(Registrieren)

DER STANDARD-Kommentar "Déjà-vu in Afghanistan" von Gudrun Harrer

Geschrieben am 24-02-2012

"Wie alle anderen auch, kann die Koran-Verbrennungsaffäre nur
ausgesessen werden" - Ausgabe 25.2.2012

wien (ots) - Die aktuellen Tumulte rund um die Koranverbrennungen
in Afghanistan sind keineswegs ein singuläres Ereignis: Obwohl die
muslimischen Sensitivitäten prinzipiell bekannt sind, passieren
absichtliche oder unabsichtliche US-Verstöße dagegen immer wieder,
werden immer wieder manipulativ zur Mobilisierung gegen die
internationalen Truppen eingesetzt und rufen auf Politikerseite immer
wieder die gleichen, teils populistischen (Karsai), teils hilflosen
Reaktionen (Obama) hervor.
Was soll der US-Präsident auch sonst tun als sich entschuldigen (die
geifernden Republikaner seien daran erinnert, dass ihr George W. Bush
das ebenfalls getan hat). Aber zu meinen, die aufgestachelten
Demonstranten würden das jemals erfahren - oder wenn doch, es würde
sie und ihre Einpeitscher beeindrucken -, ist nicht von dieser Welt.
Das ist aber auch die vom afghanischen Präsidenten geäußerte Ansicht
nicht, die US-Soldaten, die die Koranexemplare gemeinsam mit anderen
für sie unleserlichen Schriften verbrannt hätten, müssten dafür
angeklagt und bestraft werden.
Die Erkenntnis, dass ein Koran_exemplar a priori einem Nichtmuslim
auch dann nichts bedeutet - und nichts bedeuten muss -, wenn er weiß,
was es ist, ist den Beleidigten am Hindukusch wohl nicht zuzumuten
(eventuellen hiesigen Beleidigten hingegen schon). Aber zum besseren
Verständnis der Aufregung sollte man wissen, dass die
Analogiebildung, der Koran sei die "muslimische Bibel", völlig zu
kurz greift. Der Status des Koran als wortwörtliche Verkündigung
Gottes ist ein ganz anderer - im Christentum dem Stellenwert des
Christus vergleichbar -, und die Sakralisierung erstreckt sich auch
auf das physische Buch selbst, auf jedes Exemplar.
Man könnte sogar spekulieren, dass das Koranexemplar in
nicht-arabischsprachigen Kulturen mit einer teils analphabetischen
Bevölkerung umso bedeutender ist: Die Form, die Hülle, wird zum
Inhalt. Wenn man unbedingt vergleichen will: "Schändungen" - auch das
eine Kategorisierung, die nur für Christen gültig ist - von geweihten
Hostien, das käme ungefähr hin.
US-Präsident Barack Obama kann die Affäre jedenfalls so gut brauchen
wie ein blaues Auge. Die USA brechen auf beinahe täglicher Basis
eigene Tabus, um sich einen halbwegs ehrenhaften Abgang aus
Afghanistan zu sichern. Dazu brauchen sie eine zumindest
neutral-freundliche öffentliche Meinung. Vor allem jedoch führen
sowohl Amerikaner als auch die afghanische Regierung längst Gespräche
mit den Taliban - wo jene Fraktion, die meint, mit den Amerikanern
und ihrer Marionette Karsai könne man nur Krieg führen und nicht
verhandeln, auf so etwas wie diesen Anlass sehnlichst gewartet hat.
Dabei kommen erstmals auch positive Signale aus Pakistan, sicherlich
auch den eigenen innenpolitischen Wirren geschuldet, dass Islamabad
künftig afghanisch-afghanische Versöhnungsgespräche unterstützen und
nicht mehr unterlaufen wird wie zuvor. Was deren Resultat, die
Machtteilung mit den Taliban, für die Menschen in Afghanistan heißen
wird - jene, die sich nicht aufhetzen lassen, weil sie das Spiel
durchschauen oder die Fanatiker mehr fürchten als die internationale
Militärpräsenz -, das ist längst nicht mehr die Frage. Afghanistan
ist, gemessen an dem, wofür man hingegangen ist, verloren. Und die
Koran-Affäre kann nur ausgesessen werden, wie alle anderen zuvor
auch.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

380254

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Minister greift durch Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Gerhard Voogt: NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hat den Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum suspendiert. In dem Gefängnis war es in diesem Jahr zu einer Pannenserie gekommen. Ein Häftling konnte aus einem ungesicherten Dachfenster entkommen. Ein weiterer Gefangener nutzte bei einem unbewachten Klinikaufenthalt die Gelegenheit, sich abzusetzen. Damit nicht genug: Das Ministerium wurde nach eigenen Angaben unzureichend und falsch über die Vorgänge informiert. Das ist ein mehr...

  • Rheinische Post: Bürger-Daten bleiben geschützt Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Gregor Mayntz: Die aktuelle Entscheidung des Verfassungsgerichtes schränkt den Polizei-Zugriff auf Bürgerdaten ein. Insofern ist sie beachtlich, wenn auch in ihren praktischen Auswirkungen eher von geringer Bedeutung. Wer schwere Straftaten begangen hat oder erkennbar plant, kann das Internet weiterhin nicht als rechtsfreien Raum nutzen. Insofern tragen die Richter dem Schutzbedürfnis der Bürger vor Verbrechen und Terror Rechnung. Aber sie klopfen dem Gesetzgeber einmal mehr auf die Finger, mehr...

  • Rheinische Post: Bundeswehr-Rückzug Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Helmut Michelis: Der aufgewiegelte Mob bewirft ein Bundeswehr-Lager in Talokan mit Steinen - und schon treten die deutschen Soldaten den Rückzug an und bringen sich in Kundus in Sicherheit. Das klingt hasenfüßig und nach einer Kapitulation vor den Taliban, die die Proteste gegen die Koran-Verbrennung durch US-Soldaten geschickt geschürt haben. So sahen es gestern auch die afghanischen Offiziellen. Bei näherem Hinsehen ist die Entscheidung jedoch richtig. Denn der Stützpunkt in Talokan, ein mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Karlsruher Urteil über Telekommunikationsüberwachung Halle (ots) - Es ist die Pflicht des Staates, Verbrecher zu verfolgen, aber er muss die Verhältnismäßigkeit wahren. Das ist der Kern des Urteils, das die Verfassungsrichter gesprochen haben. Ein Staatsanwalt darf sich nicht bei Belieben das Passwort zu einem E-Mail-Account beschaffen, die Polizei darf nicht bei jeder Bewegung im Internet aus dem Verdacht heraus die Information anfordern, welcher Nutzer dahintersteht. Die Bereitschaft, die Kommunikation von Bürgern zu überwachen, ist auf Seiten des Staates deutlich gestiegen. mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Afghanistan Halle (ots) - Dass US-Soldaten im zehnten Jahr des Einsatzes am Hindukusch auf die Idee kommen, man könne in einem durch und durch islamischen Land einen Koran verbrennen, ist einfach unfassbar. Selbst wenn all das vielleicht geheim bleiben sollte - es ist, so oder so, gnadenlos dumm. Selbstredend ist es verfehlt, auf eine derartige Dummheit mit Gewalt zu reagieren. Doch dass die Afghanen nun glauben, Menschen, die ihre Religion mit Füßen treten, hätten im Land nichts verloren, ist nachvollziehbar. Die Taliban wird's freuen. Für mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht