Neues Deutschland: Angst vor Beschneidung - des Rechts
Geschrieben am 30-07-2012 |
Berlin (ots) - Bei komplizierten ethischen Entscheidungen im
Bundestag, wenn keine Fachpolitiker ihre wohlüberlegten Antworten zur
Weiterverwendung empfehlen, dürfen die Abgeordneten zuweilen die
schützende Deckung ihrer Fraktionen verlassen und bei der Abstimmung
allein ihrem Gewissen folgen. Dies könnte im Falle der rituellen
Beschneidung von Knaben in jüdischen und muslimischen Familien nun
wieder der Fall sein. Ist die körperliche Unversehrtheit oder die
religiöse Selbstbestimmung höher zu bewerten, so fragen sich
bedächtig wägende Volksvertreter wie grüblerische Kolumnisten in
diesen Tagen. Von Sternstunden der Demokratie ist nach solchen
Debatten oft die Rede. Doch abgesehen von staatsrechtlichen und
demokratietheoretischen Überlegungen ist schon erstaunlich, wie in
diesem Fall Maßstäbe über Bord gehievt werden, die sonst fest vertäut
über alle Stürme und Untiefen gesellschaftlicher Wertedebatten
gerettet werden. Wie bereitwillig nun plötzlich Verständnis für
Beschneidungen aufgebracht wird, von Meinungsbildnern, die sonst so
leicht Regeln des Islam als Ausbünde einer zivilisatorisch
rückständigen Weltsicht verdammen! Sind Mohammed-Karikaturen nicht
viel leichter zu vermeiden als die Kritik am Beschnippeln des Penis
eines kleinen Jungen? Die Warnung vor Quacksalbern, die Kraft der
Tradition - all dies sind ernste Einwände. Doch das Grundrecht auf
Religion erlaubt nicht, Regeln der Religion zum Grundrecht zu
erklären. Mag sein, dass das Justizministerium sich deshalb mit einem
Gesetz schwer tut. Aus Angst vor Beschneidung - des Rechts.
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Neues Deutschland
Redaktion
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