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Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Unwort des Jahres:

Geschrieben am 17-01-2012

Bielefeld (ots) - Die Jury rief, und tatsächlich: ein paar kamen.
Sechs Sprachkritiker haben aus 2224 Vorschlägen die 269 Mal genannten
»Döner-Morde« zum Unwort des Jahres gewählt. 2224 Einsender. So viele
wie nie zuvor. Wenn man jetzt ernstlich böse werden wollte, müsste
man die Rechnung aufmachen, dass sich in diesem Land überhaupt nur
0,003 Prozent der Bürger für sprachliche Fragen interessieren, aber
man will ja nicht ernstlich böse werden. Viel lieber möchte man sich
freuen, dass ein diskriminierender Begriff demaskiert, markiert und
aus der Alltagssprache ausgeschieden wurde. Schön wär's, wenn dieses
Schicksal - Enttarnung, Etikettierung, Ächtung - nun auch all den
anderen unsinnigen Lautäußerungen widerfahren würde, die unsere
Kommunikation zumüllen. »Ich denke«, sagt der Deutsche heute, wenn er
in Wirklichkeit etwas vermutet: »Ich denke, Arminia wird das nächste
Spiel gewinnen.« Ein verdeckter Anglizismus (I think), und man ist
versucht, dem Sprecher zu empfehlen, er möge doch lieber gar nichts
sagen, anderenfalls verunstalte er bloß sein Denken. Da lösen die
Fernsehkommissare »einmal mehr« einen Fall - einmal mehr als ihre
realen Kollegen? Oder spukt das englische once more durch den Kopf,
und es war »schon wieder« gemeint? Was ist eine »suboptimale« Lösung?
Ein kleines bisschen schlechter als die allerbeste Lösung? Oder doch
eher gewaltiger Bockmist? Die Verwahrlosung unserer Sprache hat einen
einfachen Grund: Der deutsche Michel ist obrigkeitshörig, er war es
und wird es immer bleiben. Er hört einen Funktionsträger, wie
mittelmäßig der auch sein mag, von »nachhaltigen Maßnahmen«
schwätzen, von zwei Leerformeln also, die auch im Doppelpack nicht
voller werden - und plappert's beglückt nach. Von oben schallt's
herab: AKW im »Stresstest« (als könne tote Materie jemals psychische
und physische Reaktionen auf Belastung zeigen) - und unten wird
gleich eine Krone vergeben: »Wort des Jahres«. Unfassbar. Irgendwann
gelangt man so zu den »Döner-Morden«: Ahnungslosigkeit. Ist der
Döner-Mord ein Mord an einem Döner? Der von einem Döner begangene
Mord? Mord, um einen Döner zu erbeuten? Mord mit dem Döner als
Tatwaffe? Unsinn - allerdings Unsinn, wie er üblich ist, wenn
Deutsche reden (und wenn sie schreiben). Die von Journalisten
geprägten »Döner-Morde«, die dem von Polizisten eingeschlagenen Kurs
folgten (»Soko Bosporus«), sind also kein Ausdruck fremdenfeindlicher
Gesinnung. So viele Rechtsradikale, wie es die Geisterjäger gerne
hätten, gibt es gar nicht. Die »Döner-Morde« sind Ausdruck der
Sprachschluderei. Sprache ist Wort gewordenes Denken. Wo geschwafelt
wird, wurde zuvor nicht (nach-)gedacht. Wer also eine Antwort auf die
Frage sucht, warum das Land seine Probleme nicht mehr löst - hier
könnte er fündig werden.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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