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AOK warnt vor weiterer Ausdehnung des Kartellrechts auf gesetzliche Krankenkassen und vor einer erneuten Schwächung der Rechte des Bundestages

Geschrieben am 27-06-2012

Berlin (ots) - Der AOK-Bundesverband warnt eindringlich davor, das
Kartell- oder Wettbewerbsrecht undifferenziert in noch größerem
Umfang als bisher auf die gesetzlichen Krankenkassen auszudehnen, wie
es die Bundesregierung in der 8. Novelle des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen(GWB) plant.

Anlässlich des Expertengesprächs im Gesundheitsausschuss forderte
die AOK die Bundesregierung auf, im Interesse der Patienten von
diesen Plänen Abstand zu nehmen. Besser für die Versicherten und für
die Gesundheitswirtschaft sei die Entwicklung eines speziell auf die
gesetzliche Krankenversicherung ausgerichteten
Gesundheitswettbewerbsrechts. Damit lasse sich auch die mit der
GWB-Novelle verbundene erneute Schwächung der Rechte des Deutschen
Bundestages vermeiden.

Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes,
sagte hierzu: "Das privatrechtliche Kartellrecht und die soziale
Krankenversicherung passen nicht zusammen. Folge dieser unbedachten
Änderung ist, dass Kooperationen der Krankenkassen und ihrer Verbände
dann grundsätzlich dem Kartellverbot unterliegen. Gemeinsame
Kassenaktionen zum Beispiel bei der Krebsvorsorge oder bei
Schutzimpfungen würden erschwert oder gar verhindert." Auch ein
Abbau der Rechte von Bundestag und Bundesländern und eine
demokratisch nicht legitimierte Stärkung der EU-Bürokratie sei die
Folge der geplanten Implantation eines unverträglichen Fremdkörpers
ins deutsche Sozialrecht.

Graalmann: "Mit dieser Novelle gibt die Bundesregierung
Regelungskompetenzen für die deutsche Gesundheitsversorgung an die
Brüsseler EU-Kommission ab. Die demokratisch legitimierte Kompetenz
von Bundesländern und Bundestag in Sachen Gesetzliche
Krankenversicherung wird ohne erkennbaren Nutzen für die Versicherten
an Brüssel übertragen."

Die AOK hätte überhaupt kein Problem mit einer fairen
Wettbewerbskontrolle, betonte Graalmann. Die Frage sei aber zunächst
einmal, für wen man den Wettbewerb organisiere. Wettbewerb in der
gesetzlichen Krankenversicherung müsse den Patienten und
Beitragszahlern nutzen und die medizinische Versorgung verbessern.
Der Wettbewerb in der GKV folge nicht in erster Linie rein
wirtschaftlichem Kalkül. Die Kassen wollten ihren Patienten vor allem
gute und effiziente Behandlung bieten.

Nicht zuletzt deshalb weise die AOK immer wieder darauf hin, dass
die Krankenkassen mehr Handlungsspielraum brauchen, um etwa mit
ausgewählten Krankenhäusern gute Versorgungsverträge schließen zu
können. In diesem Verhältnis von Kassen und Leistungserbringern gelte
das Wettbewerbsrecht bereits seit dem 01.01.2011 - so auch für die
Arzneimittel-Rabattverträge.

Bisher sei die Bundesregierung hier an der Seite der Krankenkassen
gestanden.

Noch in einer Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber der
EU-Kommission vom Oktober 2011 heiße es wortwörtlich: "Die von den
gesetzlichen Krankenkassen angebotene
Krankheitskostenvollversicherung ist keine wirtschaftliche
Tätigkeit." Damals ging es um den Vorwurf, die gesetzlichen
Angebotsmöglichkeiten von Wahltarifen verstießen gegen
EU-Wettbewerbsrecht. Dagegen habe sich die Regierung
selbstverständlich gewehrt. Jetzt, nur ein paar Monate später, würden
dieselben Ministerien eine Kartellrechtsnovelle auf den Weg bringen,
die das Gegenteil bewirken solle.

Durch die erweiterte Anwendung des Kartellrechts drohe Deutschland
der Verlust der demokratisch legitimierten nationalen
Regelungskompetenz für weite Teile der Gesundheitsversorgung. Wenn
der deutsche Gesetzgeber die gesetzlichen Krankenkassen so, wie
geplant, dem Kartellrecht unterstelle, behandle er sie wie
privatwirtschaftliche - also gewinnorientierte - Unternehmen.

Bisher folge der Europäische Gerichtshof der deutschen
Rechtsauffassung, dass gesetzliche Krankenkassen keine
gewinnorientierten Unternehmen sind.

Graalmann: "Warum sollte der EuGH daran festhalten, wenn
Deutschland nun selbst durch seine Regierung diese Auffassung durch
die Änderung des Kartellrechts in Frage stellt? Will das
Wirtschaftsministerium wirklich das deutsche Sozialrecht aufs Spiel
setzen oder erkennt der Wirtschaftsminister nur die Gefahr nicht? Die
Bundesregierung würde mit dieser GWB-Novelle die eigene Argumentation
vom Oktober 2011 durch eigenes gesetzgeberisches Handeln aus den
Angeln heben. In der Folge wäre laut EU-Recht die EU-Kommission für
Grundsätze und Einzelfragen der beihilfen-, steuer- und
wettbewerbsrechtlichen Regulierung von Krankenkassen zuständig, ohne
dass Deutschland direkten Einfluss nehmen könnte."

Graalmann verwies darauf, dass die Kassen bereits jetzt wirksamer
Aufsicht auch bei wettbewerbsrelevanten Fragestellungen unterliegen.
Dafür seien das Bundesversicherungsamt bzw. die Aufsichtsbehörden in
den Ländern zuständig. Parallel prüfe auch der Bundesrechnungshof die
Krankenkassen. Dieser habe kürzlich ausdrücklich noch mehr
Kassenkooperationen - als Alternativen zu Vereinigungen - gefordert.
Mit der geplanten Wettbewerbsrechtsnovelle käme das Bundeskartellamt
als weitere Behörde, und zwar mit industrieökonomischen
Prüfungsmaßstäben, hinzu. Graalmann: "Zusätzlicher Wettbewerb braucht
eine sinnvolle Regulierung. Diese sollte im Sozialrecht getroffen
werden und nicht durch europarechtlich geprägtes Wirtschaftsrecht.
Ziel des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung sind
effiziente Versorgungsstrukturen und nicht üppige Renditen. Die jetzt
vorgesehenen Neuregelungen für Krankenkassen bringt Deutschland
diesem Ziel keinen Schritt näher. Aber das Bundeskartellamt wird
durch die Novelle zur zusätzlichen Kontrollbürokratie der Kassen."

Statt sich gemeinsam um eine bessere Versorgung der Versicherten
kümmern zu können, müssten sich die Kassen dann vor allem darauf
konzentrieren, widersprüchliche Rechtsbestimmungen in Einklang zu
bringen. Das ginge nicht nur zu Lasten der Patienten und
Versicherten, sondern widerspräche den Zielvorgaben des Fünften
Sozialgesetzbuchs. Darin wird in Paragraf 4 ausdrücklich gefordert,
dass gesetzliche Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit
und Wirtschaftlichkeit eng zusammenarbeiten. Das geplante Verbot
einer engen Zusammenarbeit mittels Kartellrecht laufe dem zuwider.

Hinweis an die Redaktionen:

Der AOK-Bundesverband hat zum Kartellrecht ein Gutachten in
Auftrag gegeben. Ein Thesenpapier hierzu ist unter www.aok-presse.de
abrufbar.



Pressekontakt:
Udo Barske
Tel.: 030 / 346 46 2309
E-Mail: udo.barske@bv.aok.de


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