(Registrieren)

HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zum kirchlichen Arbeits- und Tarifrecht

Geschrieben am 06-11-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Christoph Rind

In der Liste der größten Arbeitgeber tauchen die beiden Giganten
nie auf. Dabei sehen sich 1,3 Millionen Beschäftigte, trotz einer
Vielzahl von Tätigkeiten in formal unterschiedlichen Organisationen,
in den Diensten einer "Firma" - der Kirche. Rund 900?000 sind es
allein in den Wohlfahrtsverbänden der (evangelischen) Diakonie und
der (katholischen) Caritas. Sie leisten eine aufopferungsvolle
Arbeit. Aber ihre Arbeitgeber, die beiden christlichen Kirchen, sind
keine christlichen Samariter, sondern hart kalkulierende
Institutionen, die Arbeitnehmer stellenweise bedenklich ausnutzen. So
ist der Unmut verständlich, den immer mehr Kirchenbeschäftigte
öffentlich kundtun. Vor Beginn der gestern gestarteten Synode der
EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, haben 1500
Demonstranten am Versammlungsort Magdeburg gegen das Streikverbot für
kirchliche Mitarbeiter protestiert. Vor allem die Gewerkschaft Ver.di
hat hier ein ergiebiges Betätigungsfeld gefunden. Sie sieht in den
Kirchenmitarbeitern "Beschäftigte zweiter Klasse", ohne Streikrecht,
ohne Tarifverträge. Grund ist eine in der Verfassung verankerte
Sonderregelung, die für Kirchenbeschäftigte weder Streiks noch
Gewerkschaftsvertretungen vorsieht. Zum Prinzip dieses sogenannten
Dritten Weges gehört es auch, dass Löhne und Gehälter nicht zwischen
Arbeitgebern und Gewerkschaftern ausgehandelt, sondern in paritätisch
besetzten Kommissionen festgelegt werden. Das hat jahrzehntelang
funktioniert, jedenfalls solange die Beschäftigten ebenso wie die
Kirchenoberen mit der Gewissheit lebten, jeder profitiere von dem
Sonderweg. Doch hinter den Kulissen des auf Harmonie getrimmten
Kirchen-Tarifsystems brodelt es. Denn die frühere Praxis, zuvor
erzielte Tarife des öffentlichen Dienstes einfach zu übernehmen, sind
Geschichte. Vielen Sozialeinrichtungen fehlt der Spielraum. Sie
stehen unter Kostendruck, den sie im Zweifel nur durch geringere
Personalkosten auffangen können. Wenn dann ein versiertes Management
fehlt, liegen Leiharbeitsverträge nahe, der hilflose Griff zu
Lohndrückerei, der Einsatz privater Subunternehmer. Wie groß das
Ausmaß unchristlicher Arbeitsverhältnisse in den eigenen Reihen ist,
weiß selbst die Kirchenleitung nicht. So will der EKD-Ratsvorsitzende
Nikolaus Schneider aussagekräftige Zahlen über Umfang und Form der
Zeitarbeit und deren Entlohnung im Bundesverband Diakonie bis Ende
des Jahres erst noch ermitteln lassen. Die erschreckende
Ahnungslosigkeit über das eigene Verhalten offenbart, dass die Kirche
hier manches versäumt hat. Ferner droht von juristischer Seite
Ungemach. Richter des Landesarbeitsgerichts Hamm haben Anfang des
Jahres das kirchliche Tarifrecht nach einer Klage der Gewerkschaft
Ver.di generell infrage gestellt. Sie sehen die
Arbeitnehmerinteressen nicht ausreichend gewahrt. Doch erst das
Bundesverfassungsgericht wird hier für Klarheit sorgen und über die
Zukunft des Dritten Weges entscheiden. Inzwischen können sich die
Kirchenverantwortlichen fragen, welchen Sinn ein Sonderrecht noch
macht, das eigentlich vorgibt, ein bestimmtes Leitbild (in diesem
Fall das christliche) vor Fremdbestimmung zu schützen, wenn die
Kirche als Arbeitgeber sich zunehmend von christlichen Grundsätzen
entfernt? Muss sich die Kirche vielleicht doch entweltlichen, wie der
Papst gerade beim Deutschlandbesuch den Katholiken empfahl? Keinem
Protestanten ist zuzumuten, diesen Rat aus Rom anzunehmen. Aber wenn
die Kirche, ob evangelisch oder katholisch, zum x-beliebigen
Betreiber von Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten wird, der nur
noch auf Ertrag, aber nicht mehr auf die Zufriedenheit seiner
Beschäftigten zielt, hat sie kein Sonderrecht mehr verdient.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

361813

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): Hape Kerkeling sagt Gottschalk-Nachfolge ab Abschied statt lauer Aufguss STEFAN BRAMS Bielefeld (ots) - Das Zweite Deutsche Fernsehen hat ein Problem: Es werden zwar einige Kandidaten für die Gottschalk-Nachfolge gehandelt, die auch richtig gut sind. Aber mit Hape Kerkeling und Jörg Pilawa haben ausgerechnet die Kandidaten abgesagt, die bisher als erste Wahl galten. Jedem, der es nun an ihrer Stelle werden sollte, hängt fortan der Geruch an, nicht wirklich erste Wahl gewesen zu sein. Eine zusätzliche Bürde, denn die Fußstapfen Gottschalks sind ja an sich schon viel zu groß. Und wie groß und real die Gefahr ist abzustürzen, mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Israel droht mit Angriff auf den Iran Sprengkraft JOHANN VOLLMER Bielefeld (ots) - Alles oder nichts - das einst in die diplomatische Mottenkiste verbannte Vabanque-Spiel ist die politische Modeerscheinung der Saison. Egal an welchen Krisenherd der Welt man schaut, selten waren die Aussichten auf Verhandlungslösungen so vernebelt wie derzeit. Bereits vergessen sind die militärischen Offenbarungseide im Irak und in Afghanistan. Seit dem aus Nato-Sicht überzeugenden Sieg gegen Gaddafi hat das Säbelrasseln wieder Konjunktur. "Liefern statt Labern" ist die Devise der wiedererstarkten Falken von Washington mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Auf der Suche Zum Parteitag der brandenburgischen Regierungspartei SPD Cottbus (ots) - Die vergangene Woche offenbarte bei einer Abstimmung im Bundesrat das Ausmaß der Schwierigkeiten, mit denen sich insbesondere die ostdeutschen Sozialdemokraten auseinanderzusetzen haben. Da stimmten in der Länderkammer mehrere von der SPD geführte Regierungen der Verlängerung der Überprüfungen auf frühere Stasi-Mitarbeit zu und sorgten damit dafür, dass das Gesetz in Kraft treten kann. SPD-Regierungsmitglieder in den ostdeutschen Bundesländern erzwangen dagegen eine Enthaltung beispielsweise von Thüringen und Sachsen-Anhalt. mehr...

  • WAZ: Unser Gold für die Schuldner? - Leitartikel von Ulrich Reitz Essen (ots) - Es gibt Dementis, die liegen näher an der Lüge als der Wahrheit. Das Dementi von Kanzlerin Merkels Regierungssprecher Seibert gehört in diese Kategorie. Zu keinem Zeitpunkt sei auf dem letzten G-20-Gipfel über die Goldreserven der Bundesbank gesprochen wurden. Daran stimmt so viel: Über das Gold der Deutschen wurde ausdrücklich nicht gesprochen. Aber alles andere stimmt eben doch: US-Präsident Obama, Frankreichs Sarkozy und Englands Cameron wollen den gerade erst vor einer Woche auf eine Billion Euro hochgehebelten mehr...

  • WAZ: Koalition ohne Plan - Kommentar von Miguel Sanches Essen (ots) - Es geht nicht nur um Steuern. Union und FDP müssen nicht zuletzt beweisen, dass sie als Koalition handlungsfähig sind. Das betrifft alle politischen Felder. Und einige Reformen, wie etwa bei der Pflege, vertragen keinen Aufschub. Die Kanzlerin hat zwar zwei Gipfeltreffen für sich genutzt. Ihre Führungsrolle ist international unbestritten. Daheim aber wird ihre Koalition abgeschrieben, buchstäblich wie bildlich. Treffen von Schwarz-Gelb verliefen zu oft nach einem seltsamen Muster: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht