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Schwäbische Zeitung: Norbert Barthle: Kanzlerin nicht eingeknickt

Geschrieben am 02-07-2012

Leutkirch (ots) - Berlin - Norbert Barthle, der
haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, kann kein Einlenken
der Kanzlerin beim EU-Gipfel feststellen. "Die Kanzlerin ist nicht
eingeknickt, sondern sie hat sehr clever verhandelt. Wer sich das
Abschlusspapier des Gipfels vom vergangenen Freitag ansieht, erkennt,
dass zentrale Wünsche der Südeuropäer nicht erfüllt wurden", sagt
Barthle im Interview der Schwäbischen Zeitung (Dienstag-Ausgabe).
Damit weist Barthle Kritik aus den eigenen Reihen zurück, die
Kanzlerin sei in Brüssel beim ESM eingeknickt, um die von der SPD
verlangten milliardenschweren Wachstumspakete durchzusetzen.

Unser Interview im Wortlaut:

SZ: Herr Barthle, wie fühlen Sie sich nach der letzten Woche?
Erleichtert, dass ESM und Fiskalpakt durch den Bundestag sind, oder
bedrückt angesichts dessen, was noch ansteht?

Barthle: Das erste Gefühl war Erleichterung nach einem sehr
langen, mühsamen Prozess. Deshalb bin ich erst einmal froh,
wenngleich jeder von uns Bedenken hatte und niemand in Jubelstimmung
ist.

SZ: Sie haben die Kanzlermehrheit verfehlt. Haben Sie jetzt Angst
vor den weiteren Abstimmungen, wenn Sie auf die eigene Mehrheit
angewiesen sind?

Barthle: Nein, denn wir wussten ja vorher, dass wir eine
Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen. Das machte es manchen Kollegen
einfacher, nicht zuzustimmen. Ich wage die Behauptung: Wären wir auf
die Kanzlermehrheit angewiesen gewesen, hätten wir die auch erreicht.

SZ: Was geschieht in Zukunft mit dem Haushaltsrecht des
Bundestags? Haben die Kläger nicht Recht, dass es langsam, aber
sicher ausgehebelt wird?

Barthle: Ich sehe das anders. Alle finanzwirksamen Entscheidungen
im dauerhaften Rettungsschirm ESM bedürfen der vorherigen Zustimmung
des Bundestags. Das einzige, wo wir uns auf Dauer verpflichtet haben,
ist unser Anteil von 22 Milliarden Euro für den Kapitalstock des ESM
und den Garantierahmen von 168 Milliarden Euro.

SZ: Wird denn das Risiko für den deutschen Steuerzahler nicht noch
höher, wenn erst marode Banken direkt Hilfe vom ESM bekommen?

Barthle: Das ist noch ein weiter Weg mit vielen Hürden. Vorher
muss ja eine wirksame gemeinsame Bankenaufsicht in der Eurozone
installiert werden. Dazu müsste zunächst die Kommission einen
Vorschlag vorlegen, den dann der Europäische Rat prüfen müsste. Erst
ganz am Ende könnte der Gouverneursrat des ESM die unmittelbare
Bankenhilfe als neues Instrument beschließen. Dazu bräuchte es aber
die Zustimmung des Bundestags. Auf Basis des gerade beschlossenen
Gesetzespaktes ist eine direkte Bankenhilfe des ESM ausdrücklich
ausgeschlossen.. Das Gesetz müsste gegebenenfalls geändert werden.

SZ: Das heißt, der Bundestag müsste seiner eigenen Entmachtung
zustimmen.

Barthle: Nein, der Bundestag müsste einem neuen Hilfsinstrument
des ESM zustimmen, und bis dahin fließt noch viel Wasser die Spree
hinunter.

SZ: Deutschland steht mit rund 300 Milliarden Euro für die
Euro-Rettung im Risiko. Ist da der Bundeshaushalt nicht längst
Makulatur?

Barthle: Wenn alle Risiken eintreten würden, wären es 310
Milliarden. Aber das wäre der allerschlimmste Fall, wenn man die
Griechenland-Pakete und sämtliche weiteren Hilfen addiert. Das ist
wenig realistisch.

SZ: Ist es nicht auch wenig realistisch, dass es beim kleinsten
Risiko bleibt?

Barthle: Bisher sehe ich das Risiko nicht, dass vergebene Kredite
nicht zurückbezahlt werden könnten - mit Ausnahme Griechenlands.
Griechenland ist ein Sonderfall mit einem Schuldenschnitt, an dem
die öffentlichen Geldgeber allerdings nicht beteiligt waren.

SZ: Griechenland hat gerade eine Wunschliste für Erleichterungen
aufgestellt. Ist es richtig, die Sparauflagen zu lockern?

Barthle: Da müssen wir sehr vorsichtig sein. Griechenland muss
alle vereinbarten Auflagen erfüllen. Dass man an einzelnen
Stellschrauben dreht , kann ich mir vorstellen, nicht aber
grundsätzliche Veränderungen des Programms.

SZ: Was denken Sie, wie lange uns die Krise noch beschäftigt.
Monate, Jahre, Jahrzehnte?

Barthle: Wenn man das wüsste, könnte man mit diesem Wissen eine
Menge Geld verdienen. Im ersten Quartal waren wir hoffnungsfroh, die
Krise überwunden zu haben. Dann kamen die Wahlen in Griechenland und
Frankreich, beides hat das Vertrauen der Investoren in den Euro-Raum
wieder geschwächt. Ich hoffe, dass es uns gelingt, in absehbarer Zeit
das Vertrauen wiederzugewinnen.

SZ: George Soros gibt dem Euro noch bis September Zeit. Was sagen
Sie?

Barthle: Dem schließe ich mich nicht an. Herr Soros ist ein
ausgebuffter Spekulant, dessen Äußerungen immer eine gewisse Absicht
verfolgen.

SZ: Um uns herum bricht die Konjunktur ein. Wie lange geht es bei
uns noch gut?

Barthle: Deutschland hat sich bisher als sehr resistent erwiesen.
Ich hoffe, dass wir unsere Robustheit beibehalten können. Wir müssen
Stabilitätsanker und gleichzeitig Lokomotive der wirtschaftlichen
Entwicklung in Europa bleiben. Dazu ist es wichtig, dass wir unsere
ordnungspolitische Orientierung in der Euro-Krise beibehalten. Wir
müs sen auf Sparkurs bleiben. Es gibt erkennbar starke Kräfte, vor
allem aus Südeuropa und auch Frankreich, diesen Kurs zu verändern und
die Frage der Wachstumsimpulse in den Vordergrund zu rücken und die
Konsolidierung auszublenden. Wir müssen beides im Blick behalten:
Wachstum und Konsolidierung..

SZ: Das Ausland kommentiert, Angela Merkel sei bereits
eingeknickt in Richtung mehr Wachstum, weniger Konsolidierung.

Barthle: Die Kanzlerin ist nicht eingeknickt, sondern sie hat sehr
clever verhandelt. Wer sich das Abschlusspapier des Gipfels vom
vergangenen Freitag ansieht, erkennt, dass zentrale Wünsche der
Südeuropäer nicht erfüllt wurden.



Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 07561-80 100
redaktion@schwaebische-zeitung.de


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