(Registrieren)

DER STANDARD-Kommentar: "Schwarz oder Weiß" von Günther Oswald

Geschrieben am 16-03-2012

"Nicht nur in privilegierten Jobs ist Arbeiten bis 70 möglich";
Ausgabe vom 17.03.2012

Wien (ots) - Arbeiten bis 70? Was für ein Wahnsinn, werden
Kritiker sofort einwenden. Sollen wir uns bis ins Grab für die Firmen
aufopfern? Außerdem, wie soll denn das überhaupt gehen? Soll der
Bauarbeiter bis 70 auf dem Gerüst stehen? Soll der Spengler mit dem
schweren Kreuzleiden noch mit 68 am Dachstuhl herumklettern? Es
finden sich schnell viele, und auch gute, Argumente, warum Arbeiten
über das aktuelle Pensionsalter hinaus abzulehnen ist.
Mit Pauschalurteilen kommen wir in der Diskussion aber nicht weiter.
Sicher: Nicht jeder Job ist dafür geeignet, bis 70 ausgeübt zu
werden. Gleichzeitig ist es aber nicht überall unzumutbar, bis 70
oder sogar noch länger erwerbstätig zu sein. Dabei geht es keineswegs
nur um privilegierte Uni-Professoren oder leitende Angestellte, die
ihr komplettes Arbeitsleben am Schreibtisch verbracht haben. Es gibt
nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern 1000 Abstufungen dazwischen.
In den skandinavischen Ländern hat man bereits vor 20 Jahren
begonnen, sich mit den Grautönen zu beschäftigen. Bei uns ist es
schon eine Sensation, wenn sich die Regierung das Ziel setzt, das
faktische (nicht das gesetzliche!) Pensionsantrittsalter bis 2020 um
2,5 Jahre anzuheben. Dass damit nur die bis dahin gestiegene
Lebenserwartung kompensiert wird, bleibt unerwähnt.
Trotzdem: Es ist löblich, wenn zumindest versucht wird, Lücken im
Pensionssystem - etwa bei der Invaliditätspension - zu schließen. Es
gilt nämlich nicht nur das Sprichwort: Wo ein Wille, da ein Weg.
Sondern auch: Wo ein Weg (in die Pension), da kommt auch ein Wille
auf.
Von politischer Seite kaum angesprochen werden bisher aber falsche
Anreize im System. Nicht alles, was gut gemeint ist, funktioniert
auch gut. Am Beispiel des strengeren Kündigungsschutzes für Ältere:
Natürlich hilft er dabei, dass Leute nicht beim leichtesten
wirtschaftlichen Gegenwind gekündigt werden. Umgekehrt hält er
Betriebe aber auch ab, Ältere einzustellen. Wenn ich weiß, dass ich
den 30-Jährigen im Ernstfall schneller loswerden kann als den
55-Jährigen, werde ich wahrscheinlich den 30-Jährigen aufnehmen.
Noch dazu, weil dieser höchstwahrscheinlich deutlich billiger ist.
Laut einer Studie des Europäischen Zen-trums für Wohlfahrtspolitik
und Sozialforschung verdienen 60- bis 64-jährige Männer im Schnitt um
213 Prozent mehr als 25- bis 29-jährige. Bei den Frauen liegt die
Kluft bei 175 Prozent. Sicher sind hier Berufserfahrung oder
Spezialkenntnisse nicht berücksichtigt. Bei derart hohen Mehrkosten
ist es aber fast unmöglich, dass die Produktivität der älteren
Arbeitnehmer mit den steigenden Löhnen mitkommt - wodurch sie
unattraktiver werden.
Man kann nicht alles haben: höhere Bezahlung, bessere soziale
Absicherung und eine hohe Beschäftigungsquote. Bis zu einem gewissen
Grad handelt es sich bei diesen Faktoren um kommunizierende Gefäße.
Anreizsysteme sind bei uns noch wenig ausgeprägt - etwa ein höheres
Arbeitslosengeld am Anfang der Jobsuche. Oder ein Bonus für Betriebe,
deren Mitarbeiter seltener krank werden. Solche Dinge zu ändern ist
aber im konsensorientierten Österreich nicht leicht. Ein niedriges
Pensionsalter ist politisch weniger heikel als eine höhere
Arbeitslosenrate - auch wenn es volkswirtschaftlich teurer ist. Es
ist leichter, sich mit Reförmchen durchzuschwindeln und sich klar
festzulegen: Ich bin für Schwarz oder für Weiß.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

384488

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Joachim Gauck Bielefeld (ots) - Spannend wird die Wahl des Bundespräsidenten nicht. Diese Prognose ist ohne Risiko: Die 15. Bundesversammlung wird Joachim Gauck im ersten Wahlgang zum neuen Staatsoberhaupt küren. Kann der parteilose Kandidat dabei alle Stimmen der ihn tragenden Parteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne auf sich vereinigen, ist ihm gar ein Ergebnis von fast 90 Prozent sicher. Vor einem Holperstart, wie ihn sein Amtsvorgänger Christian Wulff erlebte, muss sich Joachim Gauck nicht fürchten. Trotzdem baut der 72-Jährige vor. Es sei ihm mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Steuern und Abgaben Bielefeld (ots) - Das ist neu. Die Einbahnstraßenregelung zwischen Staats- und Sozialkassen ist aufgehoben. Erstmals fließen Milliarden aus dem Abgabentopf auch einmal in die andere Richtung: zurück ins Staatssäckel. Mehr noch. Die seit Jahren üblichen Steuerzuschüsse zu den Sozialkassen können erstmals etwas geringer ausfallen. Kaum zu glauben. Die ungeliebten versicherungsfremden Leistungen verlieren an Begründungskraft für alles und jedes. Sozialpolitiker alter Schule werden an dieser Stelle pflichtgemäß aufheulen. Sie werden schon mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Nahost Bielefeld (ots) - »Apartheid« beschrieb ursprünglich das System der Rassentrennung in Südafrika. Im übertragenen Sinne ist es, da hat der SPD-Chef Sigmar Gabriel recht, auch auf andere Regionen anwendbar. In der Tat geht ein Riss durch die israelische Gesellschaft. Juden aus Europa und den USA spielen in einer anderen Klasse als die aus arabischen Ländern eingewanderten Juden. Noch viel größer ist der Riss zwischen Juden und palästinensischen Bürgern, sofern diese in ihrer Religion dem Christentum oder gar dem Islam folgen. Dieser mehr...

  • Rheinische Post: FDP schöpft Mut Kommentar Von Gerhard Voogt Düsseldorf (ots) - Christian Lindner wird die NRW-FDP als Spitzenkandidat in die Neuwahlen im Mai führen. Der erste Coup im Wahlkampf ist damit den Liberalen gelungen. Viele Mitglieder, die glaubten, mit dem Neuwahl-Beschluss hätte die FDP den politischen Selbstmord eingeleitet, sind nun wieder optimistisch. Wenn Parteichef Rösler behauptet, die FDP schicke ihren besten Mann in Nordrhein-Westfalen ins Rennen, hat er diesmal wohl recht. Mit der Einschränkung, dass Lindner sich selbst zu der Mission entschieden hat. Rösler stand bei mehr...

  • Rheinische Post: Wir können Gauck gut gebrauchen Kommentar Von Sven Gösmann Düsseldorf (ots) - Vorgestern noch Wulff, gestern Röttgen, heute Lindner. Unsere Politik legt, leider zu häufig tatkräftig unterstützt von hyperventilierenden Medien, eine Hektik an den Tag, die es schwermacht, noch mitzukommen. Viele Bürger artikulieren längst ihren Unmut über eine Parteiendemokratie, die nach ihrem Empfinden nur noch als Getriebene von Ereignis zu Ereignis eilt: immer schneller, immer weiter, leider aber nicht immer höher, sondern eher tiefer, bis es nicht mehr geht. Unser politisches System ist stark Burn-out-gefährdet. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht