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"DER STANDARD"-Kommentar: "Camerons Spiel mit dem Feuer" von Christoph Prantner

Geschrieben am 23-01-2013

Ein letztes Aufflackern des Empire verstellt den Briten den
Blick auf ihr Interesse - Ausgabe vom 24.1.2013

Wien (ots) - Es ist eine seltsame Rede, die der britische
Premierminister da gehalten hat. David Cameron war darin
EU-freundlich und EU-feindlich zugleich, er war unspezifisch in den
konkreten Forderungen des Vereinigten Königreichs an die Europäische
Union und gleichzeitig sehr präzise, wenn es um die souveräne
Entscheidung der Briten über ihren möglichen Austritt geht. Ziemlich
genau 40 Jahre nach dem Beitritt der Insel zur Europäischen
Gemeinschaft ist Camerons politische Grußadresse, so viel steht bei
aller Verworrenheit fest, der bei weitem schwerwiegendste Ausdruck
des britischen Unbehagens gegenüber dem Kontinent.
Darin bilden sich viele, manchmal nur schwer nachvollziehbare Momente
politischen Kalküls ab. Mr. "Vabanque" Cameron setzt zum einen für
sein innenpolitisches Überleben alles aufs Spiel. Sein Versprechen
soll den erodierenden Tories die Labour-Partei und die EU-feindlichen
Kräfte vom Hals halten und ihm persönlich die Karriere in "10 Downing
Street" retten - auch wenn der Preis dafür die EU-Mitgliedschaft sein
sollte.
Daneben flackert ein letztes Mal das für alle - außer so manchem
Briten - augenscheinlich verwitterte Selbstverständnis eines
ehemaligen Empire auf, das sich in "splendid isolation" sicher
wähnte. Bemerkenswert exzentrisch versucht London, nunmehr höchstens
eine Großmacht in Autosuggestion, das Modell nun auch in einer
globalisierten Welt umzusetzen.
Und nicht zuletzt geht es in der Debatte um eine
Kosten-Nutzen-Abwägung, wer den jeweils anderen denn nun mehr
brauche: das Vereinigte Königreich Europa oder umgekehrt.
Die letzte Frage lässt sich relativ eindeutig beantworten: Europa
wäre ohne Großbritannien unvollständig, Großbritannien ohne Europa
ohne jede Chance auf eine prosperierende Zukunft. Wenn Cameron nun
Flexibilität, Wettbewerb und Offenheit von Europa fordert, weiß er
selbst nur zu gut, dass der Binnenmarkt, das Allerheiligste der
Union, nicht nur ökonomische Integration nach sich zieht, sondern
zwingend auch eine politische und soziale. Das eine ist ohne das
andere nicht zu haben - auch für die Briten nicht.
Dennoch haben sie sich in der europäischen Finanzkrise bewusst
verabschiedet. Das war ein erstes Aufkündigen des Konsenses für die
"immer enger werdende Union". Camerons Rede ist nun folgerichtig der
zweite Schritt. Trotzdem wird London eine durch die Krise noch
beschleunigte Integration in Europa nicht aufhalten können. Brüssel
lässt keine ultrasouveränen Empires zu, für die Briten heißt es
definitiv: Love it or leave it.
Ob Letzteres, ein Austritt, den Tony Blair im _Standard als
"verrückt" bezeichnet, tatsächlich ihren Interessen entspricht,
müssen sie natürlich selbst entscheiden. Hilfe könnte das
deutsch-französische Verhältnis geben, das dieser Tage mit Partys für
die vor 50 Jahre geschlossenen Élysée-Verträge gefeiert wird. Charles
de Gaulles Maxime, dass "Staaten keine Freunde kennen, sondern nur
Interessen", findet darin ihre vertragliche Entsprechung. Er und
Konrad Adenauer wussten 1963, dass eine Zukunft für beide Länder nur
eine gemeinsame sein konnte. Auf dieser Achse rollt Europa heute noch
ganz proper dahin.
Wenn die Briten auch 40 Jahre nach ihrem Beitritt noch nicht
vollständig begriffen haben, dass ein gemeinsames Europa auch ihr
ureigenstes Interesse ist, dann sollten sie tatsächlich gehen.
Farewell, Britannia!

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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