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Mittelbayerische Zeitung: Zur Euroabstimmung: Durchhalten und hoffen / Die Furcht vor dem Machtverlust schweißt Merkels Koalition noch einmal zusammen.

Geschrieben am 29-09-2011

Regensburg (ots) - Nur knapp hat sich Angela Merkel gestern an der
Totalblamage vorbeigezittert. In der Schlacht um die Zukunft des Euro
hat sie zwar einen Sieg errungen. Aber in der schwarz-gelben
Koalition bleiben Schrammen und Wunden, die nur schwer verheilen
werden. Das ist der Preis für den Machterhalt, denn die Alternative
wäre noch viel schmerzhafter gewesen. Ein Verlust der Kanzlermehrheit
bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm hätte nämlich die
Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Regierung regelrecht befeuert.
Und die Opposition - allen voran der inoffizielle SPD-Kanzlerkandidat
Peer Steinbrück - wäre immer wieder genüsslich darauf herumgeritten,
dass die Sozialdemokraten Merkel zur Mehrheit verhalfen. Wie sehr der
Erfolgsdruck auf der Kanzlerin lastete, lässt sich an den
Repressalien auf die Abweichler in den eigenen Reihen erkennen. In
der Öffentlichkeit setzte die mächtigste Frau der Welt zwar wieder
das Pokerface auf. Die Kanzlermehrheit sei ihr nicht so wichtig,
Hauptsache, der Rettungsschirm werde gespannt. Dann wurden den
Abtrünnigen aber die Folterwerkzeuge gezeigt. Dass sich ein
prominenter CDU-Abweichler wie Wolfgang Bosbach vor laufenden
Fernsehkameras über die rüden Methoden der Parteifreunde beschwert,
hat es in der parlamentarischen Geschichte nicht oft gegeben. Doch es
ist unfair, den Kritikern des Rettungsschirms unlautere Motive
vorzuwerfen. Sie sind es doch, die die Sorgen in der Bevölkerung
ernst nahmen und den Bürgern eine Stimme gaben. Und die Ängste sind
sehr wohl berechtigt: Überfordern all diese Rettungspakete nicht
letztlich auch Deutschland als Helfer? Ist es nicht ein Verbrechen an
unseren Kindern und Enkeln, Bürgschaften in ihrem Namen zu
versprechen? Was passiert, wenn sich der Euro-Schirm trotz aller
Milliarden-Schecks letztlich immer noch als zu klein erweist? Zu den
Verdiensten der Nein-Sager zählt, dass über diese Fragen in den
vergangenen Monaten überhaupt so intensiv diskutiert wurde. Dafür
sollte man den Hut vor ihnen ziehen, anstatt sie intern zu mobben.
Das schwarz-gelbe Lager erhielt bei der gestrigen Zitterpartie auch
Schützenhilfe von unerwarteter Seite - nämlich vom
Bundesverfassungsgericht. Denn viele zweifelnde Abgeordnete sind erst
zu den Ja-Sagern gewechselt, weil der Bundestag neben dem
Rettungsschirm auch die Parlamentsrechte bei künftigen Euro-Hilfen
ausweitete. Ohne das Urteil der Karlsruher Richter hätten die
Abgeordneten keine Mitsprache bekommen - und Merkel womöglich nicht
die Kanzlermehrheit. Die eigenen Reihen konnte die Kanzlerin vor
allem wegen des drohenden Machtverlusts schließen - diesmal noch ohne
die Keule der Vertrauensfrage. Ein Debakel bei der Euro-Abstimmung
hätte durchaus der erste kippende Stein in einem Regierungs-Domino
werden können, an dessen Ende Neuwahlen stehen. Doch nichts müssen
Union und FDP angesichts der aktuellen politischen Stimmung mehr
fürchten. Bei Merkels Juniorpartner geht die nackte Angst um, bald
auch bundesweit auf das Prozentniveau einer Splitterpartei zu
stürzen. Neuwahlen, wie sie Ex-Kanzler Gerhard Schröder nach einer
Serie von rot-grünen Wahlschlappen ausrief, kämen für Merkel und
Vizekanzler Philipp Rösler einem politischen Harakiri gleich. Im
Gegensatz zu Schröder, dessen SPD sich nach der Wahlniederlage in die
große Koalition retten konnte, verlöre Merkel jede Machtoption: Die
FDP wäre nicht mehr vorhanden, die Sozialdemokraten wollen selbst den
Kanzler stellen, und von den Grünen ist die Union inzwischen wieder
so weit entfernt wie zu den Zeiten Helmut Kohls. Also heißt es für
Schwarz-Gelb in der zweiten Halbzeit: Durchhalten bis 2013 und
hoffen, dass bis dahin die Schecks für die Euro-Pleite-Staaten
Wirkung zeigen. Sonst würde Merkels politische Karriere so ruhmlos
enden wie die ihres einstigen SPD-Rivalen. Schröder wurde als
Agenda-Kanzler abgewählt. Merkel droht dasselbe Schicksal als
Rettungs-Kanzlerin.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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