(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Lage der FDP: "Die FDP foult den Kapitän"

Geschrieben am 05-09-2012

Regensburg (ots) - Für eines verdient Philipp Rösler tiefe
Bewunderung: Die Leidensfähigkeit, die der FDP-Chef seit Monaten
unter Beweis stellt, erinnert schon fast an die
Schmerzunempfindlichkeit eines Fakirs. Was bei einem indischen
Asketen einem endlosen Lauf über Glasscherben und glühende Kohlen
entspricht - den Körper beschwert mit an der Haut aufgehängten
Gewichten - findet sein politisches Pendant im Job des
Ober-Liberalen. Und zwar nicht nur in Form einer verheerenden Reihe
schwerer Wahlniederlagen, sondern auch in einer Serie tiefer
persönlicher Demütigungen durch die eigenen Leute. Die FDP-Klausur in
Mainz steht daher unter einem besonderen Zeichen. Offiziell geht es
bei dem Treffen darum, den Kurs der Partei für die Bundestagswahl zu
bestimmen. In Wahrheit aber diskutieren die Liberalen längst darüber,
wie man Rösler an der Spitze loswird - ohne dass die FDP dabei
weiteren Schaden nimmt. Vor allem wird die Frage gestellt, wer das
Ruder in schwerer See übernehmen soll. Denn für die Gelben geht es um
alles oder nichts. Im schlimmsten Fall werden im Herbst 2013 alle 93
Bundestagsabgeordneten arbeitslos, falls die Partei unter fünf
Prozent bleibt. Dieser düstere Ausblick erklärt, warum die Nerven
blankliegen und Röslers Bewährungsfrist abgelaufen ist. Die FDP kommt
laut Umfragen einfach nicht aus dem Dauertief. Darüber können auch
die Zwischenhochs in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht
hinwegtäuschen. Diese kleinen Achtungserfolge gehen allerdings nicht
auf Röslers Konto. Sie wurden von den liberalen Ausnahmepolitikern
Wolfgang Kubicki und Christian Lindner eingefahren. Unvergessen
bleibt die Art und Weise, wie Kubicki seinen Sieg in Kiel alleine
feiern wollte. Das Nordlicht schickte die zweite Garde in die
FDP-Zentrale nach Berlin und ließ ausrichten, der Triumphator schlafe
lieber seinen Rausch aus, als sich öffentlich mit seinem Chef zu
zeigen. Dieser größtmögliche Affront heißt auf Deutsch übersetzt:
"Geh endlich!" In dieselbe Richtung zielte das ausgestreckte Bein von
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Rösler erfuhr
erst aus der Zeitung von ihrem umstrittenen Plan, den Ankauf von
Steuer-CDs unter Strafe zu stellen. Im Fußball bezeichnet man ein
solches Vorgehen als absichtliches Foul. Die FDP hat Rösler gewogen
und für einen Leichtmatrosen befunden. Dem Parteichef ist es nach dem
Putsch gegen Guido Westerwelle nicht gelungen, die Talfahrt zu
stoppen. Zu Westerwelles besten Zeiten wurden die Liberalen von
Teilen der Wähler wenigstens als Steuersenkungspartei wahrgenommen.
Seit die FDP in der Regierung sitzt, lachen darüber nicht einmal mehr
die Hühner. Die Partei wirkt unter Rösler ratlos und ohne Ziel. In
der Euro-Krise irrlichtert der FDP-Chef herum. Zuerst fuhr er - lange
vor dem CSU-Generalsekretär - schwere Kanonen gegen Griechenland auf.
Als ihn die Kanzlerin zurückpfiff, rollte er sein Fähnchen brav
wieder ein. Rösler hat es auch in anderen Politikbereichen nicht
geschafft zu definieren, wofür die "neue" FDP eigentlich steht. Auf
seiner Bilanz steht nichts - außer dem Vorwurf der Klientelpolitik.
Weitere Monate der Orientierungslosigkeit sind hochriskant. Denn um
die Partei inhaltlich komplett neu aufzustellen und gleichzeitig
wenigstens einen Teil des verspielten Vertrauens zurückzugewinnen,
ist jede Minute kostbar. Vieles deutet darauf hin, dass Fraktionschef
Rainer Brüderle aufs Steuerdeck geht, egal wie die Wahl in
Niedersachsen im Januar ausgeht. Denn der Parteiliebling Lindner
würde - sollte es im Bund zur totalen Pleite kommen - in der
Versenkung verschwinden. Ob der FDP-Stratege dieses Risiko wagt,
scheint fraglich. Der leutselige Brüderle dagegen hat politisch nicht
mehr viel zu verlieren. Ihm fiele die Aufgabe zu, als
Interimsvorsitzender mit dem letzten personellen Aufgebot den Schaden
zu begrenzen. Die FDP kämpft ums politische Überleben. Dabei geht es
nicht mehr um die Frage ob, sondern wann die Besatzung den Kapitän
von Bord jagt. Die Meuterei gegen Rösler ist längst in vollem Gang.
Autor: Stefan Stark



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

415721

weitere Artikel:
  • Neue OZ: Kommentar zu Patientenrechte Osnabrück (ots) - Bitte keine Ärzte-Schelte Jeder Kunstfehler ist einer zu viel. Da gibt es nichts zu deuteln. Mehr als 6400 Fälle von Ärztepfusch sind für 2011 bestätigt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Hinter der Statistik verbergen sich schreckliche Schicksale. Patienten leiden unnötig, werden verstümmelt oder sterben gar, weil bei ihrer Behandlung versagt wurde. Es wäre jedoch fatal, wenn deshalb das Vertrauen in die Kompetenz von Ärzten und Krankenhäusern erschüttert würde. Denn angesichts von mehr als 60 mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Ökumene Osnabrück (ots) - Berechtigte Ungeduld Lange nichts mehr gehört von der Ökumene. Beim Papstbesuch in Erfurt 2011 war sie kurzfristig ein Thema, seither herrscht wieder Funkstille. Gibt es wirklich ernsthafte Bestrebungen von Kirchenleitungen, die Trennung zu überwinden? In der breiten Öffentlichkeit ist davon nur wenig zu spüren. Umso mehr ist zu begrüßen, dass namhafte Politiker, Künstler und weitere Prominente die Einheit der Christen einfordern. In ihrem Appell schwingt ein ungeduldiger Ton mit, und der ist berechtigt. mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Radverkehr Osnabrück (ots) - Auf die Lenkung kommt es an Was das Kabinett unter großem Getöse als nationalen Radverkehrsplan beschlossen hat, lässt sich als unverbindlicher Leitfaden entzaubern. Die Strategie verfolgt das Ziel, den Anteil des Radverkehrs bis 2020 auf 15 Prozent zu erhöhen - zweifellos ein gutes Anliegen. Dieses lässt sich jedoch von ganz allein, ohne politische Begleitung, umsetzen. Schließlich erkennen immer mehr Leute, wie gesund, umweltschonend und günstig es ist, sich aufs Rad zu schwingen. Allerdings kommt es mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu US-Präsidentschaftswahl Osnabrück (ots) - Das Wirtschaftszeugnis Wäre die US-Präsidentschaftswahl nur ein Sympathiewettbewerb, Barack Obama würde ihn wohl gewinnen. Auch wenn der einstige Messias nicht mehr auf der Hoffnungswelle von 2008 surft - in dieser Kategorie wird er den Herausforderer Mitt Romney ausstechen. Was aber der Präsident angesichts einer Rekordverschuldung seines Landes von 16 Billionen Dollar dringend braucht, ist ein gutes Zeugnis für seine Wirtschaftskompetenz. Genau das hat ihm Michelle Obama ausgestellt. Vieles, was sie auf mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Zur Fahrrad-Offensive der Bundesregierung / Der Weg ist das Ziel Cottbus (ots) - Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung - jeder hat sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet, behindert oder belästigt wird - scheint in Deutschland unbekannt zu sein. Jedenfalls wenn Autofahrer auf Radler treffen. Die Autofahrer haben vielfach vergessen, dass die Straßen nicht ihnen allein gehören. Sondern dass sie, sofern es sich nicht um reine Kraftfahrtstraßen handelt, allgemeine Verkehrswege sind. Viele wissen auch nicht, dass es eine allgemeine Radwegebenutzungspflicht schon lange nicht mehr gibt. Etliche mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht