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FZ: "Gefährliches Geschwätz" / Kommentar der "Fuldaer Zeitung" (Samstag, 31. März 2012) zum Emder Mordfall

Geschrieben am 30-03-2012

Fulda (ots) - Die Menschen in Ostfriesland gelten gemeinhin - wenn
man mal das unfreundliche Witz-Klischee beiseite lässt - als
wetterfest, wortkarg und besonnen. Doch seit einigen Tagen herrscht
in Emden und Umgebung emotionaler Ausnahmezustand: Nach dem
schrecklichen Mord an einem elfjährigen Mädchen wollten aufgebrachte
Bürger die Polizeiwache stürmen, kursierten im Internet mögliche
Täternamen, schaukelte sich auf der Straße und in sozialen Netzwerken
eine gespenstische Atmosphäre der Lynchjustiz hoch. Vielleicht
wollten die Ermittler auch aus diesem Grund schnell einen Erfolg
vorweisen - zu schnell, wie man jetzt weiß. Denn der noch am Vortag
als dringend tatverdächtig bezeichnete 17-jährige Berufsschüler ist
seit gestern wieder auf freiem Fuß. Er hatte zwar kein Alibi, wurde
aber offenbar durch handfeste Anhaltspunkte entlastet. Nun stehen
Polizei und Staatsanwaltschaft am Pranger. Doch zu Recht? Die
Ermittlungsbehörden achten gewöhnlich peinlich genau darauf, einen
Verdächtigen nicht vorzuverurteilen. Auch wenn sie in Emden
vielleicht etwas forsch waren: Von "dem Täter" hat auch dort
offiziell niemand gesprochen. Stattdessen müssen sich jene an die
eigene Nase fassen - und dazu zählen auch die Medien -, die
irgendwelchem dubiosen Facebook-Geschwätz mehr Glauben schenkten als
den akribisch ermittelnden Polizisten. Das Internet kann solchen
Thesen eine gefährliche Dynamik verleihen, seine Anonymität
verschafft auch zweifelhaften Charakteren Gehör. Schließlich ist aus
ähnlichen Fällen bekannt, dass hinter solchen Lynch-Aufrufen im Netz
oft nicht etwa besorgte Eltern, sondern gezielte Aktionen von
rechtsextremen Parteien stecken, die verängstigte Bürger für ihre
eigenen Ziele einzuspannen versuchen. Jetzt gibt es gleich mehrere
Opfer in Emden: Zu dem unermesslichen Leid der Angehörigen des
getöteten Mädchens kommen nun noch ein 17Jähriger und seine Familie,
die wohl ebenfalls ein Trauma aus den vergangenen Tagen davontragen
werden. Bleibt zu hoffen, dass die Polizei durch die falsche Spur
nicht zu viel Zeit verloren hat und bald den tatsächlichen
Mädchenmörder schnappt.



Pressekontakt:
Fuldaer Zeitung
Bernd Loskant
Telefon: 0661 280-445
Bernd.Lofkant@fuldaerzeitung.de


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