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Mittelbayerische Zeitung: Szenen einer Ehe / Schwarz-Gelb ist reif für die Scheidung. Nur Staatsräson und Machtkalkül halten die Partner zusammen.

Geschrieben am 24-10-2011

Regensburg (ots) - In mancher Hinsicht funktioniert eine
Regierungskoalition wie eine Ehe: Selbst wenn die Liebe abgekühlt
ist, können Vernunft, Vertrauen und gegenseitige Achtung die
Partnerschaft am Leben halten. Und in einer guten Ehe ist ein
Wechselspiel zwischen Streit und Versöhnung ganz normal. Doch in der
schwarz-gelben Beziehungskiste funktioniert das gegenseitige Geben
und Nehmen nicht. Der schroffe Korb, den CSU-Chef Horst Seehofer den
Regierungspartnern Angela Merkel und Philipp Rösler vergangene Woche
im Parteigezänk um Steuersenkungen gab, verdeutlicht, dass diese
Polit-Ehe in Scherben liegt. Unter anderen Konstellationen wäre ein
vorzeitiges Ende der Regierung keine Frage des ob, sondern des wann.
Doch es gibt zwei Dinge, die die Scheidung verhindern. Erstens die
Staatsräson: Ein Koalitionsbruch, während die Schuldenkrise ihrem
Höhepunkt zustrebt, würde auf die Rettungsbemühungen für den Euro wie
eine Atombombe wirken. Falls Merkel jetzt als Hauptgarantin für den
Währungsraum innenpolitisch weiter geschwächt würde oder sogar ganz
ausfiele, wäre es vorbei mit dem Euro. Doch die Kanzlerin will um
keinen Preis als Totengräberin der Gemeinschaftswährung in die
Geschichtsbücher eingehen. Zweitens treibt die Koalitionäre die
nackte Angst um das eigene politische Überleben. Nach den aktuellen
Umfragen würden alle 93 Bundestagsabgeordneten der FDP ihren Job
verlieren, wenn am Sonntag gewählt würde. Und die Perspektive, in
absehbarer Zeit wieder ein Mandat zu erringen. Bei CDU und CSU würden
die Verluste zwar nicht ganz so schmerzhaft ausfallen. Doch mit den
Liberalen käme der Union der zurzeit einzig denkbare
Koalitionspartner abhanden. Merkel, Seehofer und Rösler werden also
den Teufel tun, ihr Bündnis platzen zu lassen. Bevor sie politisch
Selbstmord begehen, halten sie lieber weiter ihre Zwangsehe aus. Die
Bürger können nicht mehr viel von dem Bündnis erwarten, das bereits
zur Halbzeit nur noch von Machtkalkül zusammengehalten wird. Das
einzig wirklich Verbindende der schwarz-gelben Koalition war anfangs
die Absicht, Bürger und Unternehmen zu entlasten. Doch die fatale
Mischung aus gewaltigen Haushaltslöchern und den Folgen der Finanz-
und Schuldenkrise machten diesen einst ehestiftenden Plan von Union
und FDP zunichte. Und man stellt sich die Frage, warum Merkel und
Rösler vergangene Woche ein Steuerreförmchen versprachen - und dabei
Seehofer übergingen - obwohl CDU und Liberalen klar ist, dass ihnen
spätestens der Bundesrat einen Strich durch die Rechnung machen wird.
Ob das eine Kommunikationspanne der Kanzlerin war oder ein
kalkulierter Tritt gegen Seehofers Schienbein ist dabei letztlich
egal. Dieser Eklat macht deutlich, wie sehr die Nerven inzwischen
blank liegen. Aus diesem Koalitionskrach gehen alle Beteiligten als
Verlierer hervor. Merkel, weil sie die kleine Schwesterpartei ins
Abseits stellt und damit zeigt, dass ihr bislang gut funktionierendes
Gespür für Machtbalance inzwischen versagt. Rösler, weil er so
dasteht, als ob er der CSU nicht einmal das Schwarze unter den
Fingernägeln gönnt. Und Seehofer, weil er so wirkt, als ob man ihn in
Berlin nicht mehr ernst nähme. Eigentlich kann Merkel einem fast
leidtun. Sie ist seit drei Jahren - seit Ausbruch der Finanzkrise -
gefangen im Krisenmanagement. In immer kürzer werdenden Zyklen muss
sie immer mehr Brandherde in Europa austreten. Und in immer kürzeren
Abständen lodern neue Flammen auf, während sie im Kampf gegen
drohende Staatspleiten zwischen Berlin und Brüssel hin- und herjetet.
Daran trägt sie zu einem Teil selbst schuld, weil sie zunächst
zögernd und zaudernd auf den Bankrott Griechenlands reagierte. Nun
ist die Kanzlerin zu einer Getriebenen geworden. So erfüllt sich bei
ihr der Albtraum jedes Regierungschefs: Sie kann nur noch die Krise
verwalten, aber Politik nicht mehr entscheidend gestalten. Dafür
bräuchte man nämlich eine Koalition, die nicht zu jedem einzelnen
Thema drei völlig verschiedene Ansichten hat.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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