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Landeszeitung Lüneburg: "Niedersachsen fehlt das Drehbuch" / SPD-Landeschef und Spitzenkandidat Stephan Weil will die Energiewende vorantreiben

Geschrieben am 19-04-2012

Lüneburg (ots) - Niedersachsen hat das Potenzial, das Energieland
Nummer eins zu werden, sagt Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil.
Mit Windkraft und Biomasse, aber ohne Gorleben als Atom-Endlager. Der
Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl am 20. Januar 2013
bezieht Stellung zur Energiewende, den Piraten, zur Wulff-Affäre,
heißt Günter Grass als Wahlkampfhelfer willkommen und schweigt zur
K-Frage.

Wie viel Prozent holt die SPD bei der Landtagswahl am 20. Januar
2013?

Stephan Weil: Genug, um eine Regierung bilden zu können. Das ist
nach meiner Einschätzung 30 plus X - je mehr X, desto besser.

Wo sehen Sie die Piraten in Niedersachsen?

Weil: Das ist richtig schwierig. Im Moment wären sie sicher bei
acht bis neun Prozent. Aber erinnern wir uns: Heute vor einem Jahr
hatten die Grünen gerade ihre höchsten Umfragewerte, die sind damals
richtig durch die Decke geschossen. Wenn die Piraten heute ihren Hype
haben, heißt das also noch nichts für die Landtagswahl 2013. Ich
halte es für gut möglich, dass wir es mit einer dauerhaften
politischen Kraft zu tun haben, aber in welchem Umfang, wage ich
nicht zu prognostizieren.

Sind die "Seeräuber" - wenn es mit ihrem Wunschpartner, den
Grünen, eng wird - ein möglicher Koalitionspartner?

Weil: Derzeit sehe ich das nicht. Und zwar nicht, weil es riesige
inhaltliche Differenzen gibt. Die Piraten sind eine interessante
politische Bewegung, die mit den Themen Freiheit und Demokratie einen
starken liberalen Einschlag hat. Aber sie sind derzeit kaum
berechenbar. Wahrscheinlich auch für sich selbst nicht. Sie sind
vermutlich völlig überrascht von der Welle, auf der sie gerade
schwimmen, sie werden sich erst einmal selbst finden müssen. Wenn sie
sich gefunden haben, muss man schauen, ob sie dann noch eine Kraft
sind, die groß genug ist, und ob man mit ihnen dauerhaft
zusammenarbeiten kann. Derzeit sicher nicht. Und wohl auch kaum bis
zu den Landtagswahlen.

Und die Linkspartei? Ihr Parteifreund Thomas Oppermann prophezeit
der Linken nach dem Lötzsch-Rücktritt den Niedergang. Sehen Sie das
auch so?

Weil: Die Linke befindet sich ganz eindeutig im Sinkflug. In dem
Maße, in dem die SPD richtige Lehren aus ihren Erfahrungen gezogen
hat, verliert die Linke an Attraktivität. Und es ist ja auch immer
klarer geworden - vor allem im Westen Deutschlands - dass die Partei
ein Sammelbecken der alten Sektierer ist. Bezogen auf meine
Heimatstadt kann ich sagen: Da treffen sich Menschen, die bei den
unterschiedlichsten politischen Diskussionen linker Splittergruppen
in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Rolle gespielt haben. Das
kann keine attraktive Partei werden. Ich habe immer gesagt, dass ich
nichts von Ausschließeritis halte, aber ich sehe eine Zusammenarbeit
mit der Linken als höchst unwahrscheinlich an. Aus einem ganz simplen
Grund: Die Linke hat für sich selbst geklärt, dass sie keine
Verantwortung übernehmen möchte. Denn Verantwortung heißt immer auch,
Kompromisse zu akzeptieren, sich dafür zu rechtfertigen, dass man
seine Ziele nicht zu hundert Prozent durchsetzen kann. Die Linke
macht den Fehler vieler Fundamentalisten, die nicht bereit sind, die
Probe aufs Exempel zu machen.

Ist Günter Grass ein willkommener Wahlkampfhelfer?

Weil: Günter Grass hat sich um Deutschland hoch verdient gemacht.
Ich habe die Aufregung um sein Gedicht nur begrenzt verstanden.
Natürlich ist Kritik an der gegenwärtigen israelischen Politik auch
hierzulande möglich. Sie muss auch möglich sein. Dass sich ein
Dichter und politisch interessierter Mensch Sorgen um den Frieden im
Nahen Osten macht, kann ich gut nachvollziehen. Das Einreiseverbot
für Israel halte ich für völlig überzogen.

Sie sagen, Bürgermeister ticken anders als Landes- und
Bundespolitiker, haben größere Distanz zum Politikbetrieb, sind
bürgernäher. David McAllister ist beliebt und gibt sich bodenständig.
Was unterscheidet Sie von ihm?

Weil: Das fängt schon bei der Biografie an. Ich habe in ganz
unterschiedlichen Berufen gearbeitet. Ich war Rechtsanwalt, Richter,
Staatsanwalt, ich war im Justizministerium tätig und Stadtkämmerer in
Hannover, seit sechs Jahren bin ich Bürgermeister - das prägt. Dies
ist ein Werdegang, bei dem ich immer mittendrin in der Gesellschaft
war. Ein Bürgermeister muss permanent in allen sozialen Milieus
präsent sein. Dabei nimmt man unglaublich viel mit. Herr McAllister
ist sehr früh in den politischen Betrieb eingestiegen. Ich finde
wichtig, dass Politiker auch andere Erfahrungen machen. Entsprechend
unterschiedlich ist unsere Arbeitsweise. Bürgermeister müssen
pragmatisch sein und sich den Problemen stellen. Das ist vielleicht
der größte Unterschied zwischen uns: Herr McAllister duckt sich weg,
wenn es schwierig wird oder er schickt andere vor. Wie bei der
Schlecker-Auffanggesellschaft, der Elbvertiefung oder dem
JadeWeserPort. Das wird nicht mein Regierungsstil sein.

Sie selbst sind ja auch schon mal in Carsten Maschmeyers
Weinkeller gewesen. Hat der Fall Wulff Ihren Umgang mit Unternehmern
verändert?

Weil: Ich musste mein Verhalten nicht ändern. Ich suche den
Kontakt zur Wirtschaft, aber ich habe mir nie irgendwelche
Vergünstigungen anbieten lassen oder entgegengenommen. Wenn man als
Politiker genau weiß, was geht und was nicht geht, kann man sehr
unbefangen sein. Ich stelle aber fest, dass auf Seiten der Wirtschaft
eine enorme Verunsicherung entstanden ist, wie man nun mit Politikern
umgehen soll. Das ist fatal, weil wir diese Kontakte benötigen.

Der "Club 2013", die "Maschsee-Connection" - in Niedersachsen
scheint die Verquickung von Politik und Wirtschaft besonders eng zu
sein. Wie ist das zu erklären?

Weil: Als Oberbürgermeister kann ich sagen: Die Stadt Hannover hat
mit dem Nord-Süd-Dialog nichts zu tun. Wir haben in der
Landeshauptstadt jahrzehntelang keine nennenswerten Filz-Skandale
gehabt. Im Übrigen haben die Vorwürfe gegen Christian Wulff mit einer
Vereinbarung zwischen zwei Osnabrücker Freunden begonnen. Eine
Besonderheit ist allerdings, dass wohl aus keiner anderen Stadt so
viele Spitzenpolitiker nach Berlin gekommen sind - und zwar aus allen
Parteien. Neben Wulff und Gerhard Schröder auch Philipp Rösler,
Patrick Döring, Ursula von der Leyen - um nur einige zu nennen.

Welche Rolle wird diese "politische Landschaftspflege" im
Wahlkampf spielen?

Weil: Ich will mich nicht an der Vergangenheit abarbeiten und es
gehört sich nicht, bei Christian Wulff nachzutreten. Zu kritisieren
ist allerdings, dass David McAllister das Erbe in vollem Umfang
angetreten hat. Ich bin strikt dagegen, dass es exklusive Kontakte zu
Amtsträgern gibt, mit der Erwartung, dass man dafür Parteispenden
bekommt. Ich bin unverändert der Auffassung, dass der "Club 2013" an
dieser Stelle über eine rote Linie fährt, und das muss sich Herr
McAllister vorhalten lassen.

Ein wichtiges Thema wird auf jeden Fall die Energiewende sein. Der
Landesregierung halten Sie hier Versäumnisse bei der zügigen
Umsetzung vor. Was wollen Sie besser machen?

Weil: Es gibt eine Reihe von Bundesländern, die konkrete
Vereinbarungen mit den unterschiedlichen Beteiligten der Energiewende
darüber getroffen haben, wer welche Beiträge zu leisten hat. In
Hessen etwa wurde das Ziel definiert, dass zwei Prozent der
Landesfläche für Windenergie genutzt werden soll. In Niedersachsen
gibt es nichts dergleichen. In einem aktuellen Ranking der
Bundesländer im Hinblick auf ihre Rolle bei der Energiewende rangiert
Niedersachsen auf Platz 12. Das ist nicht akzeptabel, denn wir haben
das Poten"zial, allein durch unsere geografische Lage das Energieland
Nummer eins zu werden, vor allem mit Windenergie, aber auch mit
Biomasse. Das kann aber nur gelingen, wenn die Wirtschaft, die
Kommunen, das Land und nicht zuletzt die Bundesnetzagentur an einem
Strang ziehen. Aber dazu fehlt in Niedersachsen definitiv das
Drehbuch.

Was wird aus Gorleben, wenn der Ministerpräsident Stephan Weil
heißt?

Weil: Ich werde mit allem Nachdruck dafür kämpfen, dass Gorleben
von der Landkarte möglicher Endlagerstandorte verschwindet. Wir
diskutieren seit mehr als 30 Jahren über Gorleben und es ist nicht
gelungen, die geologische Eignung des Salzstocks nachzuweisen. Zudem
gibt es keinerlei gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Standort.
Deshalb muss man diese Bücher jetzt schließen.

Wie sehr schmerzt Sie als OB der Tarifabschluss im Öffentlichen
Dienst?

Weil: Gar nicht. Auch Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst haben
einen Anspruch darauf, an der positiven wirtschaftlichen Entwicklung
teilzuhaben. Gleichzeitig befinden sich viele Kommunen in einer
schwierigen finanziellen Lage. Es ist ein Kompromiss erreicht worden,
der nicht leicht zu verkraften ist, der aber zu erwarten war.

Mehrere Ruhr-Oberbürgermeister, vor allem Sozialdemokraten,
rütteln am Solidarpakt. Schluss mit dem Aufbau Ost?

Weil: Nein. Ich habe viel Verständnis für die Kollegen. Das
Ruhrgebiet ist extrem gebeutelt. Man kann diese Probleme aber nicht
dadurch lösen, dass man andere verstärkt in Finanznot bringt. Viele
ostdeutsche Kommunen sind ja auch in einer sehr schwierigen
Situation, wenn man sich zum Beispiel die Bevölkerungsentwicklung
ansieht. Die Konsequenz kann aber nicht sein, die ohnehin begrenzten
Mittel nun anders zu verteilen. Stattdessen müssen wir gemeinsam
dafür kämpfen, dass der Staat, insbesondere der Bund, mehr Geld zur
Verfügung stellt. Die Kommunen sollten weiterhin solidarisch
miteinander umgehen.

Zum Schluss die K-Frage: Gabriel, Steinmeier, Steinbrück oder doch
ein ganz anderer?

Weil: Es gibt in der SPD die Vereinbarung, dies nach der
Landtagswahl in Niedersachsen zu klären. Das finde ich auch richtig.
Das Zeug zum Kanzler haben sie alle. Wenn sich mehrere Kandidaten
melden, bin ich für eine Urwahl durch die SPD-Mitglieder. Damit haben
wir in Niedersachsen sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich habe einen
Favoriten, aber den werde ich jetzt nicht nennen.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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