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Mittelbayerische Zeitung: Szenen einer Ehe

Geschrieben am 20-02-2012

Regensburg (ots) - Von Christian Kucznierz

Verliebt, verlobt, verheiratet - so schön könnte es sein. Ist es
aber selten. Das gilt auch für die schwarz-gelbe Koalition. Als die
FDP noch auf der harten Oppositionsbank sitzen musste, sehnten sich
Union und Liberale nacheinander. Dann hieß es, man wolle diese
Wunschehe wirklich eingehen und besiegelte sie, zwar nicht vor dem
Traualtar, aber immerhin vertraglich. 2009 war das. Die Flitterwochen
dieser Wunschehe übersprang man zusammen mit den glücklichen Jahren
und kam gleich im Alltag an. Nicht in dem glücklichen, in dem
Routinen lieb geworden sind. Es war der einer eigentlich
gescheiterten Ehe. Seit Sonntag ist Schwarz-Gelb sogar noch einen
Schritt weiter. Die ganze Affäre Wulff kann Angela Merkel von Anfang
an nicht recht gewesen sein. Christian Wulff war ihr Kandidat. Er war
das Projekt dieser christlich-liberalen Bundesregierung. Sein
Verbleiben im Amt mag quälend gewesen sein, sogar unerträglich; aber
zumindest hatte er der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden nicht
geschadet. Das alleine war ein Wert für sich. Die Umfragewerte der
Union liegen aktuell bei 38 Prozent, und das liegt vor allem an der
CDU-Chefin. Ihr vertrauen derzeit die Menschen. Zu Recht. Denn
Deutschland segelt bislang unbeschadet durch die Stürme der
Schuldenkrise als Lotse für die restlichen Eurostaaten. Und am Steuer
steht Merkel. Kritik aus dem Ausland perlt an ihr ab. Politische
Konkurrenz gibt es nicht. Weder in der eigenen Partei, noch
außerhalb. Schon gar nicht beim Koalitionspartner. Die FDP ist in der
Bedeutungslosigkeit versunken. Zwei bis drei Prozent bekäme sie bei
einer Wahl derzeit. Wer den Schuldigen sucht, kann die liberale
Führung nennen. Er könnte aber auch die SPD fragen. Die weiß, wie es
ist, neben der CDU-Chefin zu regieren. Es muss schrecklich sein.
Merkel dominiert, sie überstrahlt alles und alle. Dieses Talent hat
sie dorthin geführt, wo sie heute ist. Zumindest war das bis zum
Wochenende so. Der Kanzlerin ist am Sonntag ihr taktisches Vermögen
abhandengekommen. Sie war bislang immer die kühl-rationale
Schachspielern, die immer dem Gegner viele Züge voraus war. Sie
dachte vom Ende her. Und in der Wulff-Nachfolge hat das Ende für sie
eben nicht Joachim Gauck heißen dürfen, weil er der Kandidat von
Rot-Grün war. Weil sie 2010 mit aller Macht gegen ihn gearbeitet
hatte, um Wulff durchzusetzen. Weil seine Nominierung 2012 deswegen
eine persönliche Niederlage darstellen muss. Dass Gauck unter allen
genannten der beste Kandidat war und ist, spielt dabei keine Rolle.
Es ging wie immer um Macht. Deswegen ist es für Merkel so fatal, dass
sich die FDP auf die Seite des politischen Gegners gestellt hat. Was
blieb, war die Option, die Koalition zerbrechen zu lasen - oder Gauck
zuzustimmen. Die FDP feiert sich zumindest intern als Sieger. Sie
sollte es genießen. Die Position von Parteichef Philipp Rösler ist
gestärkt, weil er diesmal nicht umgefallen ist. Weil er der
Schachspielerin Merkel diesmal zuvorgekommen ist. Etwaige
Wahlniederlagen im Saarland im März oder in Schleswig-Holstein im Mai
lassen sich nun leichter überleben. Vielleicht bringt der
staatsmännische Akt des Eintretens für einen überparteilichen, beim
Volk äußerst beliebten Kandidaten sogar ein paar Prozentpunkte plus
an den Urnen. Das aber dürfte es gewesen sein. Im Regierungsalltag
braucht Merkel keine Rücksicht auf die FDP zu nehmen. Sie wird es
auch nicht mehr tun. Die Liberalen haben kein Druckmittel. Die FDP
würde im Moment nicht einmal wieder in den Bundestag einziehen. Ein
rot-gelb-grünes Ampelbündnis, das der Sonntagabend andeuten könnte,
ist nur auf dem Papier denkbar. Die Gauck-Wahl ist ohne Frage ein
Erfolg für die FDP und eine Ohrfeige für Merkel. Doch genau darin
liegt die Gefahr für den kleinen Koalitionspartner. Bei zerrütteten
Ehen im Film läuft das meist so: Der Ehemann macht in geselliger
Runde einen Witz auf Kosten seiner dabei anwesenden Frau. Sie macht
gute Miene zum bösen Spiel. Um ihm bei nächster Gelegenheit die
Reifen des Sportwagens zu zerstechen. Die FDP kann froh sein, wenn
sie mit solchen Kleinigkeiten bestraft wird.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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