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"DER STANDARD"-Kommentar: "Politisches Urteil im besten Sinne" von Petra Stuiber

Geschrieben am 24-08-2012

Norwegen verdient Respekt für den Breivik-Prozess, ungeachtet
des Expertenstreits (ET 25./26. 08. 2012)

Wien (ots) - Anders Behring Breivik nahm das Urteil
des Osloer Strafgerichtes mit sichtlicher Genugtuung auf. Auch ohne
persönliche Betroffenheit konnte einem bei dem schiefen
Genugtuungs-Grinser des nun erstinstanzlich verurteilten
Massenmörders die Galle hochkommen. Das Gericht hat ein Urteil
gefällt, das den Angeklagten offensichtlich zufriedenstellt: voll
schuldfähig, daher Höchststrafe. Damit erfüllt es Breiviks
Bedürfnis, sich selbst als "politischer Gefangener" fühlen zu
dürfen.

Gleichzeitig genügt dieses Urteil aber auch dem Sühnebedürfnis
der Opfer und Hinterbliebenen - und der Mehrheit der norwegischen
Bevölkerung, wenn man Umfragen glauben darf. Demnach wünschten sich
die Norweger nichts sehnlicher, als dass Breivik voll schuldfähig
für die _77 Morde büßen muss, die er begangen hat. Insofern kann man
das Osloer Urteil auch als politisches Urteil begreifen - wenn auch
eines, das dem Rechtsempfinden der meisten Menschen wohl ziemlich
sympathisch ist.

Denn da bleibt doch die große Fragwürdigkeit der psychiatrischen
Gutachten: Dem ersten, offensichtlich missliebigen, das Breivik
paranoide Schizophrenie attestierte, folgte ein zweites, das Breivik
als vollkommen gesund einstufte - was selbst manche Angehörige im
Gerichtssaal bezweifelten. Der Mann zeigte sich in seinen Reaktionen
völlig abgespalten von seiner Umwelt - dies ist die Definition von
Schizophrenie. Dazu kommt die Problematik des archaisch Bösen: Wo
kämen wir hin, wenn dieses aus der Welt verschwände, wenn alle
Menschen, die monströs Böses getan haben, als krank gälten? Wäre
dann, wie ein deutscher Kriminologe in der Zeit philosophierte,
Hitler ebenso schuldunfähig gewesen, und mit ihm alle Nazis und
Mitläufer?

Andererseits wertet das Osloer Urteil Breivik auch auf: Es macht
ihn zum politisch bewegten Fanatiker. Dies mag auch die
Staatsanwaltschaft bewegt haben, im "begründeten Zweifel an der
psychischen Gesundheit des Angeklagten" auf schuldunfähig zu
plädieren.

Dass das Gericht letztlich anders entschieden hat, kann man auch
positiv sehen: Die Justiz dient im besten Falle dem Volk. Die Tat
eines Wahnsinnigen ist nur traurig. Nichts ist für Hinterbliebene
ärger als die unbegründete Grauenhaftigkeit eines Verbrechens, das
ein Kranker begangen hat. Die Tat eines politischen Fanatikers
macht, so grässlich sie sein mag, innerhalb unserer
Werte-Koordinaten irgendwie mehr Sinn.

Breiviks Verbrechen drängten den Rechtsstaat Norwegen an seine
Grenzen - das wäre wohl jedem anderen Rechtsstaat auch passiert.
Doch insgesamt war der Umgang norwegischer Politiker, Behörden und
Öffentlichkeit mit dem Fall hoch anständig. Vom Premier abwärts
erlag niemand der populistischen Versuchung, nach einer weniger
offenen Gesellschaft zu schreien. Der Prozess gegen Breivik wurde
weitgehend mustergültig geführt. Dafür verdient ein gesamtes Land
Respekt - unabhängig vom Expertenstreit rund um das Urteil.

Im Endeffekt ist es egal, ob Breivik schuldfähig ist oder nicht.
Er wird wohl nicht mehr aus der Haft entlassen. Und der Rechtsstaat
Norwegen mit seinem humanen Strafvollzug muss sich einer neuen
Herausforderung stellen: Es gilt zu verhindern, dass Breivik seine
islamophoben und inhumanen Botschaften weiter verbreitet und für
diesbezüglich Anfällige tatsächlich zum Märtyrer wird.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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