(Registrieren)

Ethikrat diskutierte Fragen des Zugangs zu Medikamenten in Entwicklungs- und Schwellenländern

Geschrieben am 22-11-2012

Berlin (ots) - "Menschenrecht auf Gesundheit und Patentschutz -
ein Widerspruch?" Diese Frage erörterten die Mitglieder des Deutschen
Ethikrates und die eingeladenen Referenten gemeinsam mit mehr als 200
Besuchern im Rahmen einer Abendveranstaltung der Reihe "Forum
Bioethik" am gestrigen Mittwoch in Berlin.

Ein Drittel der Weltbevölkerung habe keinen Zugang zu
lebensnotwendigen Medikamenten; die Hälfte der Betroffenen lebe in
den ärmsten Regionen Afrikas und Asiens, so Christiane Woopen, die
Vorsitzende des Ethikrates, zu Beginn der Veranstaltung. Inwiefern
können Mechanismen der Marktwirtschaft zur Gerechtigkeit in der
Gesundheitsversorgung beitragen? Welche Verantwortung tragen
Industrie, Wissenschaft und Staaten für die Gesundheitsversorgung für
die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern? Bei diesen
Fragen spiele der Patentschutz von Medikamenten eine beispielhafte
Rolle. Einerseits solle der Patentschutz Anreize für die Entwicklung
von Innovationen setzen, andererseits stehe er aber unter dem
Verdacht, den Zugang zu diesen Innovationen zu blockieren und
Menschen von wesentlicher Gesundheitsversorgung abzuschneiden.

Der Völkerrechtler Holger Hestermeyer vom Max-Planck-Institut für
ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg
stellte die rechtlichen Rahmenbedingungen vor: Das Übereinkommen über
handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS)
regelt den Patentschutz auf internationaler Ebene und ist für alle
Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation bindend. Es entfaltet
damit unmittelbare materielle Wirkung für die Staaten und
Unternehmen. Demgegenüber sei das im UN-Sozialpakt verbriefte
Menschenrecht auf Gesundheit für den Staat ein Auftrag, aber für den
Bürger nicht einklagbar.

Der Gesundheitswissenschaftler Albrecht Jahn von der Universität
Heidelberg steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Das
Patentrecht habe nicht dazu geführt, dass die Industrie ihre hohen
Profite in die Forschung an neuen Medikamenten investiere. Die im
Jahr 2001 von der Welthandelsorganisation angenommene
Doha-Deklaration erleichtere es den Staaten trotz Patentschutzes, den
Zugang zu essenziellen Medikamenten zu ermöglichen. Um nachhaltig
eine bessere Versorgung zu gewährleisten, sollten die Kosten für
Forschung und Entwicklung von den Medikamentenpreisen entkoppelt
werden. Vorschläge hierfür hat die CEWG, eine Arbeitsgruppe der WHO,
der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2012 vorgelegt.

Diesen Gedanken unterstrich auch die Philosophin Corinna Mieth von
der Ruhr-Universität Bochum. Patentschutz lasse sich ethisch zwar
rechtfertigen, doch wenn es in einzelnen Bereichen bessere
Alternativen gebe, um Menschen in Not zu helfen, ohne die Interessen
der Industrie übermäßig zu verletzen, dann gebe es eine moralische
Verpflichtung, diese zu verfolgen. Infrage kämen Modelle, die die
Staaten verpflichteten, einen gewissen Teil ihrer Budgets für die
Erforschung und Bereitstellung wichtiger Medikamente für
vernachlässigte Erkrankungen zur Verfügung zu stellen.

Die Suche nach Lösungen stand auch im Fokus des anschließenden
Streitgesprächs. Helge Braun, Staatssekretär im
Bundesforschungsministerium, sprach sich dafür aus, die Erforschung
von Medikamenten zu fördern, für die der Patentschutz kaum Anreize
schaffe. So betreibe die Bundesregierung seit 2010 den Aufbau
gezielter Forschungskooperationen zwischen deutschen und
afrikanischen Institutionen sowie die Beteiligung an
Produktentwicklungspartnerschaften für die Entwicklung und
Finanzierung von Medikamenten.

Cornelius Erbe vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller
argumentierte, die Debatte um den Patentschutz gehe am eigentlichen
Problem vorbei. Die meisten lebensnotwendigen Medikamente seien
längst nicht mehr durch Patente geschützt, die Versorgung der
Menschen scheitere vielmehr an infrastrukturellen, speziell
logistischen Problemen. Hier müsse der Hebel angesetzt werden.

Christiane Fischer von der BUKO-Pharma-Kampagne und gleichzeitig
Mitglied des Ethikrates, kritisierte diese Argumentation. Man könne
von der Pharmaindustrie durchaus erwarten, dass sie dringend
benötigte Medikamente produziere und die Versorgung der Bevölkerungen
in den armen Ländern nicht durch den Patentschutz behindere.

Im Vordergrund der Diskussionsrunde mit dem Publikum standen die
Möglichkeiten der Regulierung des Pharmasektors. Ein Resümee aus dem
Publikum, neue Innovationsanreize außerhalb des Patentrechts zu
schaffen, fand große Zustimmung.

Nun gelte es, die vorhandenen Modelle zur Fortentwicklung des
Patentrechts zu einer strukturverändernden Strategie zu verbinden,
betonte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates
Wolf-Michael Catenhusen in seinem Schlusswort. "Dies ist ein Chance
und eine Verpflichtung für Deutschland, Vorreiter der internationalen
Entwicklung auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung zu sein."

Die einzelnen Vorträge und die Diskussion können unter http://www.
ethikrat.org/veranstaltungen/forum-bioethik/menschenrecht-auf-gesundh
eit-und-patentschutz nachgelesen werden. Der Audiomitschnitt ist an
derselben Stelle abrufbar.



Pressekontakt:
Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel: +49 30 203 70-246
Fax: +49 30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: www.ethikrat.org


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

430858

weitere Artikel:
  • Das Erste, Freitag, 23. November 2012, 5.30 - 9.00 Uhr Gäste im ARD-Morgenmagazin Köln (ots) - 7.05 Uhr, Sigmar Gabriel, SPD-Parteivorsitzender, Thema: Rente und Eurogipfel Pressekontakt: WDR Presse und Information, Kristina Bausch, Tel. 0221-220-7121 Agentur Ulrike Boldt, Tel. 02150 - 20 65 62 mehr...

  • RNZ: Feingefühl? - Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg zu NSU/ Untersuchungsausschuss/ Attentat/ Köln/ Behrens Heidelberg (ots) - Hinterher ist man immer schlauer. Dass die Morde an türkischstämmigen Einzelhändlern auf das Konto eines Terrortrios gehen - aus heutiger Sicht muss man sich die Augen reiben, warum damals niemand Verbindungen gesehen haben will. Nur ganz allmählich bringt der NSU-Ausschuss Licht ins Dunkle. Wie gestern bei der Aussage des damaligen NRW-Innenministers Behrens zum Nagelbomben-Attentat 2004 in Köln. Nach heutigen Einschätzungen, hätte an diesem Fall am ehesten die Spur zur NSU entdeckt werden können. Weshalb sich mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zu Strompreisen Ulm (ots) - Abzocke oder ganz normale Marktentwicklung - die Urteile über die kräftigen Preiserhöhungen für Strom Anfang 2013 könnten kaum gegensätzlicher ausfallen. Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Unbestritten sind erneuerbare Energien die wesentlichen Preistreiber. Sie werden so schnell ausgebaut, dass die staatlichen Abgaben explodieren, mit denen die Kunden garantierte Preise für Solar- und Windstrom finanzieren müssen. Die Zeche der Verbraucher könnte allerdings deutlich kleiner ausfallen, wenn die Energieversorger mehr...

  • Rheinische Post: Kluge Köpfe statt Kühe = Von Anja Ingenrieth Düsseldorf (ots) - Es gibt bessere Zeiten, um über mehr Geld für Brüssel zu verhandeln: In den EU-Ländern regiert der Rotstift. Trotzdem gingen EU-Kommission und Europa-Parlament mit der Forderung nach mehr Geld in die Verhandlungen. Kein Wunder, dass die Nettozahler-Länder um Deutschland nicht begeistert sind. Sie wollen, dass auch Brüssel den Gürtel enger schnallt. Die Subventionsempfänger, vor allem in Süd- und Osteuropa, wollen aber kein EU-Geld für ihre Bauern und Regionen verlieren. Die Fronten im Verteilungskampf sind altbekannt, mehr...

  • Rheinische Post: Der Problem-Peer = Von Michael Bröcker Düsseldorf (ots) - Die Genossen haben sich den Start ihres Kanzlerkandidaten sicher anders vorgestellt. Dass der scharfzüngige Peer Steinbrück in der Debatte über seine lukrativen Nebenjobs kleinlaut fehlendes Fingerspitzengefühl einräumen musste, war schon ärgerlich. Der Rückzug eines offenbar ungeeigneten Online-Beraters ist es erst recht. So klug und umsichtig Peer Steinbrück als Finanzminister in der Wirtschaftskrise agierte, so tollpatschig präsentiert er sich als Kanzlerkandidat. Dabei geht es nicht um inhaltliche Fehler, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht