(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Der Sündenbock Der Fall Strepp ist Symptom einer fehlgelaufenen Entwicklung, vor der keine regierende Partei gefeit ist. Von Christian Kucznierz

Geschrieben am 25-10-2012

Regensburg (ots) - Von Journalisten einmal abgesehen, dürfte der
Name Hans Michael Strepp den meisten Menschen bislang nichts gesagt
haben. Die Namen Horst Seehofer oder Alexander Dobrindt hingegen
schon. Womit auch die Frage beantwortet ist, warum der
CSU-Pressesprecher gestern seinen Hut genommen hat, obwohl kaum
vorstellbar ist, dass er alleine die Entscheidung für seinen Anruf
beim ZDF getroffen hatte. Strepp ist der erste Sündenbock, den die
CSU opfert. Glaubt man den Worten des Parteichefs, vielleicht nicht
der letzte. In München hat man schnell verstanden, dass der Fall
Potenzial hat, zum Wahlkampfschlager der Opposition zu werden. Und
das völlig ohne Not. Denn die CSU steht in den Umfragen blendend da:
Nicht einmal eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Freien Wählern
kann ihr gefährlich werden. "Franz Josef Strauß, hilf!", mag es in
den Hinterzimmern der Partei deswegen ertönen, aber der Übervater der
Partei ist vielleicht derzeit der komplett falsche Patron, an den man
sich wenden könnte. Zu Zeiten von Strauß waren noch ganz andere Dinge
möglich. Es brauchte erst die Spiegel-Affäre, die sich in diesen
Wochen zum 50. Mal jährt. Damals musste er erkennen, dass die
Pressefreiheit vielleicht doch ein hohes Gut ist, das zudem auch noch
von den Bürgern geschätzt wird. Den Glauben daran, dass es möglich
ist, mit politischem Druck die Berichterstattung in die "richtige"
Richtung zu lenken, hat Strauß danach trotzdem nicht verloren. In
einem Fall wurde etwa ein kritischer Bericht zum Main-Donau-Kanal in
Bayern aus dem TV-Programm genommen. Allerdings muss man auch nicht
so weit zurückblicken. Der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Bender
musste 2010 nach einer langen Kontroverse seinen Posten auf Druck des
damaligen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch nehmen - offiziell
waren die schlechten Quoten des Senders der Grund. Dass handfeste
politische Gründe dahinter steckten, lag auf der Hand. Aber auch im
normalen Tagesgeschäft ist der Versuch der politischen Einflussnahme
auf Journalisten nicht selten - und das gilt bis hinein in die
Kommunalpolitik. Am deutlichsten wird das bei einer Geißel des
Berufs, die sich Autorisierung nennt. Es ist zumindest in Deutschland
Usus geworden, dass wörtliche Zitate von Politikern entweder von
ihnen selbst oder von ihren Sprechern gegengelesen und freigegeben
werden. Es kann durchaus sein, dass am Ende eine Formulierung
herauskommt, die vielleicht griffiger, origineller und
"nachrichtenwerter" ist, also besser geeignet ist, von anderen Medien
aufgriffen zu werden. In anderen Fällen werden sachliche Fehler
ausgemerzt. Im schlimmsten, und leider nicht seltenen Fall, werden
Aussagen verändert, geschönt oder ganz gestrichen. Dabei gilt
zumeist: Wer nicht mitspielt, bekommt auch keine Interviews. Bei
massiven Eingriffen liegt es an der Redaktion zu entscheiden, ob der
Text trotzdem verwendet wird. Hat er nichts mehr mit dem eigentlichen
Gespräch zu tun, wandert er dorthin, wo er hingehört: in den Müll.
Das Problem ist aber, dass gute Berichterstattung ohne eine gewisse
Nähe nicht möglich ist. Wer nicht nah dran ist, erfährt nichts. Aber
es gehört auch zum Handwerk, eine kritische Distanz zu wahren. Das
gilt aber für beide Seiten: für den Journalisten wie für sein
Gegenüber. Wer diese Balance aus Nähe und Distanz verliert, stolpert.
Den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff hatte die verlorene
Balance am Ende sein Amt gekostet. Die versuchte Einflussnahme dürfte
der CSU teuer zu stehen kommen. Die bayerische Opposition wird noch
länger Honig aus der Sache saugen. Mit dem Finger auf die CSU zu
zeigen, ist aber letztendlich scheinheilig. Auch SPD, Grünen oder
Freien Wählern muss klar sein, dass ein Hans Michael Strepp nur
Symptom einer fehlgelaufenen Entwicklung ist, vor der keine Partei,
noch dazu keine regierende, gefeit ist.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

425279

weitere Artikel:
  • Schwäbische Zeitung: Wer ARD und ZDF kontrolliert - Leitartikel Leutkirch (ots) - Es gibt sicherlich klügere oder umsichtigere Parteisprecher als Hans Michael Strepp einer war. Gestern ist der CSU-Mann, wahrscheinlich auf Drängen seines bayerischen Ministerpräsidenten, zurückgetreten. So nachvollziehbar und ehrenhaft es gewesen sein mag, dass Horst Seehofer noch zu Wochenanfang diesen Mann verteidigt hatte, so klar war auch, dass er diesen nicht lange würde halten können. Besonders nachdem ruchbar geworden war, Strepp habe gleich mehrmals bei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten versucht, Beiträge mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Unsinnig und überflüssig Zum Beschluss des Bundestages zur Ausweitung der Minijobs Cottbus (ots) - Rund 7,3 Millionen Bundesbürger gehen einem Minijob nach. Frauen landen hier nicht selten unfreiwillig, weil sich wegen ihrer langen Kindererziehungszeiten nichts Besseres auf dem Arbeitsmarkt bietet. Auch leisten Minijobs dem Niedriglohnsektor Vorschub. Denn es gibt keine Arbeitszeitregelung. Die Begrenzung auf 15 Wochenstunden, die einen Minijob einst zum Minijob machten, wurde 2003 von Rot-Grün abgeschafft. Obendrein sind die Minijobs für die Sozialkassen problematisch, denn der Arbeitnehmer braucht keine Beiträge mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Schuss in den Ofen Zur Transparenzrichtlinie über die Nebentätigkeiten von Abgeordneten Cottbus (ots) - Die Koalition hat wegen seiner hohen Nebeneinkünfte auf den SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück gezielt, und das war falsch. Der Konkurrent war nach kurzem Wirkungstreffer bald wieder putzmunter, dafür drohte die Attacke nach hinten loszugehen. Denn Steinbrück sagte, wenn er seine vielen Honorare exakt und nicht bloß in den drei vorgeschriebenen Größenklassen offen legen solle, dann, bitteschön, auch alle anderen Parlamentskollegen mit Zweitjob. Da kamen etliche Christ- und Freidemokraten schwer ins Schwitzen. Jetzt mehr...

  • Weser-Kurier: Zur neuen Nebeneinkunftsregel schreibt der Bremer "Weser-Kurier": Bremen (ots) - Noch ist nicht geklärt, ob der tatsächliche Auftraggeber einer Nebentätigkeit auch genannt wird. Aktuell reicht teilweise die Nennung einer Vermittlungsagentur. Haben Wähler nicht ein Recht darauf zu erfahren, an welche Interessensgruppen ihr Volksvertreter gebunden ist? Wer ihm für eine Rede oder eine Beratertätigkeit Geld gibt? Dann ist da noch die Zeitspanne: Zumindest im Gespräch ist, dass zwar im Zehn-Stufen-Modell veröffentlicht wird - dies aber nur ein Mal jährlich. Wenn ein Abgeordneter im Sinne eines Geldgebers mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Nebeneinkünfte der Abgeordneten Übler Verdacht CARSTEN HEIL Bielefeld (ots) - Die Abgeordneten sind Vertreter des Volkes. Sie sollten in einer ersten Betrachtung deshalb nicht schlechter behandelt werden als das Volk. Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands müssen - anders als in skandinavischen Ländern, wo auch die Einnahmen von Privatleuten leicht zu erfahren sind - ihre Einkünfte nur dem Finanzamt gegenüber voll offenlegen. Dieses Recht könnten die Politiker mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen. Aber: Abgeordnete vertreten die Interessen des Volkes, des Souveräns. Wie soll sich mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht