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Landeszeitung Lüneburg: ,,Nachhaltigkeit hat Priorität" -- Interview mit Entwicklungsminister Dirk Niebel

Geschrieben am 29-11-2012

Lüneburg (ots) - Die Förderung des Privatsektors ist ein wichtiges
Instrument nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit. Arbeit sei
Vo"raussetzung für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt,
sagt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). In einem Gespräch mit
unserer Zeitung zieht er eine Bilanz seiner bisherigen Arbeit und
wehrt sich zugleich gegen Kritik.

Herr Niebel, Ihr Ministerium setzt auf nachhaltige
Entwicklungszusammenarbeit. Was sind die Schwerpunkte dieses
Ansatzes?

Dirk Niebel: Wir wollen vor allem auf Wirksamkeit und Effizienz
achten. Wir wollen dazu beitragen, dass unsere Maßnahmen nachweisbar
zu Strukturveränderungen zum Wohle unserer Partnerländer führen.
Deshalb habe ich Strukturveränderungen vorgenommen, wie die Schaffung
der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sowie
Servicestellen zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, mit
Zivilgesellschaft und Kommunen in der Entwicklungspolitik und --
gerade erst vor drei Wochen -- ein unabhängiges Evaluierungsinstitut,
denn bisher können wir wissenschaftlich nicht nachweisen, ob und was
unsere Maßnahmen bringen.

Was genau soll die Evaluierungsstelle leisten?

Niebel: Die Wirkungsforschung ist sehr wichtig. Es gibt zum
Beispiel Maßnahmen, die im Einzelfall gut helfen und die
Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Aber wenn man nachhaltig
Strukturen verbessern will, damit unsere Partner in der Lage sind,
ihre Geschicke ohne Hilfe von außen selbst zu regeln, muss man
überprüfen, ob die Maßnahmen, die man eingesetzt hat, tatsächlich
einen Beitrag für Strukturveränderungen leisten oder ob das Land
hinterher genauso bitter arm oder genauso wenig rechtsstaatlich oder
demokratisch ist.

Denken Sie da an die jahrelang fehlgeleitete Entwicklungspolitik
in Afrika?

Niebel: Viele Afrikaner bli"cken zu Recht kritisch auf die
Entwicklungspolitik der vergangenen 50 Jahre zurück. Zwar kann man
die Situation nicht pauschalisieren, denn in Afrika gibt es 54 höchst
unterschiedlich entwickelte Staaten mit einer
Entwicklungsstadium-Bandbreite von Südafrika bis Somalia. Aber die
klassische Entwicklungshilfe der Vergangenheit hat in der Tat unsere
Partner eher in Abhängigkeit gebracht und nicht zur nachhaltigen
Bekämpfung von Armut geführt. Ich bin der festen Überzeugung, dass
zur nachhaltigen Armutsbekämpfung immer auch wirtschaftliche
Wachstumsmaßnahmen gehören. Denn am besten bekämpft man Armut, indem
Arbeitsplätze mit ausreichendem Einkommen geschaffen werden oder
indem der Staat genügend Steuereinnahmen hat, um
Basisdienstleistungen etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich selbst
finanzieren zu können.

Gute Entwicklungspolitik kostet auch Geld. Deutschland ist noch
meilenweit vom internationalen Ziel entfernt, 0,7 Prozent der
Wirtschaftskraft in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Gerade
ist Ihr Etat gekürzt worden. Sehen Sie das als falsche
Weichenstellung?

Niebel: Natürlich braucht man auch finanzielle Mittel, um gute
Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben. Aber die Summe des
eingesetzten Geldes ist nicht das Maß der Dinge. Viel Geld ausgeben
kann jeder. Wichtig sind Effizienz und Wirksamkeit der eingesetzten
Mittel. Trotzdem gibt es dieses internationale Versprechen, das
erstmals eingegangen wurde, als ich sieben Jahre alt war, und das
bisher nicht erreicht worden ist. Deutschland hat es aber in den
vergangenen Jahren geschafft, die Mittel für Entwicklungskooperation
aufzustocken, ist zweitgrößter internationaler Geldgeber für
bilaterale Zusammenarbeit. In meiner Amtszeit ist die Quote von 0,35
auf 0,4 Prozent gestiegen. Umso schmerzhafter ist es, dass jetzt der
Haushaltsgesetzgeber entgegen dem Regierungsentwurfs die Mittel
gekürzt hat.

Nach der Brandkatastrophe in einer Textilfabrik in Bangladesch
haben Sie Verbraucher dazu aufgerufen, nicht immer das billigste
Produkt zu kaufen. Hätte ein Teil der Entwicklungshilfe für
Bangladesch, das seit 1971 schon mehr als zwei Milliarden Euro
erhalten hat, nicht auch in bessere Arbeitsbedingungen und besseren
Arbeitsschutz investiert werden können?

Niebel: Das tun wir. Wir haben rund sieben Millionen Euro zur
Verfügung, die wir projektbezogen für bessere Sozial- und
Umweltstandards investieren -- dazu gehören auch Textilfabriken,
allerdings nicht das von der Brandkatastrophe betroffene Werk. Wir
arbeiten nach den Richtlinien der Internationalen
Arbeitsorganisation. Und wir arbeiten teilweise im Auftrag von
Textilunternehmen, die saubere Zulieferketten haben wollen. Manchen
Produzenten vor Ort muss eben erklärt werden, dass Kinderarbeit
inakzeptabel ist, dass Überstunden auch bezahlt werden müssen. Wir
versuchen also, Know-how zu transferieren, zu zeigen, wie man es
macht. Es kann aber nicht unsere Aufgabe sein, jede Produktion zu
überwachen. Das müssen die Behörden vor Ort tun. Die UN haben
kürzlich die hohen Transfergebühren angeprangert, die Banken für
Überweisungen in Entwicklungsländer erheben. Allein im vergangenen
Jahr gingen Entwicklungsländern 3,2 Milliarden Euro verloren. Planen
Sie eine Initiative gegen die hohen Gebühren? Niebel: Die gibt es
bereits. Wir unterstützen die sogenannte "Diaspora", also
Auslandsstaatsbürger, die Gelder in ihr Herkunftsland überweisen,
durch Informationen, wie sie Gebühren sparen können. Für manche
Entwicklungsländer ist die Rücküberweisung ihrer Bürger aus dem
Ausland die wichtigste Devisenquelle.

Viele der ärmsten Länder sind am stärksten vom Klimawandel
betroffen. Wie verträgt sich Ihre Arbeit mit einem
Wirtschaftsminister Ihrer Partei, der sowohl eine Erhöhung der Preise
für CO2-Zertifikate als auch den Vorstoß Altmaiers, den Ausstoß von
Treibhausgasen in der EU bis 2020 nicht um 20, sondern um 30 Prozent
zu senken, strikt ablehnt?

Niebel: Die Verknappung von CO2-Emissionszertifikaten würde zu
einer Mehrbelastung der deutschen Wirtschaft und dadurch zu weniger
Steuereinnahmen führen. Dies würde die Leistungsfähigkeit des Staates
in der Entwicklungszusammenarbeit reduzieren. Hier geht es um einen
vernünftigen Mittelweg. Wir haben einen funktionierenden
CO2-Zertifikatehandel. Die Zertifikate-Preise sind gesunken, weil
weniger Treibhausgase emittiert wurden. Das System funktioniert also.

Hätte es nicht Vorbildfunktion, wenn die EU bis 2020 die
CO2-Emissionen nicht um 20, sondern um 30 Prozent senken würde?

Niebel: Wir sind schon an der Spitze in Europa. Ich glaube, es
wäre vernünftig, hier den Geleitzug anzuführen, aber nicht
davonzufahren.

Eigentlich wollten Ihr Ministerium und das Außenministerium eine
Politik aus einem Guss betreiben. Traut man einem Spiegel-Artikel
unter der Überschrift "Ende einer Männerfreundschaft", gibt es
derzeit Reibereien.

Niebel: Man sollte dem Spiegel-Artikel aber nicht trauen.
Insbesondere die Überschrift ist erstunken und erlogen. Die
Freundschaft zwischen mir und Guido Westerwelle ist ungetrübt.
Richtig ist, dass wir im Wahlkampf eine Forderung aufgestellt hatten,
die wir nicht umsetzen konnten, da uns der politische Partner für
diese Organisationsreform im Kabinett fehlte. Diese Reform ist
übrigens nicht wirr, denn die Hälfte der EU-Länder hat ein eigenes
Entwicklungsressort, die andere Hälfte macht die Entwicklungspolitik
im Außenministerium, teilweise mit zwei, teilweise mit nur einem
Minister. Da wir keine Reform durchsetzen konnten, wollten wir
zumindest einen kohärenten Außenauftritt haben, eine Politik aus
einem Guss machen und verhindern, dass -- wie in der Vergangenheit
geschehen -- der Außenminister in einer Hauptstadt im Ausland eine
Rede hält, und einen Tag später in der gleichen Stadt die
Entwicklungsministerin mit konträren Antworten auf gleiche Fragen
antwortet.

Sie haben sich also mit Ihrem Amt angefreundet, obwohl Sie noch im
Wahlkampf 2009 die Abschaffung des Entwicklungsministeriums gefordert
hatten?

Niebel: Mir wurde die mediale Höchststrafe aufgebürdet, aber ich
habe mich sehr angefreundet mit diesem Amt. Zudem habe ich eben
erklärt, wa"rum ich eine Zusammenführung mit dem Außenministerium
gefordert hatte. Da dies nicht durchsetzbar war, habe ich wichtige
Strukturen im Ministerium reformiert. Der Vorwurf meiner
Amtsvorgängerin, ich würde eine ganz andere Politik als sie machen,
ist also berechtigt. Denn dafür bin ich gewählt worden.

Integrative Sicherheitspolitik gilt als beste Vorsorge für Krisen.
Sollten künftig Entwicklungs-, Außen-, und Verteidigungsministerium
besser zusammenarbeiten?

Niebel: Ja. Deswegen haben wir -- der Verteidigungsminister, der
Außenminister und ich -- vor wenigen Wochen das Konzept der
Bundesregierung im Umgang mit fragilen Staaten vorgestellt. Alle
Instrumente, die hilfreich sein können, sollen eingesetzt werden, um
zu verhindern, dass Staaten "Failed States" werden, also verloren
gehen, zerbrechen. Mit diesem vernetzten Ansatz haben wir schon
Erfahrungen sammeln können. Nicht nur in Afghanis"tan, sondern
aktuell auch in Mali. Entwicklungspolitik, die mit einem vernetzten
Ansatz Perspektiven schafft, ist meiner Ansicht nach das schärfste
Schwert gegen Extremismus.

Wolfgang Kubicki hat als ,,Rampen-Lichtgestalt" die FDP erneut in
den Kieler Landtag geführt. Wer soll es in Hannover richten?

Niebel: Ich glaube, dass Herr Birkner ein hervorragender
Spitzenkandidat ist. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die
Energiewende auch auf Landesebene begleitet wird. Und hier wirkt Herr
Birkner sehr zielorientiert. Ich glaube, wir werden einen
schwungvollen Wahlkampf machen, der auch auf der bisherigen guten
Regierungsarbeit fußt.

Es ist interessant, dass Sie Herrn Birkner nennen und nicht einen
anderen bekannten FDP-Politiker aus Niedersachsen...

Niebel: ... Herr Birkner ist der Spitzenkandidat -- und nicht Herr
Rösler.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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