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Landeszeitung Lüneburg: ,,Von Entwarnung darf keine Rede sein" -- Interview mit dem Klimaforscher Hartmut Graßl

Geschrieben am 07-02-2013

Lüneburg (ots) - Während Deutschland mit Hochdruck an der
Energiewende arbeitet, um die Kohlendioxid-Emissionen zu senken und
nach dem Atom-Ausstieg unabhängiger von fossilen Brennstoffen zur
Energieerzeugung zu werden, steht in den USA eine
,,Schiefergas-Revolution" an. Mit Hilfe der Fracking-Methode sollen
gigantische Mengen Gas und Öl gewonnen werden. Die USA könnten sogar
zum großen Exporteur werden. Nach Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu
senken, klingt das nicht. ,, Das ist typisch Weltmacht", sagt Prof.
Dr. Hartmut Graßl im Gespräch mit unserer Zeitung. Der renommierte
Klimaforscher widerspricht zudem energisch der jüngste Einschätzung
einiger seiner Kollegen, dass die Erderwärmung gestoppt sei. Als
größte Baustelle der Energiewende in Deutschland sieht er die
fehlenden Speichermöglichkeiten. Der Speicherung über Gas oder
Wasserkraft gehöre die Zukunft, ist Prof. Graßl überzeugt.

NASA-Forschungen haben ergeben, dass das vergangene Jahrzehnt zwar
zu den wärmsten seit Beginn der letzten kleinen Eiszeit vor vier
Jahrhunderten gehört, aber der Temperaturanstieg insgesamt seit 15
Jahren auf hohem Niveau stagniert -- trotz des rapiden Anstieges des
Kohlendioxid-Ausstoßes. Klingt das nach Entwarnung oder wie lässt
sich dieses Phänomen erklären?

Prof. Dr. Hartmut Graßl: Von Entwarnung kann und darf keine Rede
sein -- und lässt sich aus den Untersuchungen der NASA-Kollegen auch
nicht ableiten. Vergleicht man die 90er-Jahre mit dem ersten
Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, gibt es einen weiteren mittleren
Temperaturanstieg. Meteorologen messen seit Mitte des 19.
Jahrhunderts die Temperaturen zwei Meter über Grund annähernd global.
Aus dieser Sys"tematik lässt sich der Klimawandel eindeutig belegen.
So war das Jahrzehnt von 2001 bis 2010 deutlich wärmer als das
Jahrzehnt von 1991 bis 2000.

Klimaforscher Mojib Latif gerade hat bereits im April 2012
vorhergesagt, dass sich der Erwärmungsstopp bis 2020 fortsetzen wird.

Graßl: Ich habe nichts dagegen, wenn man fragt: Wo ist denn der
steile Temperaturanstieg innerhalb des letzten Jahrzehnts geblieben?
Denn dieser steile Anstieg ist in der Tat nicht da. Aber in einer
Zeit mit generell ansteigenden Temperaturen wird es immer Jahrzehnte
geben, wo es keine starken Temperaturerhöhungen gibt. So ist die
Natur organisiert, so sind Klimaänderungen immer abgelaufen. Ich kann
also nur sagen: Ruhe an dieser Front. Es ist so warm wie noch nie.
2010 war das bisher wärmste Jahr, dann folgen 2005 und 1998.
Behauptungen, der Klimawandel wäre gestoppt, sind reine
Scharlatanerie.

Einige Experten sagen, dass die Ozeane viel Wärme schlucken.
Erklärt das die Schwankungen?

Graßl: Ja, denn ein relativ großer Teil der Erwärmung geht in die
Ozeane. Dazu muss man sich nur verdeutlichen: Eine drei Meter hohe
Ozean-Wasserschicht hat genau so viel Wärmeinhalt wie die gesamte
Atmosphäre darüber. Sind die bisherigen Vorhersagesysteme zu ungenau,
wenn natürliche Klimaeinflüsse den Temperatur-Anstieg bremsen, wie
Jochem Marotzke vom Max-Plack-Institut vermutet? Graßl: Wir wissen
noch nicht, über welche Mechanismen wann und wie viel Wärme in den
inneren Ozean abgezogen wird. Der Ozean ist schlechter verstanden als
die Atmosphäre, da wir erst seit einigen Jahren ein annähernd
globales Beobachtungssystem für die oberen Wasserschichten des Ozeans
haben: Rund 3000 Floats oder Drifter, die fest programmiert sind und
Temperaturen in unterschiedlichen Wassertiefen messen, leiten die
Daten beim Auftauchen an Satelliten weiter. Dieses System lässt uns
erstmals ergründen, wie viel Wärme im oberen Ozean gestapelt ist. Die
Auswertung der Daten läuft gerade. Herr Marotzke hat dieses
Messsystem übrigens mit angestoßen. Generell sind die natürlichen
Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozeanen und Landgebieten groß,
daher gibt es natürliche Temperaturschwankungen. Deswegen war es so
schwer, den Einfluss des Menschen auf das Klima he"rauszufiltern.
Erst in den 90er-Jahren ist es uns gelungen, unzweifelhaft zu
belegen, dass der Temperaturanstieg der vergangenen Jahrzehnte vom
Menschen beeinflusst wurde. Außer ein paar Scharlatanen, die es ja
immer gibt, bestreitet heute kein Wissenschaftler mehr, dass der
Klimawandel anthropogen ist.

Wie bewerten Sie im Hinblick auf den Klimawandel die anstehende
,,Schiefergas-Revolution" in den USA, wo mit Hilfe des Frackings die
restlichen Gas- und Ölvorkommen in den USA ausgebeutet werden sollen?

Graßl: Das ist typisch Weltmacht. Eine Weltmacht hält sich nicht
an internationale Verträge, deswegen sind die Amerikaner auch aus dem
Kyoto-Protokoll ausgestiegen. Die ,,Schiefergas-Revolution" wird den
Preis für Gas und Öl senken und damit Klimaschutzpolitik weiter
erschweren. Europa kann etwas dagegen setzen und macht es zum Teil ja
auch -- etwa über den Emissionshandel, der zwar etwas dahindümpelt
und zu wenig stringent ist. Aber wenigstens werden in Europa Versuche
gestartet, den Klimawandel zu stoppen. Der größte Feldversuch
überhaupt auf diesem Sektor ist die Energiewende in Deutschland.

Durch ,,Fracking" könnten Gaslagerstätten in Deutschland
ausgebeutet werden und das Land rund 13 Jahre unabhängig von
Gas-Importen machen. Wird Deutschland verstärkt ,,Fracking" nutzen,
wenn die Energiepreise weiter steigen?

Graßl: Nein, weil wir es nicht benötigen. Über die starken
Zuwächse bei erneuerbaren Energien und die Preisabsenkungen im
Bereich der erneuerbaren Energie müssen wir diesen Aufwand sehr
wahrscheinlich gar nicht treiben. In dem Moment, in dem die
Kilowattstunde Energie aus Wind und Sonne billiger ist als die aus Öl
oder Gas, wird keiner mehr nach Fracking schreien. Allerdings ist
fraglich, ob die Umweltbelastungen des Frackings künftig auf den Öl-
und Gaspreis aufgeschlagen werden. Ich wage zu bezweifeln, dass dies
rasch gelingt. Daher dürften Öl und Gas noch eine Zeitlang quasi
illegal billig bleiben.

Setzen Sie große Klimaschutz-Hoffnungen auf China?

Graßl: China investiert mehr Geld in Erneuerbare Energien als alle
anderen Länder weltweit, weil es weiß, dass es die Kohle gar nicht so
schnell aus dem Boden holen kann, wie die Wirtschaft und damit der
Energiehunger wächst.

Ist ein diktatorisches System im Vorteil gegenüber westlichen
Demokratien?

Graßl: Nein, dazu reicht schon der Vergleich des Anteils
Erneuerbarer Energie an der Gesamtstromproduktion zwischen
Deutschland und China. Im Übrigen wissen wir nicht, ob Chinas
Diktatur nicht schon in zwei Jahren zusammenbricht. Es ist eine alte
Erfahrung, das Diktaturen im Endstadium ihrer Existenz immer
verbrecherischer werden. Das System in China ist sehr korrupt, die
Bürger gehen schon auf die Barrikaden. Im vergangenen Jahr gab es
Tausende Demonstrationen. Vieles davon wird bei uns nicht berichtet,
weil es nicht so spektakulär erscheint, wenn 500 Bauern im Westen
Chinas beinahe einen Parteisekretär lynchen. In dem Moment, wo dieses
System in China kollabiert, wird die Wirtschaftsleis"tung sinken,
werden die Emissionen sinken, wird die Armut zunehmen. Dann wird es
ein weiter, schwerer Weg bis zu einer Demokratie.

Ist das Desertec-Projekt aus Ihrer Sicht dazu geeignet, den
fortschreitenden Klimawandel zu stoppen oder Geldverschwendung?

Graßl: Das ist ein sehr guter Ansatz für die Regionen, die für
ihre Entwicklung rasch Strom brauchen. Dazu zählen die Staaten in
Nordafrika oder auch in Asien und Südamerika. Erneuerbare Energie
durch den Großeinsatz von Sonnenenergietechniken günstiger zu machen,
ist der einzige Weg für diese Länder, eine nachhaltige Entwicklung
zustande zu bringen. In Europa wird das Desertec-Projekt leider immer
nur im Hinblick auf günstigen Strom aus der Sahara für uns
diskutiert. Der wichtigere Punkt aber ist der Strom für die dortige
Region. Desertec wird kommen, denn Solarstrom gehört die Zukunft vor
allem in solchen Ländern, die keine Ölreserven haben.

Die Parteien in Deutschland ringen um den richtigen Weg zur
Energiewende. Wo sehen Sie die größten Baustellen bisher?

Graßl: Die größte Baustelle ist ganz eindeutig die
Strom-Speicherung.

Welchen Speicher-Möglichkeiten gehört denn die Zukunft?

Graßl: Der Speicherung über Wasserkraft und Gas. Alles, was wir
bräuchten, ist zum Beispiel bei Stürmen in Norddeutschland die
überschüssige Windenergie zur Gasproduktion zu nutzen und dieses Gas
dann zu speichern. Bei Bedarf wird das Gas dann zur Produktion von
Strom genutzt. Generell ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien in
Deutschland schon weit vorangekommen. Wir haben oft schon einen
Überfluss an Strom. Wer hätte gedacht, dass wir trotz Abschaltung von
acht Atomkraftwerken immer noch Strom exportieren? Wir müssen aber
für die Tage vorsorgen, an denen keine Sonne scheint und kein Wind
bläst.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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