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Landeszeitung Lüneburg: Republik verkraftet Fehlverhalten im Amt / Experte: Wulff muss sich fragen, ob er Anforderungen erfüllt

Geschrieben am 05-01-2012

Lüneburg (ots) - Das Schuldeingeständnis von Bundespräsident
Christian Wulff im Fernsehen hat die Wucht der Kritik nicht
vermindert. Fehler dürften Staatsoberhäupter durchaus machen, sagt
der Staatsrechtler Prof. Dr. Joachim Wieland, entscheidend sei, wie
sie damit umgingen. Und im Falle Wulffs seien noch viele wichtige
Fragen offen, etwa die nach seinem Verständnis von Pressefreiheit.

Was würden Sie dem Bundespräsidenten in der derzeitigen Affäre
raten?

Prof. Joachim Wieland: Das ist nicht leicht zu beantworten, zumal
man dem Bundespräsidenten keine öffentlichen Ratschläge erteilt.
Denn: Ratschläge können auch Schläge sein. Aber als
Verfassungsrechtler kann ich die Anforderungen benennen, die das
Grundgesetz an den Bundesprädidenten stellt: Er ist der höchste
Repräsentant des Volkes und des Staates und neben dem
Bundesverfassungsgericht der Hüter der Verfassung. Er ist eine
moralische Instanz mit relativ wenig realer Macht, aber er wirkt
durch Überzeugungskraft. Zudem hat er einen Eid geleistet, dass er
das Grundgesetz bewahren und den Nutzen des deutschen Volkes mehren
wird. Bundespräsident Wulff muss sich nach den Ereignissen der
letzten Wochen fragen: Kann ich diesen Vorgaben gerecht werden? Kann
ich mein Amt noch ausfüllen oder nicht? Es sind Fragen unbeantwortet.
Es steht der Vorwurf im Raum, dass er zwar die Pressefreiheit in
Reden hochgelobt, aber gleichzeitig versucht hat, auf die
Berichterstattung von Journalisten einzuwirken. Nach dem Grundgesetz
haben die Amtsträger im Staat die Journalisten als Träger der vierten
Gewalt aber in Freiheit walten zu lassen.

Andere Staatsrechtler rie"ten bezogen auf die Ursprungsvorwürfe in
Sachen Kreditnahme zur Selbstanzeige. Ein guter Rat?

Prof. Wieland: Der Bundespräsident muss sich nicht unbedingt
selbst anzeigen, er muss vielmehr klarmachen, dass er sich korrekt
verhalten hat. Denn es ist zumindest bemerkenswert, dass die
Staatsanwaltschaft jetzt gegen den ehemaligen Sprecher Wulffs wegen
des Verdachts der Annahme unzulässiger Vorteile ermittelt, während
der Bundespräsident ebenfalls erhebliche Vorteile in Anspruch
genommen hat. Noch ist kein Grund genannt worden, warum ihm die
BW-Bank ein derart günstiges Darlehen gewährt hat. Es reicht nicht
aus, zu sagen, da sei alles in Ordnung gewesen. Der Bundespräsident
ist schon von seiner verfassungsmäßigen Stellung her verpflichtet,
hier für vollständige Transparenz zu sorgen.

Bei der Vollständigkeit haperte es. Wie sehr hat Wulffs
Salamitaktik beim Krisenmanagement die Affäre befeuert?

Prof. Wieland: Dieses nur stückweise Zugeben von dem Präsidenten
unangenehmen Wahrheiten hat die gesamte Krise erst hervorgerufen.
Wenn Wulff von vornherein alles auf den Tisch gelegt und mangelnde
Geradlinigkeit eingeräumt hätte, wäre das Ganze harmloser geblieben.
Auch Präsidenten dürfen Fehler machen. Entscheidend ist, wie Menschen
in so hohen Positionen mit ihren Fehlern umgehen.

Sie haben über die "Freiheit des Rundfunks" promoviert. Hat Wulff
mit seinen Anrufen den Rubikon überschritten?

Prof. Wieland: Wenn er tatsächlich durch Anrufe bei Verlegern und
Chefredakteuren versucht haben sollte, eine Berichterstattung in
seinem Sinne zu beeinflussen, wäre das ein Verstoß gegen das
Grundrecht der Pressefreiheit. Das wäre nicht leicht hinzunehmen. Das
Grundgesetz sieht in Artikel 61 vor, dass Bundestag oder Bundesrat
den Bundespräsidenten vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen
können, wenn er vorsätzlich gegen die Verfassung verstößt. Hier
besteht ganz erheblicher Klärungsbedarf.

Nach einer Anklage durch den Bundestag sieht es derzeit nicht aus.
Der zweite Mann im Staate, Bundestagspräsident Lammert, kritisierte
die Medien für ihr Vorgehen. Zu Recht?

Prof. Wieland: Ich kann auf Seiten der Medien kein Fehlverhalten
erkennen. Es ist die Aufgabe der Medien, die Politiker kritisch zu
begleiten und Dinge, die die Betroffenen nicht gern in der
Öffentlichkeit diskutiert sehen, ans Licht zu bringen. So
funktioniert eine parlamentarische Demokratie, die auf öffentliche
Diskussion angewiesen, damit sich auch die Inhaber hoher Staatsämter
bewusst sind, dass sie den Bürgern Rechenschaft schulden für ihr
Handeln. Die Medien erfüllen hier eine Mittlerfunktion. Und im Falle
des Bundespräsidenten Wulff haben sie die bisher sehr gut erfüllt.

Das Bundespräsidentenamt lebt von der Glaubwürdigkeit der
Amtsträger. Haben der Rücktritt von Horst Köhler und die Affäre Wulff
das Amt beschädigt?

Prof. Wieland: Bislang noch nicht. Die beiden Vorfälle waren auch
ganz unterschiedlich: Bundespräsident Köhler trat zurück, weil er für
Äußerungen über die Möglichkeiten eines Einsatzes der Bundeswehr zur
Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen Deutschlands kritisiert
worden war. Hier kann man sagen, Horst Köhler hat besonders
empfindlich auf diese Kritik reagiert, die ihm in seinen Augen die
Führung seines Amtes sehr erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht
habe. Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein, aber man
muss es respektieren. Im Fall Wulff geht es um die Frage, ob der
Bundespräsident seine Pflichten erfüllt hat, seinem Amt gerecht wird
oder ob es dort Missstände gibt. Hier besteht eine Bringschuld des
Bundespräsidenten. Wenn er darlegen kann, dass er sich korrekt
verhalten hat, beziehungsweise, wo er Fehler gemacht hat, wird das
Amt nicht beschädigt. Die Bundesrepublik Deutschland ist hinreichend
gefestigt, dass sie auch das Fehlverhalten hoher Amtsträger ertragen
kann.

Das höchste Amt im Staat ist ein merkwürdiger Zwitter. Einerseits
hat es fast nur repräsentativen Charakter, andererseits galt Kritik
an der Amtsführung lange als tabu. Sollte es abgeschafft werden?

Prof. Wieland: Das Amt ist nicht überflüssig. Es ist wichtig, dass
die Einheit des Staates in einem Amtsträger zum Ausdruck kommt. Seine
Aufgabe ist es, eine moralische Instanz zu sein, durch Worte zu
wirken. Anders als Minister, Kanzler oder Abgeordnete ist er nicht in
den täglichen Machtkampf verwickelt, sondern kann losgelöst vom
politischen Alltag der Politik Sinn und Richtung vorgeben. Die
Erfahrung, die die Bundesrepublik mit ihren bisherigen Präsidenten
gemacht hat, waren durchaus positiv. Denken sie an Theodor Heuss,
Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker oder Roman Herzog. Sie alle
trugen zur politischen Kultur Wesentliches bei.

Sie sagten, die Verfassungsväter ließen dem Staatsoberhaupt als
stärkste Waffe wenig mehr als das Wort. Würde die Demokratie davon
profitieren, wenn das Amt als Korrektiv des Bundestags aufgewertet
wird?

Prof. Wieland: Ich bin skeptisch, ob das in unserem
Verfassungsgefüge sinnvoll wäre. Würde man dem Bundespräsidenten mehr
konkrete Machtbefugnisse einräumen, bedeutete dies einen Wandel von
der parlamentarischen zur Präsidialdemokratie nach Art der USA oder
Frankreichs. Das Parlament würde geschwächt, im Ergebnis käme es zu
Machtkämpfen zwischen dem Bundespräsidenten auf der einen Seite und
Regierung sowie die sie tragende Parlamentsmehrheit auf der anderen
Seite. Das gab es in der Weimarer Republik mit verheerenden Folgen
für Deutschland.

Ist es kein Anachronismus angesichts der bewährten, reifen
Demokratie der Bundesrepbublik noch auf die Weimarer Republik zu
verweisen?

Prof. Wieland: Nein, dies ist kein Anachronismus. Einem direkt vom
Volk gewählten Präsidenten müssten auch mehr Befugnisse eingeräumt
werden. Sonst wäre es den Bürgern kaum zu vermitteln, warum sie zur
Wahl gehen sollen. Hätte der Bundespräsident aber mehr Macht, müsste
auf der anderen Seite die Macht der Regierung und der
Parlamentsmehrheit geschmälert werden. Schließlich gibt es nur eine
begrenzte Anzahl von Zuständigkeiten. Der entstehende Dualismus
könnte leicht zu Blockaden führen. Ein Problem, das wir vermeiden
sollten, auch angesichts der guten Erfahrungen, die wir -- im
internationalen Vergleich -- in den gut 60 Jahren mit unserem
parlamentarischen System gemacht haben.

Man hat ein Amt geschaffen, das als moralische Instanz über dem
politischen Alltag schweben soll. Was bleibt davon, wenn ein
Präsident unmoralisch handelt?

Prof. Wieland: Wenn ein Präsident unmoralisch handelt, bleibt
wenig davon. Dann erfüllt er sein Amt nicht mehr. Wird er den
Anforderungen seines Amtes nicht gerecht, leidet die Stellung des
Bundespräsidenten in unserem politischen Gefüge. Bisher trat dieser
Fall noch nicht ein. Bei einem Scheitern müssen aber entsprechende
Konsequenzen gezogen werden.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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