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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar/Leitartikel zu Rumänien: "Einzige Rettung Europa"

Geschrieben am 09-07-2012

Regensburg (ots) - Prekäre Demokratien gibt es in Osteuropa genug.
Aber was gerade in Rumänien geschieht, toppt alles bisher Dagewesene.
In atemberaubender Geschwindigkeit räumt die neue Mehrheit aus
Sozialdemokraten und Nationalliberalen alle Hindernisse zur Absetzung
des Präsidenten aus dem Weg. Gesetze werden geändert, Beamte im
Handstreich ersetzt. Ob dabei wenigstens förmlich alles mit rechten
Dingen zugeht, wird sich wohl erst herausstellen, wenn der
Pulverdampf dieser Tage sich verzogen hat. Wir nicht, aber die auch!
Das ist üblicherweise die Antwort, wenn jemand sich über das Vorgehen
empört. Bei fairer Betrachtung wird man aber konstatieren müssen: Was
sich da jetzt abspielt, ist im Grunde die Ära des Präsidenten Traian
Basescu im Zeitraffer. Fast alle Gesetze, mit der die neue Mehrheit
sich gerade ihren Weg bricht, hat der machtbewusste Präsident zu
seinen Gunsten ändern lassen, als er noch die Parlamentsmehrheit
kontrollierte. Rumäniens Demokratie ist nicht erst seit Mai prekär,
als die neue Mehrheit ihren rücksichtslosen Durchmarsch antrat. Das
macht es für die Europäer so schwer, den neuen Mächtigen jetzt in den
Arm zu fallen. Den Ermächtigungen des Präsidenten Basescu hat die
Union nämlich tatenlos zugesehen. Was der ruppige neue Premier Victor
Ponta jetzt unternimmt, setzt aber eine gefährliche Spirale in Gang.
Alle seine Gesetzesänderungen werden wieder rückabgewickelt werden,
wenn die anderen wieder an der Macht kommen, und alle Günstlinge, die
er jetzt in Ämter bringt, wird man wieder durch die jetzt
vertriebenen Günstlinge ersetzen. Spätestens beim nächsten Mal wird
dann wohl auch gegen den Buchstaben der Verfassung verstoßen werden.
Wirklich neutrale Instanzen gibt es in Rumänien nicht. Statt ihren
Auftrag zu erfüllen, gehorchen die Institutionen den Anweisungen der
Politik. Das gilt auch für das Verfassungsgericht, das je zu einem
Drittel vom Präsidenten und beiden Häusern des Parlaments besetzt
wird. Der Versuch allerdings, die höchste Verfassungsinstanz unter
Druck zu setzen und in seinen Kompetenzen zu beschneiden, geht genau
in die falsche Richtung. Wenn sich an der empörenden Willfährigkeit
der Richter jemals etwas ändern soll, muss man sie stärken und nicht
schwächen. Selbst um den Preis ihrer Macht hat sich eine
demokratische Regierung den Richtern zu unterwerfen, so parteiisch
sie auch sein mögen. Stoppen kann die gefährliche Spiralbewegung nur
eine einmütige und entschlossene Antwort Europas. Zum Glück ist das
EU-Mitglied Rumänien Teil einer internationalen Werte- und
Schicksalsgemeinschaft. Um richtig zu reagieren, muss Europa zunächst
begreifen, dass das Geschehen in Rumänien mit rechts und links nichts
zu tun hat. Sozialdemokraten wären schlecht beraten, mit ihren
Parteifreunden in Rumänien in dieser Lage Solidarität zu üben. Sie
würden den ganzen Kontinent in die rumänischen Machtquerelen
hineinziehen; das Ergebnis wäre keine Europäisierung Rumäniens,
sondern die Balkanisierung Europas. Aber auch Christdemokraten und
Konservative in der Europäischen Volkspartei täten gut daran, ihre
Argumente zu schärfen. Wer jetzt von einem "Putsch" spricht, sollte
an die Ära Basescu denselben Maßstab anlegen. Das Volk ist
verunsichert bis angeekelt von dem Schauspiel, das seine politische
Klasse da aufführt. Ponta sei "der beste Schüler im Diktatur-Lehrgang
Basescus" gewesen, haben Demonstranten vor dem Regierungsgebäude auf
ein Plakat geschrieben - eine treffende, aber auch eine verzweifelte
Parole. Bei der bevorstehenden Parlamentswahl im Herbst steht einmal
mehr Pest gegen Cholera. Eine dritte Kraft ist nirgends auszumachen.
Tatsächlich hat das Desaster der Politik ja seine Wurzeln auch im
alltäglichen Zusammenleben. Das System würde nicht funktionieren,
wenn nicht alle mitmachen und sich nach den Signalen der Parteien
richten würden. Korruption und Machtwillkür herrschen nicht nur an
der Staatsspitze. Außer vom Vorbild Europa ist weit und breit keine
Rettung in Sicht. Darin steckt auch eine Mahnung an die
krisengeschüttelte Union. Die rumänische Krise vermittelt uns eine
Ahnung davon, was in der Region los wäre, wenn es die Union nicht
mehr gäbe. Autor: Norbert Mappes-Niediek



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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