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Landeszeitung Lüneburg: Weitsicht und ein langer Atem / Olaf Scholz Ïber die gute Kooperation und die vielen notwendigen Projekte in der Metropolregion Hamburg

Geschrieben am 24-01-2013

Lüneburg (ots) - Die Bündelung von Kräften ist in Zeiten eines
Fiskalpaktes mehr denn je gefragt. Doch einige Regionen haben schon
Jahre vor der Finanzkrise und der Euro-Schuldenkrise Kooperationen
gestartet. Dazu zählt auch die Metropolregion Hamburg, die erst im
April vergangenen Jahres erweitert wurde. Taugt diese große und
leistungsfähige Metropolregion als Blaupause für einen Nordstaat?
"Nein", sagt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Gespräch mit
unserer Zeitung. Denn die Idee dazu "ist von unten gewachsen.
Menschen haben sich als Teil des Großraums Hamburg empfunden, erst
dann ist ein politischer Überbau dazu entstanden." Das hält er für
den richtigen Weg. Ein Weg, der mit der künftigen rot-grünen
Regierung in Niedersachsen noch leichter werden dürfte, meint der
Bürgermeister der Hansestadt.

17 Kreise und Landkreise, vier Bundesländer umspannend: Ist die
Grenze der Metropolregion Hamburg erreicht oder bleibt die Region
offen für weitere Interessenten?

Olaf Scholz: Die Metropolregion ist erst im April noch einmal
gewachsen. Die Region umfasst ein riesiges Gebiet mit nun fünf
Millionen Einwohnern und einem Sozialprodukt von 160 Milliarden Euro.
Wir sollten jetzt erst einmal unsere Aufgaben anpacken. Wir in
Hamburg sind nicht diejenigen, die ständig Vorschläge machen, wer
noch dazukommen sollte. Das muss aus der Region selber wachsen und
natürlich immer im Einvernehmen mit den beteiligten Ländern
Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
geschehen. Aber hier sehe ich keine Probleme, denn die Zusammenarbeit
in der Metropolregion funktioniert generell sehr gut.

Wird die Zusammenarbeit im Norden nach dem rot-grünen Wahlsieg in
Niedersachsen noch besser?

Scholz: Die Zusammenarbeit der norddeutschen Bundesländer ist
traditionell gut. Daran haben auch verschiedene Regierungswechsel
nichts geändert. Unabhängig davon glaube ich, dass Stephan Weil ein
guter Ministerpräsident sein wird.

Die Zusammenarbeit im Bereich Tourismus klappt gut, nun soll die
Kooperation in den Bereichen Umwelt und Wirtschaft forciert werden.
Was sehen Sie als vordringliche Projekte im Bereich
infrastruktureller Maßnahmen?

Scholz: Die Bewältigung des Verkehrs ist ein wichtiges Thema. Die
rund 300EUR000 Pendler, die jeden Tag nach Hamburg kommen, müssen mit
Bus und Bahn gute Alternativen zum Auto haben. Besonders im Blick
behalten wir auch die Güterverkehrsmengen, die gerade im Hinblick auf
den Hamburger Hafen zu bewältigen sind. Wird der Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur vernachlässigt, kommt es zu Staus und
unerträglichen Belastungen derer, die an den Strecken wohnen. Das
gilt es zu verhindern.

Befürworten Sie den Ausbau des Elbe-Seitenkanals und des
Schiffshebewerks Scharnebeck?

Scholz: Ja, denn ich halte das für ein sehr wichtiges Vorhaben.
Wir im Norden versuchen seit geraumer Zeit, den Bund von dieser
ebenso notwendigen wie sinnvollen Investition zu überzeugen. Denn so
können Straße und Schiene entlastet und das umweltfreundliche
Verkehrsmittel Schiff besser genutzt werden.

Unterstützen Sie auch den Bau der A39 von Lüneburg nach Wolfsburg?

Scholz: Die Autobahn ist eine notwendige Weiterentwicklung, die
Stück für Stück vorangetrieben werden sollte. Bei solchen Projekten
braucht man einen langen Atem. Gerade bei einer so dynamischen
Metropolregion wie Hamburg muss perspektivisch gedacht werden. Der
Verkehr muss auch 2020, 2025 oder 2030 gut funktionieren,
Infrastrukturprojekte müssen dazu weit im Voraus geplant werden, denn
deren Umsetzung braucht oft sehr viel Zeit.

Welche Rolle kann und soll der HVV spielen?

Scholz: Der Hamburger Verkehrsverbund ist ein ganz wichtiger Teil
des öffentlichen Nahverkehrs in der Metropolregion. Klar ist, dass
sich alle wünschen, dass der HVV noch besser und größer wird. Dafür
müssen geeignete - und vor allem finanzierbare - Wege gefunden
werden.

Sind einheitliche Tarife für die Gesamtregion noch Zukunftsmusik,
wie es der Metropolregion-Geschäftsstellenleiter Jakob Richter
formuliert, oder realistisch?

Scholz: Alles was mit Geld zusammenhängt, ist nicht einfach zu
beantworten.

Fachausschüsse der Parlamente Hamburgs und Schleswig-Holsteins
wollen künftig gemeinsam tagen und Konsenslösungen anstreben.
Grundlegende Themen sollen sogar in einem gemeinsamen Ausschuss
beraten werden. Dafür ist ein Staatsvertrag nötig. Wie schnell kann
ein solcher Staatsvertrag realisiert werden?

Scholz: Das kann schnell gehen. Aber ich will ausdrücklich
betonen, dass für uns in Hamburg die Metropolregion stets alle
beteiligten Kommunen in den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen
und Mecklenburg-Vorpommern umfasst. Wenn bestimmte
Zusammenarbeitsformen an einer Stelle verbessert werden, ist das
immer ein Teil des großen Gesamtprozesses, was nicht die
Privilegierung der einen oder die Schlechterstellung der anderen
Region mit sich bringen soll.

Kann der Streit zwischen Kiel und Hamburg bezüglich der
Windenergiemessen und der Hafenschlick-Entsorgung zeitnah gelöst
werden?

Scholz: Die Zusammenarbeit aller an der Metropolregion beteiligten
Bundesländer funktioniert sehr gut. Die Berichterstattung spiegelt
das nicht immer wider. Während öffentlich darüber gerätselt wird, wie
die Zusammenarbeit klappt, schließen wir einen Kooperationsvertrag
nach dem anderen, der die Zusammenarbeit im Norden vertieft etwa über
die Luftraumüberwachung oder die Unterbringung von
Sicherungsverwahrten.

Der Präses der Industrie- und Handelskammer Lübeck, Christoph
Andreas Leicht, fordert einen Bildungsstaatsvertrag zwischen Hamburg,
Kiel und Schwerin. Wird daran bereits gearbeitet?

Scholz: Bildung ist eine Angelegenheit der Länder und das gehört
zu den guten Dingen des Föderalismus. Die Idee eines
Bundesbildungsministeriums, das bis in die letzte Schule in Flensburg
oder am Bodensee regelt, wie der Unterricht ablaufen sollte, wird uns
nicht glücklich machen. Wir sollten am Bildungsföderalismus
festhalten. Das kann uns aber nicht davon abhalten, nach Wegen zu
suchen, wie wir sicherstellen, dass sich Bildungsniveaus angleichen
können. Eltern, die von einem zum anderen Bundesland umziehen,
sollten nicht das Gefühl haben, mit ihren Kindern vor unüberwindbaren
Hürden zu stehen.

Kooperationen und Staatsverträge sind in Arbeit, doch die
Metropolregion Hamburg ist schon lange Realität. Würden Sie die
Metropolregion Hamburg als Keimzelle oder Blaupause eines Nordstaates
bezeichnen?

Scholz: Nein. Die Metropolregion funktioniert, weil das ihr
zugrunde liegende Konzept richtig ist. Dass es einen Staatsvertrag
mit vier Ländern gibt und wir eine Metropolregion haben, in der fünf
Millionen Menschen leben, ist keine politisch willkürliche Idee
gewesen, sondern von unten gewachsen. Die Bewohner der
Nachbarregionen haben sich als Teil des Großraums Hamburg empfunden,
erst dann ist ein politischer Überbau dazu entstanden. Das halte ich
auch für den richtigen Weg.

Hamburg hat erstmals seinen Status als Geberland verloren, damit
ist der gesamte Norden Nehmer im Finanzausgleich. Kommt der
Kooperation im Norden insofern eine weitere Bedeutung zu und wie
entspannt sind Sie angesichts der Klagedrohungen der Geberländer
Bayern und Hessen?

Scholz: Hamburg hat über viele Jahre in den Finanzausgleich
eingezahlt. Hamburg ist strukturell kein Nehmerland. Angesichts der
Wirtschaftskraft macht sich die Konjunktur hier aber schneller
bemerkbar. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch langfristig unseren
solidarischen Beitrag in Deutschland leisten werden. Hinsichtlich der
Klagen bin in nicht so pessimistisch, denn die Verträge, die beklagt
werden, sind von den Klagenden selbst unterschrieben worden - keine
plausible Grundlage für einen Prozess.

Fritz Horst Melsheimer, Präses der Hamburger Handelskammer beklagt
eine Lähmung der repräsentativen Demokratie und bezeichnet das
Verbandsklagerecht beziehungsweise die Zunahme von Volksentscheiden
als fatalen Irrweg, der Partikularinteressen bevorzugt. Teilen Sie
seine Kritik?

Scholz: Ich habe keine große Sorge, dass wir nicht in der Lage
wären, richtige Entscheidungen durchzusetzen, nur weil es die
Möglichkeit von Bürgerentscheiden und Verbandsklagen gibt. Wer klagt,
gewinnt ja noch nicht. Ich bin zum Beispiel ganz sicher, dass die
Elbvertiefung vor dem Bundesverwaltungsgericht Bestand haben wird.
Wenn die EU sagt, die Elbvertiefung sei mit europäischem Recht
vereinbar, ist es nicht plausibel anzunehmen, dass das
Bundesverwaltungsgericht sagt, dass die EU sich geirrt habe. Es ist
zwar nicht schön, dass das Urteil auf sich warten lässt und
vielleicht erst zum Jahresende gefällt wird, aber angesichts der sehr
umfangreichen Akten mit zahlreichen Gutachten nachvollziehbar. Wenn
man das drängende Problem des Wohnungsbaus betrachtet, gehe ich davon
aus, dass wir viele Bebauungspläne zustande bringen, weil die immer
wieder beklagte Mentalität des "not in my backyard" gar nicht im
Vordergrund steht. Wir haben im vergangenen Jahr über 8700
Baugenehmigungen erteilt, das hatte niemand gewagt, vorherzusehen.

Wie erklären sie den Widerspruch im "Geist der Kooperation im
Norden", wenn Hamburg darauf pocht, die Elbe für Container-Riesen
weiter zu vertiefen, Niedersachsen und Bremen aber einen neuen
Tiefwasserhafen haben?

Scholz: Das ist kein Widerspruch, sondern es passt alles gut
zusammen. Die weltweite Arbeitsteilung wird dazu beitragen, dass der
Güterumschlag über See noch weiter zunehmen wird. Für den Hamburger
Hafen haben wir eine Hochrechnung erstellen lassen. Demnach wächst
der derzeitige Umschlag von 9,5 Millionen Standardcontainern Mitte
der 20er-Jahre auf rund 25 Millionen an. Selbst wenn es nur 18 oder
19 Millionen werden, ist es viel mehr als jetzt. Das bedeutet, dass
Platz genug da ist für alle Häfen - und alle gebraucht werden. Wir
dürfen aber nie aus den Augen verlieren, dass auch die
Hinterlandanbindungen gut funktionieren müssen, damit die Belastungen
für die Bürger durch die starke Zunahme des Güterverkehrs so gering
wie möglich wird.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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