten weiter. Wenn die sich
nicht solidarisch verhielten, blieben die ausländischen
Berichterstatter eben draußen. Pech gehabt. Von einem
Gerichtspräsidenten darf man wohl mehr Fingerspitzengefühl, Sinn für
Realitäten und den Willen zu einer echten Lösung erwarten. Ist die
verfahrene Situation überhaupt noch zu retten? Aber natürlich. Es
gibt genügend zielführende Vorschläge, die das OLG aufnehmen könnte,
um die berechtigten Wünsche nach öffentlicher Begleitung des
Prozesses, aber auch die richterliche Unabhängigkeit unter einen Hut
zu bringen. Dazu gehört eine Video-Übertragung in einen anderen Saal
vor ebenfalls akkreditierten Zuschauern von in- und ausländischen
Medien. Oder auch ein völlig neues Vergabeverfahren der
Zuschauerplätze. Man muss nur eine für alle Seiten annehmbare Lösung
auch wirklich wollen. Übrigens, als den mordenden Links-Terroristen
der RAF vor über 30 Jahren der Prozess gemacht wurde, da wurde nicht
nur ein eigenes Hochsicherheitsgefängnis, sondern auch ein eigener
Gerichtssaal gebaut.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

455499

weitere Artikel:
  • Badische Neueste Nachrichten: Der falsche Weg Karlsruhe (ots) - Von 450 Euro im Monat können in Deutschland nur Lebenskünstler leben. Für viele der 7,4 Millionen geringfügig Beschäftigten allerdings ist ihr Mini-Job ohnehin nur ein netter Nebenverdienst. Der klamme Student, der im Supermarkt am Abend die Regale füllt, der rüstige Rentner, der in der Nachbarschaft aushilft oder nachts im Pförtnerhäuschen eines Unternehmens sitzt, die junge Mutter, die neben ihren eigenen Kindern noch ein fremdes mitbetreut. Für sie alle ist der Mini-Job die perfekte Lösung. Sie wollen keine neue mehr...

  • Rheinische Post: Bundesagentur erwartet 180.000 Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien Düsseldorf (ots) - Die Bundesagentur für Arbeit rechnet mit einer kräftigen Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, für die ab 2014 die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der EU gilt. "Wir erwarten aus Bulgarien und Rumänien eine Netto-Zuwanderung von 100.000 bis 180.000 Arbeitskräften pro Jahr auf den deutschen Arbeitsmarkt", sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Samstagausgabe.) Auf die Frage, ob verstärkt Armutsflüchtlinge und Schwarzarbeiter kommen werden, sagte Weise: "Solche Erscheinungen mehr...

  • Kölner Stadt-Anzeiger: Stadion-Sponsor Esprit und Stadt Düsseldorf zerstritten - Mangelnde Zusammenarbeit Grund für Kündigung des Sponsor-Vertrages Köln (ots) - Der Hauptsponsor der Düsseldorfer Esprit-Arena hat den Vertrag zum 30. April vorzeitig gekündigt. Grund sind unüberbrückbare Differenzen mit der Stadt Düsseldorf und Oberbürgermeister Dirk Elbers (CDU). Das erfuhr der "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag-Ausgabe) von einem Insider. Das Modeunternehmen fühlt sich von der Stadt übergangen. Im Vorfeld des Eurovision Song Contest 2011 habe man Esprit bei der Arena-Werbung einfach übergangen. Oberbürgermeister Elbers habe sich zwar um Schadensbegrenzung bemüht, doch geschehen mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: Rechtsterror Anwalt der Nebenklage: Vergabe des NSU-Verfahrens nach München war ein Fehler Halle (ots) - Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, einer der Nebenkläger im NSU-Prozess, hat das Oberlandesgericht München wegen des Ausschlusses türkischer Journalisten von garantierten Plätzen scharf kritisiert. "Es war ein Fehler, das Verfahren nach München zu geben", sagte er der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Online-Ausgabe). "Man hätte den Prozess genau so gut nach Düsseldorf geben können." Das Gericht handele nach der Devise: "Wenn es einen Bock zu schießen gibt, dann schießen wir ihn auch." Daimagüler mehr...

  • Der Tagesspiegel: Kardinal Woelki fordert stärke Besteuerung der Reichen Berlin (ots) - Der Erzbischof von Berlin, Kardinal Rainer Maria Woelki, hat eine stärkere Besteuerung von Vermögen gefordert. "Es kann nicht sein, dass nur etwa zehn Prozent der reichsten deutschen Haushalte 58 Prozent des Privatvermögens besitzen", sagte Woelki dem Berliner "Tagesspiegel" (Sonntagausgabe). Realisiert werden könne ein stärkerer Zugriff "beispielsweise über die Erbschaftssteuer", so der Kardinal. Pressekontakt: Der Tagesspiegel Chef vom Dienst Thomas Wurster Telefon: 030-29021 14013 E-Mail: cvd@tagesspiegel.de mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht