(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum deutsch-italienischen Verhältnis von Sebastian Heinrich

Geschrieben am 07-02-2012

Regensburg (ots) - Es war ein Titel wie ein Schlag in die
Magengrube: "Wir haben Schettino, ihr habt Auschwitz" stand am 27.
Januar, am Gedenktag für die Opfer der Schoah, auf der ersten Seite
der italienischen Zeitung "Il Giornale". Die gehässige Überschrift
war die Reaktion auf einen herablassenden Spiegel-Online-Artikel.
Darin wurde die Fahrerflucht Francesco Schettinos, Kapitän des
verunglückten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" mit dem
"italienischen Volkscharakter" erklärt und behauptet, zu einer
solchen Tat wäre ein deutscher oder britischer Kapitän nie fähig
gewesen. Nun ist "Il Giornale" - das Blatt gehört der Familie von
Ex-Premier Berlusconi - für knallharten Populismus bekannt. Aber mit
dem Skandal-Titel surft die Zeitung auf einer Welle antideutscher
Stimmung. Seit Monaten fühlt man sich südlich der Alpen
herumkommandiert von den europäischen Führungsnationen Frankreich und
vor allem Deutschland. Die Bevölkerung ist hart getroffen von dem von
Europa gewollten Spardiktat, das Mario Montis mit ehemaligen Bankern
besetzte Regierung in die Tat umsetzt. Unter ihr sind die
Mehrwertsteuer gestiegen, Benzinpreise und Besteuerung niedriger
Renten nach oben geschnellt. Die Hoffnung nach einer neuen,
gerechteren Politik nach der Ära des korrupten Polit-Kaspers
Berlusconi haben sich bisher nicht erfüllt. Die
Jugendarbeitslosigkeit hat einen Rekordwert von über 30 Prozent
erreicht. Im vermeintlich reichen Norditalien bringen sich
reihenweise von der Krise gebeutelte Kleinunternehmer ums Leben -
während die Politik sich weiter erfolgreich dagegen sträubt, auf
astronomische Gehälter, absurde Privilegien und überflüssige Behörden
zur Versorgung von Günstlingen zu verzichten. Italien hat sich mit
Berlusconis Rücktritt seiner größten Schande entledigt, aber den
Menschen geht es eher noch schlechter als vorher. Keine Frage,
Italien braucht einen rigiden Sparkurs, um nicht unterzugehen. Aber
Schuld an der Misere ist ein malades politisches System, von dem nur
wenige profitiert haben. Und die Zeche bezahlen jetzt vor allem die
Ehrlichen. Diese Ungerechtigkeit macht viele wütend - besonders auf
Europa und damit auf Deutschland. Schließlich scheint den EU-Granden
nur daran gelegen, dass Italien seinen Staatshaushalt saniert. Ohne
darauf zu achten, wie stark der Durchschnittsbürger darunter leidet.
Diese Haltung spielt Populisten und Scharfmachern in die Karten, die
- wie "Il Giornale" - den "Feind von außen" heraufbeschwören und
vergessen geglaubte Ressentiments wieder hochkochen lassen. Und aus
deren Sicht eignet sich Deutschland aufgrund seiner Vormachtstellung
vortrefflich für diese Rolle. Dabei war Deutschland jahrelang ein
großes Vorbild gerade für progressive Kräfte in Italien, die sich
gegen die Regierung Berlusconi einsetzten. Wegen seines im
europäischen Vergleich gerechten Gesellschaftssystems, wegen
vergleichsweise hoher sozialer Standards und der Chancen, die die
brummende deutsche Wirtschaft jungen, qualifizierten Arbeitskräften
bot. Die deutsche Regierung täte gut daran, an dieses positive Image
anzuknüpfen - und in ihrer Rolle als politische Triebkraft der EU
nicht nur immerfort das Sparen zu predigen, sondern auch darauf zu
achten, dass die bitter nötigen Einschnitte nicht ausschließlich auf
den schwächeren Schultern lasten. Sonst wird die antideutsche Welle
in Italien weiter anschwellen - und nicht nur dort.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

377135

weitere Artikel:
  • Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Syrien/Russland von Christian Kucznierz Regensburg (ots) - Es ist eine Vielzahl von Gründen, warum Russland sich hinter Syriens Präsidenten stellt. Es geht Moskau um den Erhalt eines wichtigen Waffenkunden. Es geht um den Erhalt eines Marinestützpunktes in Syrien. Es geht auch darum, das eigene Unbehagen darüber zu bekämpfen, dass sich die Zeiten geändert haben. Russland, das selbst nicht im Ruf steht, eine lupenreine Demokratie zu sein, erlebt, wie Tausende sich gegen die Regierung erheben. Moskau hat zusehen müssen, wie reihenweise Despotien fielen. Der Kreml versucht, mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Verärgert über Potsdam Zur erneuten Diskussion über die Fusion von Berlin und Brandenburg Cottbus (ots) - Warum wenig Bürokratie, wenn es auch mit viel geht? Warum effektiv regieren, wenn es auch teuer geht? Sind zwei Amtsschimmel nicht besser als einer? Das sind Fragen, die seit vielen Jahren an Brandenburgs Landesregierung abprallen. Nichts scheint Politiker und Beamte in Potsdam so zu schrecken wie eine Länderfusion mit Berlin. Schon lange ist die Wirtschaft in beiden Bundesländern, die sich von einer Vereinigung Ersparnisse für die Steuerzahler, Bürokratieabbau und Impulse für die Infrastruktur verspricht, darüber verärgert. mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Airport-Mosaik Zu den Probedurchläufen auf der Flughafen-Baustelle des BER Cottbus (ots) - Wie zieht ein Flughafen um? Selbst wer als Bauarbeiter an einem Mosaikstein des neuen Airports Berlin Brandenburg vor den Toren der Hauptstadt mit Hand anlegt, dem dürfte das Vorstellungsvormögen für einen Komplettumzug fehlen. Da werden am 2. Juni dieses Jahres in Berlin-Tegel und in Schönefeld die Türen geschlossen. Die Utensilien gelangen mit mehr als 600 Fuhren auf Lastwagen, Tiefladern und Spezialfahrzeugen in den neuen Glaspalast am Rande der Stadt, damit am 3. Juni vom BER die Flugzeuge starten. Eine logistische mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Steuerhinterzieher Stuttgart (ots) - Gnade vor Recht - der Bundesgerichtshof hat den Spruch für Millionen schwere Steuerkriminelle außer Kraft gesetzt. Das ist eine deutliche Warnung auch an jene, die den Staat bei ihrer jährlichen Steuererklärung in deutlich kleinerer Münze um seinen für unmäßig hoch gehaltenen Anteil prellen. Die sich auf der sicheren Seite wähnen, weil selbst große Fische mit einer Bewährungsstrafe davon schwimmen. Doch bevor man Vivat Justitia ruft: Auch nach dem BGH-Spruch können Millionen-Hinterzieher weiter glimpflich davonkommen mehr...

  • Schwäbische Zeitung: Idee der Alten-WG geht in die richtige Richtung - Kommentar Leutkirch (ots) - Der Vorstoß des Gesundheitsministers klingt sympathisch: Wer würde nicht lieber in einer munteren Senioren-Wohngemeinschaft als im Pflegeheim wohnen? Gerade jüngere Menschen äußern vielfach den Wunsch, so ihren Lebensabend zu verbringen. Doch ob daraus ein breitentaugliches Modell fürs Altern wird, muss sich erst noch zeigen. Wer WG-erfahren ist, weiß: Gemeinsam unter einem Dach zu leben, funktioniert nur, wenn jeder Mitbewohner auf die anderen Rücksicht nimmt. Dass man sich im Alter, wenn manches mühseliger mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht