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DER STANDARD-Kommentar: "Ein Rettungsring auf hoher See" von Birgit Baumann

Geschrieben am 12-09-2012

"Das deutsche ESM-Urteil stellt viele zufrieden, beendet aber
die Eurokrise nicht"; Ausgabe vom 13.09.2012

Wien (ots) - Nur ein Schwimmer kann einen Nichtschwimmer retten.
Dieser Überlebensgrundsatz gilt nicht nur draußen auf dem offenen
Meer, sondern auch in der Eurokrise. Auf die größte Volkswirtschaft
Europas gemünzt heißt das nichts anderes als: wenn Deutschland selbst
finanziell nicht mehr weiterkann, dann hat es natürlich auch keine
Kräfte mehr, um in Not geratenen Eurostaaten unter die Arme zu
greifen.
Dieses Szenario malen Gegner des Eurorettungsfonds ESM seit Monaten
an die Wand. Sie haben Angst, dass Europa die Krise nicht in den
Griff bekommt und Deutschland am Ende immer noch mehr seines hart
erwirtschafteten Geldes in den ESM stecken muss. Auf der anderen
Seite steht die Regierung, die versichert, dass es nie und nimmer so
weit kommen werde, weil sie ja auch die Regeln des Rettungsschwimmens
kennt.
Das Urteil, das die Verfassungsrichter am Mittwoch in Karlsruhe
gefällt haben, ist daher so etwas wie der Versuch, die beiden Lager
zu versöhnen. Das Gericht sagt Ja zur Beteiligung Deutschlands am
ESM. Doch in der gleichen Minute diktiert es seine Bedingungen.
Überraschend kam dieser Spruch nicht. Denn das deutsche Höchstgericht
hat sich in all seinen Urteilen seit dem Maastricht-Urteil 1993 (Ja
zur Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union) der
europäischen Integration niemals wie eine Betonmauer
entgegengestellt, sondern gab der Politik immer nur flankierende
Maßnahmen mit auf den Weg.
Natürlich können auch die Richter die Obergrenze für die deutschen
Zahlungen nicht auf alle Ewigkeiten in Stein meißeln. Aber immerhin
legten sie nun fest, dass der Bundestag das letzte Wort hat, wenn die
Verträge geändert werden sollen.
Das mag mancher eifrige Euro-Retter als etwas nervig empfinden, denn
wer kann heute schon sagen, welche Hilfsmittel Europa übermorgen
braucht. Doch es ist eine notwendige Maßnahme, denn auch in
Deutschland wird oft vergessen, dass es die Bürger und Steuerzahler
sind, die Europa ausmachen und dafür zahlen müssen - nicht abgehobene
Gremien, die im Geheimen mit exorbitanten, abstrakten Zahlen
jonglieren.
Es kann also nicht nur die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zufrieden
sein, dass dem ESM nun mit einiger Verspätung Geld und Leben
eingehaucht wird. Auch die Kläger in Karlsruhe können einen Erfolg
verbuchen. Ihnen haben Volk und Volksvertreter die Korrekturen zu
verdanken.
Gilt nun also: ESM gut, alles gut? Mitnichten. Der Richterspruch
wirkt zwar zunächst wie ein Rettungsring auf hoher See. Doch es ist
immer noch unklar, ob Griechenland in der Eurozone gehalten werden
kann, ob die Sorgenkinder Spanien und Italien wieder auf die Beine
kommen. Und eigentlich ist die Frage, ob die Beteiligung Deutschlands
am ESM auch verfassungskonform ist, schon wieder überholt - was
einmal mehr das aberwitzige Tempo der Eurokrise zeigt.
Die Europäische Zentralbank (EZB) nennt ihr Programm zu
Anleiheankäufen unbegrenzt. Das wiegt viel mehr als ein begrenzter
Rettungsschirm, auch wenn noch so viel Geld drinnen steckt. Die
Deutschen aber sind auch hier äußerst skeptisch und der Illusion,
dass jetzt nach dem Karlsruher Urteil Ruhe einkehrt, braucht sich
Merkel gar nicht hinzugeben. Jetzt allerdings ist sie - und mit ihr
die europäische Politik - wieder am Zug. Das Gericht hat seine
Schuldigkeit getan.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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