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Landeszeitung Lüneburg: Dringender Reformbedarf im Vatikan / Theologe Prof. Karl Gabriel: Anforderungen der Moderne verlangen Installierung eines Regierungsgeschäftes

Geschrieben am 14-02-2013

Lüneburg (ots) - Derartig viel Zuspruch wie für die Ankündigung
seines Rücktritts wegen nicht mehr reichender Kräfte erntete der
Papst in seinem Pontifikat selten. Der Münsteraner katholische
Theologe und Sozialethiker Prof. Karl Gabriel erwartet keinen
kirchenpolitischen Kurswechsel. Reformbedarf bestehe aber bei der
Organisation des Heiligen Stuhls, bei der Priesterweihe für Frauen
und beim Pflichtzölibat, so Prof. Gabriel.

Ist der Rücktritt die größte Reform, die Benedikt XVI. der Kirche
hinterlässt? Sein Schritt könnte Nachfolgern die Tür für ein
ähnliches Verhalten öffnen...

Prof. Karl Gabriel: Ich denke, dass dies ein wichtiger Aspekt
dieses Rücktritts ist. Das ist eine sehr mutige Tat. 800 Jahre hat es
gedauert, bis wieder ein Papst freiwillig aus dem Amt scheidet. In
der Gegenwart wird dieses Problem aber immer drängender. Die
medizinischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung zum Beispiel sind
so gravierend, dass es der faktischen Rücktrittsmöglichkeit eines
Papstes unbedingt bedurfte.

Angekündigt hatte der Papst einen möglichen Rücktritt aus
Gesundheitsgründen zwar schon in seinem jüngsten Buch, dennoch bleibt
er eine Überraschung. Musste Benedikt Widerstände überwinden?

Prof. Gabriel: Das glaube ich eigentlich nicht. Es ist ihm
gelungen, diese Entscheidung in einer Weise zu vollziehen, dass er
seine Umgebung überrascht hat. Es ist ihm während seines Pontifikats
im Management vieles missglückt, aber dieser Rücktritt ist ihm
geglückt - hat damit, wenn man so will, viele Pannen
wiedergutgemacht.

War der Papst nach den Skandalen um vertuschte Missbrauchsfälle
und Vatileaks zermürbt?

Prof. Gabriel: Ich denke schon, dass das eine Rolle gespielt hat.
Es wird zwar kein unmittelbarer Anlass gewesen sein, aber doch die
Last des Amtes noch verstärkt haben. Bemerkenswert ist, dass Benedikt
eine deutlich andere Lösung gewählt hat als sein Vorgänger Johannes
Paul II, der sein Leiden in der letzten Phase seines Amtes noch als
öffentliches Glaubenszeugnis genutzt hat. Hier geht Benedikt einen
anderen Weg, weil er eben auch nicht der Charismatiker ist wie sein
Vorgänger.

Ein Rücktritt angesichts schwindender Kräfte wirkt auf eine
weltliche Art rational. Ist mit so viel Rationalität auch beim Blick
auf die päpstliche Unfehlbarkeit zu rechnen?

Prof. Gabriel: Nun, das ist ein weites Feld. Für mich gehört zu
den positiven Merkmalen des Pontifikats Benedikts XVI., dass er als
Theologe und Intellektueller zwei Dinge ins Zentrum gerückt hat: Zum
einen, dass Glaube und Vernunft nicht auseinanderfallen dürfen,
sondern sich wechselseitig befruchten und kontrollieren müssen. In
diesem Sinne bilden sie eine Einheit. Und zum zweiten der Gedanke,
dass der Gott des Christentums ein Gott der Liebe ist. In beiden
Punkten wollte Benedikt das Christentum im Vergleich zu den anderen
Weltreligionen profilieren. In einem nicht geringen Maße ist ihm dies
auch gelungen.

Bleibt der Papst ein Machtfaktor etwa bei der Wahl seines
Nachfolgers?

Prof. Gabriel: In einem formellen Sinne kann er kein Machtfaktor
sein, weil er als über 80-Jähriger nicht mehr in das Konklave
einzieht, das den neuen Papst wählt. Es ist aber nicht
auszuschließen, dass er im informellen Bereich die Papstwahl in
seinem Sinne zu beeinflussen sucht. Ich wünsche es ihm nicht.

Wie groß ist nach fast 30 Jahren Johannes Paul II. und sieben
Jahren Benedikt XVI. und der entsprechenden Ausrichtung des Konklave
die Chancen auf einen "Reformpapst"?

Prof. Gabriel: Nach dem tiefgreifenden Umbruch des Zweiten
Vatikanischen Konzils Anfang der 60er-Jahre saßen in der Tat sehr
lange zwei "Bewahrer" auf dem Heiligen Stuhl. Man muss also in der
Tat eher damit rechnen, dass sich auch die von ihnen ernannten
Kardinäle eher als Bewahrer denn als Erneuerer sehen. Andererseits
haben wir bereits die Erfahrung gemacht, dass auch ein Papst, der
unter ganz anderen Vorzeichen gewählt wurde, neue, den Erwartungen
zuwiderlaufende Wege einschlug - wie das etwa für Johannes XXIII.
galt. Man kann also nicht ausschließen, dass ein Papst, der als
konservativ gilt, im Amt entdeckt, dass die Katholische Kirche
zentraler Neuerungen bedarf.

Kann eine autoritäre, und unter Benedikt noch stärker
zentralisierte Kirche den Dialog mit dem Zeitgeist führen?

Prof. Gabriel: Nach außen ist das eher kein Problem, nach innen
ist dies in Bezug auf den Spielraum und die Vielfalt für derartig
hoch zentralisierte Organisationen schon wesentlich schwieriger.
Unter den beiden letzten Päpsten nahm der Zentralismus tatsächlich
erheblich zu. Das hat Johannes Paul II. aber nicht daran gehindert,
zentrale Weichenstellungen der Weltpolitik mitzugestalten. Nicht
zuletzt, weil er zur Kommunikation mit der Außenwelt befähigt war wie
kaum ein Zweiter.

Offenbart der Umgang katholischer Würdenträger beispielsweise mit
Missbrauchsopfern eine gefährliche Distanz zur Lebenswirklichkeit der
Gläubigen?

Prof. Gabriel: Es gibt eine erhebliche Distanz zur
Lebenswirklichkeit der Gegenwart. Auch, weil Bischöfe in der Regel
sehr abgeschottet leben; weil deren Gemeinden beim Besuch des
Bischofs oft ein geschöntes Bild ohne die problematischen Facetten
zeigen. Dazu kommt ein Kirchenverständnis, das sehr stark auf die
institutionelle Sicherheit und den Schutz der Kirche konzentriert
ist. Der skandalöse Umgang mit den Missbrauchsopfern war eine Folge
der defensiv-beschränkten Denkweise, wonach die Kirche nicht befleckt
werden dürfe.

Derart defensives Denken prägt auch andere Positionen: Würde die
katholische Kirche ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie etwa die
Position räumt, das Priesterverbot für Frauen leite sich aus
urchristlichen Traditionen her?

Prof. Gabriel: Aus meiner Sicht nicht. Ein solcher Schritt würde
aber die Schwierigkeit der katholischen Kirche als einer Organisation
aufzeigen, die sich sehr stark auf Traditionen beruft. Es wäre also
notwendig, eine theologische Brücke zu finden, die die Priesterweihe
als quasi schon immer im Christentum angelegtes Phänomen beschreiben
könnte.

Würde eine mehr historische Betrachtung helfen? Indem man zwar
konstatiert, dass Frauen zu Jesu Zeiten in religiösen Dingen keine
Rolle spielen durften, dies aber nicht als Handlungsanweisung für
alle Zeiten zu verstehen...

Prof. Gabriel: Ich fürchte, das Verständnis der Zeitbedingtheit
biblischer Aussagen allein reicht nicht. Denkt man etwa daran, auf
welchem Wege die katholische Kirche den Durchbruch zur
Religionsfreiheit geschafft hat, zeigt sich, dass sie der
theologischen Brücke bedarf. Vor 150 Jahren hatte der Vatikan zu
dieser Frage eine direkt entgegengesetzte Haltung als auf dem Zweiten
Vatikanum. Der Positionswechsel gelang ihr, weil man nachweisen
konnte, dass die Päpste die Religionsfreiheit an sich nie abgelehnt
hatten, sondern lediglich den Säkularismus - die europäische Form der
Ablehnung jeglicher Religion. So etwas ähnliches bedarf es auch in
den Fragen der Ordination von Frauen und der Abschaffung des
Pflichtzölibates. Letzteres wäre sicherlich das deutlich leichtere
Vorhaben für die katholische Kirche.

Knapp die Hälfte aller katholischen Gläubigen lebt in
Lateinamerika. Ist die Zeit reif für einen Papst aus Südamerika oder
auch aus Afrika?

Prof. Gabriel: Ich vermute, dass sich das Konklave nach zwei
nicht-italienischen Päpsten entweder auf einen Italiener oder einen
profilierten Kardinal aus Lateinamerika oder Afrika einigt. Letzteres
wäre sicher ein Fortschritt für die katholische Kirche. Für die
Frage, was er schafft oder nicht schafft, sind die Nationalität oder
Hautfarbe des Papstes allerdings unerheblich.

Was hat Benedikt XVI. geschafft und nicht geschafft?

Prof. Gabriel: Ein negativer Punkt ist, dass es ihm nicht gelungen
ist, in die schwierige, undurchsichtige Organisation des Vatikans
Ordnung hineinzubekommen. Es wäre dringend nötig, im Vatikan ein
normales Regierungsgeschäft zu installieren - etwa über ein
regelmäßig tagendes Kabinett, das durchschaubare Entscheidungen
fällt. An der Spitze der katholischen Kirche besteht dringender
Reformbedarf. Für die Deutschen ist sicher enttäuschend, dass der
deutsche Papst keine Fortschritte bei der Ökumene geschafft hat - in
der zweiten Hälfte seines Pontifikats auch nicht schaffen wollte.
Hier hat er eine historische Chance nicht genutzt. Zur Negativbilanz
zählt auch die Verdunkelung des Verhältnisses zur Moderne insgesamt,
die durch die Annäherung des Papstes an die Pius-Brüder eintrat. Es
war unbegreiflich, dass diese hartnäckigen Leugner des Zweiten
Vatikanischen Konzils und seiner Öffnung zur Welt ihm so am Herzen
lagen. Das hat Zweifel daran aufkommen lassen, wie er es mit dieser
Wende des zweiten Vatikanums wirklich hält.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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