(Registrieren)

HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Putin

Geschrieben am 04-03-2012

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Egbert Nießler

Wahltouristen, die im "Karussellverfahren" per Bus von einem Lokal
zum nächsten gefahren werden, manipulierte Unterlagen, defekte
Webcams - von westlichen Demokratiemaßstäben war die Präsidentenwahl
in Russland so weit entfernt, wie die Listen mit Beschwerden der
Wahlbeobachter lang sind. Einmal ganz von der willkürlichen
Kandidatenzulassung, der Medien-Allmacht und der seit Generationen im
Riesenreich erprobten Schikanierung der Opposition abgesehen. Nur
eines kann auch ein Wladimir Putin trotz aller Lenkungsversuche nicht
mehr: sich von der Wahlleitung einfach ein Traumergebnis von 98,9
Prozent attestieren lassen. Knapp mehr als 60 Prozent müssen genügen.
Zu stark angewachsen ist mittlerweile die bürgerliche Mittelschicht,
die außer materiellen Wohlstand auch demokratische Teilhabe begehrt.
Unkontrollierbar für den Kreml sind die neuen Online-Medien, mit
deren Hilfe sich Menschen organisieren und informieren können. Und
schließlich gilt es, auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft
zumindest den Anschein demokratischer Gepflogenheiten und damit auch
das eigene Gesicht zu wahren. Stabilität und die zumindest teilweise
Rückkehr zu alter imperialer Größe waren die Ziele, mit denen
Wladimir Putin im Jahr 2000 antrat, als er das erste Mal in den Kreml
einzog. Gemessen am Zustand seines Landes nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion und den chaotischen Jelzin-Jahren hat er auf diesen
Gebieten einiges erreicht. Nur den eigenen Bürgern und den
ausländischen Investoren genügt das längst nicht mehr. Eine
undurchsichtige Bürokratie, Willkür und Korruption machen den einen
wie den anderen zu schaffen. Wenn Putin aus seinem potenziell so
reichen Land mehr als einen Rohstofflieferanten machen will, wenn
Russland außer Öl, Gas und Waffen auch am Wettbewerb mit modernen
Industrie- und Technologieprodukten teilhaben soll, bedarf es eines
weiteren Modernisierungsschubes - in wirtschaftlicher wie in
politischer Hinsicht. Das wird mit den Methoden, derer sich Putin
bisher bediente, nicht zu schaffen sein. Mit dem Handwerkszeug des
KGB lässt sich eine wirklich offene Gesellschaft, die auch die
Voraussetzung für eine funktionierende Verwaltung und effektivere
Wirtschaft ist, nicht kreieren. Und solange die oppositionellen
Kräfte mit allen erdenklichen Mitteln und Methoden daran gehindert
werden, sich zu organisieren und öffentlich wirksam zu werden, ist
auch kein demokratischer Wettbewerb denkbar. Macht Putin weiter, wie
es die Welt bisher von ihm gewohnt ist, werden sich die Strukturen
aus undurchsichtigen Machtzirkeln, korrupten Beamten und superreichen
Oligarchen verfestigen. Den Bürgern droht eine Phase der Stagnation
wie zuletzt unter dem roten Zaren Breschnew - nur mit deutlich mehr
Wohlstand zumindest für einen wachsenden Teil der Bevölkerung.
Außenpolitisch dürfte die Distanz zu Europa und den USA bestehen
bleiben oder gar wachsen, während mehr Gemeinsamkeiten mit China und
all jenen gesucht wird, die dem Westen ebenfalls skeptisch
gegenüberstehen. Es wird sich schon bald abzeichnen, ob die kommende
Amtsperiode sechs verlorene Jahre für Russland werden oder ob Putin
den Mut aufbringt, zu riskieren, Opfer seines eigenen Erfolges zu
werden. Nämlich dann, wenn er es schafft, sein Land politisch so weit
zu reformieren, dass er bei der nächsten Wahl mit einer
manipulationsfreien Niederlage gegen den Kandidaten einer unbehindert
arbeitenden und gut organisierten Opposition rechnen muss. Einen
größeren Dienst könnte er Russland nicht erweisen. Bisher deutet
allerdings nicht viel auf einen derartigen Sinneswandel des
wiedergekehrten Präsidenten hin.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

381783

weitere Artikel:
  • Berliner Zeitung: Kommentar zum Wahlausgang in Iran Berlin (ots) - Der schon jetzt umstrittene Wahlerfolg von Chamenei und seinen Anhängern wird die internen Konflikte im Iran verschärfen, zumal die Wirtschaft, auch dank der internationalen Sanktionen, in der Krise steckt und die Korruption immer weiter um sich greift. Eine Revolte wie 2009 ist dennoch nicht zu erwarten, da die Opposition so zerstritten ist wie die Regierung. Iran erlebt einen trüben Herbst der Demokratie. Pressekontakt: Berliner Zeitung Bettina Urbanski Telefon: +49 (0)30 23 27-9 Fax: +49 (0)30 23 27-55 33 berliner-zeitung@berlinonline.de mehr...

  • Studie des Deutschen Jugendinstituts zu Babyklappen: Gesetzliche Grundlage für Babyklappen überfällig! Osnabrück (ots) - Anlässlich der Ergebnisse einer Studie des Deutschen Jugendinstituts, in der bei zahlreichen Betreibern von Babyklappen erhebliche Mängel festgestellt wurden, erneuert das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes seine Forderung, den Betrieb von Babyklappen zu untersagen und den Empfehlungen zu folgen, die der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme "Zum Problem der anonymen Kindesabgabe" bereits vor mehr als zwei Jahren vorgelegt hat. "Wir appellieren an den Gesetzgeber, die Vorschläge des Deutschen mehr...

  • Westdeutsche Zeitung: Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator bröckelnder Macht - Der Präsident muss Reformwillen zeigen Ein Kommentar von Anja Clemens-Smicek Düsseldorf (ots) - Das Land braucht einen Zaren - mit diesen Worten hatte der Präsident der Wolga-Region Tatarstan noch kurz vor der Wahl die Werbetrommel für Wladimir Putin gerührt. Dass Russland diesen Zaren auch bekommt, stand außer Zweifel. Doch sieht ein triumphaler Einzug in den Kreml anders aus, auch wenn das Ergebnis anderes vorgaukeln mag. Schwere Betrugsvorwürfe säumen Putins Weg, und die Zahl jener wächst, die es satt haben, als Statisten in seinem Polittheater zu fungieren. Jede Nicht-Putin-Stimme ist ein Indikator für mehr...

  • WAZ: Streit um Babyklappen - Miriam Gruß (FDP) für den Erhalt Essen (ots) - Miriam Gruß, familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, hält an den Babyklappen fest. Den Zeitungen der Essener WAZ-Mediengruppe (Montagausgaben) sagte sie: "Wenn dadurch auch nur ein Kind gerettet werden kann, lohnt es sich schon, die Babyklappen zu erhalten." Pressekontakt: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Zentralredaktion Telefon: 0201 - 804 6519 zentralredaktion@waz.de mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Irankrise spaltet USA und Israel Obamas Spagat DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON Bielefeld (ots) - Ein Nadelöhr ist geräumig gegen das, was Barack Obama außenpolitisch vor sich hat. Heute will der amerikanische Präsident dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu im Weißen Haus ausreden, die Atomanlagen im Iran zu bombardieren. Vor der Begegnung mit Ne-tanjahu erwartete Obama ein Gang durchs politische Minenfeld. Bei der Tagung der einflussreichen proisraelischen Lobbygruppe AIPAC in Washington versuchte sich Obama in dem Spagat, seine Linie - kein Militärschlag gegen Teheran sofort - zu vertreten, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht