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"DER STANDARD"-Kommentar: "Ein Slogan zum Wutablassen" von Gudrun Harrer

Geschrieben am 16-09-2012

Die arabischen Revolten haben die Ressentiments gegen den
Westen nicht geheilt (Ausgabe ET 17.09.2012)

Wien (ots) - Eine Frage geistert durch die Kommentare über die
neuen Proteste in der arabischen Welt: Ist es nun wirklich genuiner
religiöser Furor, der diese Menschen auf die Straßen treibt, oder
sind sie Marionetten in der Hand von politischen Manipulatoren?
Befragt, antworten sie ja alle das Gleiche, von Marokko bis in den
Jemen: Sie protestieren für ihren Propheten.

Gleichzeitig deutet der neue ägyptische Premier Hisham Kandil an,
dass "eine Anzahl" von Demonstranten in Kairo bezahlt waren. Beweise
bringt er dafür nicht und nennt auch nicht den oder die Auftraggeber.
So wie Libyens Vizeinnenminister nach dem Tod des US-Botschafters
reflexartig auf "Gaddafi-Anhänger" zeigte, so sind es in Ägypten die
Mubarakisten, die schuld sind, wenn in Assuan ein Fahrrad umfällt.
Böser Spaß beiseite, vielleicht flüchtet Kandil in die
Verschwörungstheorie, weil am Sonntag, dem ersten Tag der Woche und
des neuen akademischen Jahres in Ägypten, die wirklichen Probleme
über seiner Regierung zusammenschwappten: Benzinnotstand,
Energiekrise, Streikdrohungen aus unterschiedlichsten Sparten, Krieg
auf dem Sinai etc.

Ein Geschenk ist der Anti-Mohammed-Film zweifelsohne für die
Salafisten, die in Ägypten, Tunesien und Libyen vorführen konnten,
dass sich die neuen Führungen insofern nicht von den alten
unterscheiden, als sie den politischen Notwendigkeiten - zu denen ein
gutes Verhältnis zu den USA_gehört - Priorität vor der
Islam-Verteidigung geben. In der Innenpolitik ist es diesen Gruppen
nicht gelungen, die gemäßigten Islamisten in einen islamischen
Wettbewerb zu treiben. Auf eine supranationale Ebene versetzt, gegen
die USA, haben sie es geschafft. Und ihn gewonnen.

Dennoch sind auch nicht alle Demonstranten Salafisten, wie auch
nicht alle Salafisten demonstrieren gehen: Nicht alle
Ultra_religiösen haben ihren politischen Quietismus, der mit Respekt
für die jeweilige Obrigkeit verbunden ist, aufgegeben. Und es sind
auch nicht ausschließlich Revolutionsverlierer am Werk wie die
Fußball-Ultras in Ägypten, deren kritischer Beitrag zum Umsturz nie
gewürdigt wurde und die nun ihre Wut ablassen. Säkulare und Liberale,
ebenfalls Verlierer im politischen Prozess, stehen völlig abseits.
Übrigens fehlt auch in Syrien das Verständnis für die Proteste,
obwohl der Aufstand dort ja teilweise religiös geprägt ist: "Idioten
in Kairo! Wo seid ihr, wenn sich Assad-Truppen in Syrien in Moscheen
entleeren und sie niederbrennen?", lautet ein Tweet.

Im Grunde genommen sind die heutigen Demonstranten - deren Masse
man keinesfalls überschätzen sollte - den Revoltierenden von 2011
nicht unähnlich: Ein gemeinsamer Slogan verbindet sie, kratzt man
etwas daran, dann wird man auf unterschiedliche Hintergründe und
Motivationen stoßen. Aber sie entlarven einmal mehr als Kitsch, was
bei Ausbruch der Revolutionen medial verkündet wurde: Die Zeit der
Fixierung der Region auf konstruierte äußere Konflikte sei vorbei,
die Probleme würden als innere erkannt, benannt und bearbeitet
werden.

Auch wenn bei den Revolutionen keine US-Fahnen brannten, so waren
die alten Regime ja doch auch deswegen verhasst und delegitimiert,
weil sie als Marionetten einer imperialistischen Politik galten. Die
Ressentiments wurden nicht geheilt, es sind sogar noch neue
hinzugekommen: die der Säkularen und Liberalen, die die USA
beschuldigen, nun mit den Islamisten zu packeln.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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