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BERLINER MORGENPOST: Ein süßer Keks für unterwegs Thomas Schmid über die Entscheidung für die EU als Friedensnobelpreisträger

Geschrieben am 12-10-2012

Berlin (ots) - Nehmen wir's von der positiven Seite: Die
Entscheidung, der Europäischen Union den Friedensnobelpreis zu
verleihen, regt zumindest zum Nachdenken, ja, zur Selbstreflexion der
Bürger Europas an. Dieser Preis geht in der Regel an einzelne
Personen - wobei auffällt, dass die Preise oft zu spät kommen und den
Verleihern in aller Regel der Mut fehlt, über den Schatten des mehr
oder minder linken Gutmenschentums zu springen. Noch keiner, der die
Werte des Westens scharf gegen den Sirenengesang des
Kulturrelativismus verteidigt, ist bisher in den Genuss des Preises
gekommen. Gewiss kein Zufall. Auch Organisationen sind schon mit dem
Preis geehrt worden, etwa Ärzte ohne Grenzen. Aber nun ein
gewaltiges, kontinentumgreifendes Gebilde, das zugleich weniger und
viel mehr ist als ein Staat. Man muss schon sagen, das ist unerhört.
Wer aber bekommt eigentlich den Preis? Herr Barroso? Frau Merkel
(verspätet an Helmut Kohls statt)? Das Europäische Parlament und der
schneidige Herr Schulz? Die Kommission, "Brüssel", posthum die
Gründungsväter von Altiero Spinelli bis Jean Monnet? Europas Staaten
und Völker, am Ende gar wir alle? Ja, das wird es sein: Wir sind
Nobelpreis! Eine schöne, erhebende Entscheidung. Aber auch eine, die
im Ungefähren, im Nebel der Geschichte, im Unentschiedenen verbleibt.
Die EU gäbe es ohne seine Bürger so wenig wie ohne seine Macher. Was
hat der Krieg, was hat das Volk, was haben Politiker, was haben die
neuen europäischen Institutionen zu dem Friedenswerk beigetragen?
Dazu schweigt die Entscheidung. Wer seine Vergangenheit nicht kennt,
verfehlt die Zukunft, ja sicher. Doch das Nobelpreiskomitee bleibt
ganz im Gestern. Es begründet die Entscheidung mit der Überwindung
der Traditionen mörderischer europäischer Bruderkriege, mit der
Integration von drei ehemaligen Diktaturen (Griechenland, Spanien,
Portugal), mit dem Ende der Ost-West-Spaltung und mit der mählichen
Rückkehr des Balkans in eine rechtsgeleitete Staatenwelt. Abgesehen
davon, dass hier die Wirtschaft, die vielleicht der größte
Friedensmotor gewesen war, gar nicht vorkommt: In dieser Entscheidung
spiegelt sich gar nicht die Tatsache, dass Europa in einer selbst
verschuldeten Krise steckt und seine Bürger der EU nicht mehr das Maß
an Zuneigung entgegenbringen, das sie einst dem Europa-Gedanken
entgegengebracht hatten. Der Preis soll wohl eine Ermunterung sein,
nehmen wir es denn auch so. Eine nette Geste, wie eine Rose, die auf
dem Samstagsmarkt verteilt wird. Europa läuft gut, braucht aber auch
eine Neubegründung: durch die Politik, die Institutionen, die Bürger,
die Kultur. Das Eiapopeia aus Norwegen nehmen wir wie einen süßen
Keks zur Wegzehrung mit. Um den Rest müssen wir uns schon selbst
kümmern. Nach dem Nobelpreis ist vor den Mühen der Ebene und der
Gipfel.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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